Essen. In der Philharmonie gestalteten Krimi-Autorin Donna Leon und Sopranistin Karina Gauvin einen Abend mit Musik und Literatur vor 1400 Besuchern. Dabei zeigt Donna Leon ruhig, manchmal etwas maliziös, dass ihr Krimi „Acqua Alta“ („Hochwasser“) eben auch ohne das Verbrechen funktioniert.

„Sollte ich singen?“, fragt Donna Leon in der Philharmonie. Vielleicht wäre das sogar interessant gewesen. Immerhin hat die bekannte Krimiautorin mit dem lockeren Einstieg und dem auch nach Jahren im venezianischen Exil immer noch unverkennbaren Zungenschlag der heimatlichen amerikanischen Ostküste, das Publikum auf ihrer Seite. Nein, die fragile Endsechzigerin liest lieber – auch wenn die Reihe „Alte Musik bei Kerzenschein heißt“.

Aber die frühere Lehrerin ist eine kluge Frau. So lässt die Mutter von Commissario Brunetti, des öligen Vice-Questore Patta und der süßen Sekretärin Elettra zunächst dem in Sachen Alter Musik seit Jahren umtriebigen Spezialensemble „Il Complesso Barocco“ unter Altmeister Alan Curtis den Vortritt. Die servieren mit der kanadischen Sopranistin Karina Gauvin erlesenes Italo-Flair auf hohem Niveau, schlagen sie doch mit Musik und Arien italienischer Opern des Barockmeisters Georg Friedrich Händel den Bogen ins Mutterland der Oper.

Roman im Musikermilieu

„Non disperar“, „Verzweifele nicht“, singt Cleopatra in ihrer Arie aus Händels wohl bekanntester Oper „Julius Caesar“. Dazu haben die 1400 Besucher bei Karina Gauvin auch keinen Grund. Eine schlanke, ebenmäßig geführte Stimme, schöne Legato-Bögen, virtuose Geläufigkeit und glasklar platzierte Spitzentöne in raffiniert variierten Koloraturstücken aus „Alcina“. Das barocke Affekt-Gewitter lässt wenig Wünsche offen.

Und „La Donna“? Die zeigt ruhig, manchmal etwas maliziös, dass ihr Krimi „Acqua Alta“ („Hochwasser“) eben auch ohne das Verbrechen funktioniert. Wie gesagt, Donna Leon ist klug und wählt den Roman, der in Venedigs feuchten Gassen im Musikermilieu spielt. Köstlich darin die Erzählung der Operndiva und deren Begegnung mit einem deutschen Regisseur in San Francisco, wo sie eine wahre Tosca-Zertrümmerung erlebte.

Boshaft hätte das Ende der Lesung sein können: Leise lächelnd lässt die Autorin ihren Commissario auf die Frage, wie er die Aufnahme einer bestimmten Sängerin finde, antworten: „Ich mag ihre Stimme, aber die Ausführung scheint mir sehr forciert.“ Wäre Karina Gauvin nicht über solche Zweifel erhaben und zählte „Il Complesso Barocco“ nicht bekanntermaßen zu den Lieblingsorchestern von Donna Leon, wir hätten einem gelesenen Todesstoß beigewohnt. So gab es jedoch Begeisterung - und eine Zugabe: Die Arie der Nachtigall.