Essen/Zürich. .

Donna Leon hat einen neuen Brunetti-Krimi vorgelegt: „Schöner Schein“ heißt der. Obendrein zeigt das Erste am Donnerstag eine weitere Folge der populären Donna-Leon-Reihe. Jürgen Overkott sprach mit der Autorin.

Donna Leon hat einen neuen Brunetti-Krimi vorgelegt: „Schöner Schein“ (Diogenes). Obendrein zeigt das Erste eine weitere Folge der populären Donna-Leon-Reihe. Am Donnerstag, 20.15 Uhr, läuft „Lasset die Kinder zu mir kommen“. Jürgen Overkott sprach mit der Autorin.

Wie geht es Guido Brunetti?

Donna Leon: Ach, im Augenblick wartet Guido Brunetti darauf, dass ich zur Arbeit zurückkehre, weil ich mich zuletzt hauptsächlich mit Musik beschäftigt habe.

Lassen Sie mich raten: Es geht um Händel.

Leon: Jaaaa. Ist das Thema, dass Sie interessiert?

Oh ja, ich habe ihn vor kurzem für mich entdeckt. Sein Jubiläum hat mich neugierig gemacht.

Leon: Toll! Wissen Sie, bei mir war es so: Ich war noch Studentin, und damals war ich dabei, als eines seiner Oratorien aufgeführt wurde. Ich weiß nicht mehr genau, was es war, vielleicht der “Messias”, möglicherweise aber auch “Judas Maccabäus”. Aber eines weiß ich genau: Seit diesem Tag kann ich mich für Händel begeistern.

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Von Rolf Kiesendahl

Haben Ihre Kriminalromane jetzt nur noch den Stellenwert von Freizeit-Beschäftigung?

Leon: Neeeein! (lacht) Die Romane waren all die Jahre meine wichtigste Beschäftigung. Nur im Augenblick ist es so, dass mir wegen der Beschäftigung mit der Musik die Muße zum Schreiben fehlte. Zwischendurch blieben immer nur zwei, drei Tage Zeit, und da ergibt die Arbeit an einem Roman keinen Sinn.

Und genau das ist der Grund, warum Guido Brunetti so sehnsüchtig auf Sie wartet.

Leon: Ich habe demnächst zehn freie Tage, und dann arbeite ich am Buch.

Beschreiben Sie bitte mal Ihr Verhältnis zu Brunetti!

Leon: Je länger ich ihn kenne, desto mehr entdecke ich seine Persönlichkeit. Ich habe ihn immer gemocht. Aber jetzt ist er älter und, möglicherweise, weiser, und meine Sympathie ist noch gewachsen. Er ist ein guter Kerl.

Könnten Sie sich in einen Mann wie Brunetti verlieben?

Leon: Oh ja. Wissen Sie, was ich an ihm schätze? Er hat einen feinen Sinn für Humor. Er ist intelligent, er ist zurückhaltend, und er hat immer einen Scherz auf den Lippen, und zwar egal, mit wem er zu tun hat: mit Patta, mit Signora Elettra, mit seiner Frau. Humor hat etwas magnetisch Anziehendes, gerade wenn man mit solch schwerwiegenden Problemen zu kämpfen hat wie er.

Ist Humor auch eine Stärke von Ihnen?

Leon: (melancholisch) Es sollte so sein. Ich sollte einfach mehr lachen.

Sie können von Brunetti lernen.

Leon: Habe ich ja schon. Inzwischen gewinne ich vielen Situationen eine komische Seite ab. Ich glaube, das kommt mit dem Alter.

Wie hat sich Brunettis Charakter in all den Jahren verändert?

Leon: Er ist immer pessimistischer geworden, und da geht es ihm ähnlich wie mir. Ich bin eigentlich ein sehr optimistischer Mensch; ich war Zeit meines Lebens gut drauf. Auch Brunetti ist eigentlich ein lockerer Typ. Aber sehen Sie, es gibt Dinge auf der Welt, die gar nicht gut laufen, in der Politik, im Hinblick auf Umwelt und Naturschutz, schlicht den Zustand unseres Planeten.

Die Dinge drehen sich. Erst waren sie schlecht, und bald sind sie noch schlechter.

Leon: Das Schlimme ist, ich lese zuviel. Das was wir heute sehen, ist das Ergebnis von dem, was wir Jahre zuvor getan haben. Und ich möchte nicht wissen, welche Konsequenzen das hat, was wir heute tun. Gut, ich bin keine Forscherin. Aber glauben Sie, dass es ohne Folgen bleibt, wenn wir die Luft so stark verpesten wie nie zuvor, wenn wir Raubbau mit der Natur betreiben? Wir sehen doch schon jetzt, dass der Klimawandel in vollem Gange ist. Und das Klima bestimmt doch das ganze Leben auf der Erde.

Was können wir tun, um den Zustand der Erde zum Besseren zu wenden?

Leon: Okay, ich erzähle Ihnen eine kleine Geschichte. Heute muss ich wieder zurück von Zürich nach Venedig. Und da gibt es drei Möglichkeiten: Ich könnte mit dem Auto fahren, ich könnte fliegen, und ich könnte mich in den Zug setzen.

Sie setzen sich in den Zug.

Leon: So ist es. Die Bahnfahrt kostet mich acht Stunden. Klar, ich könnte fliegen, zumal der Flug billiger ist…

…und Sie sind schneller am Ziel…

Leon: …und ich nehme die Bahn trotzdem. Es gibt natürlich auch Gründe, die für die Bahn sprechen.

Nämlich?

Leon: Ich bin acht Stunden lang ungestört, das ist für mich wie ein ganzer Tag Freizeit.Was mache ich dann? Ich lese den ganzen Tag, acht Stunden am Stück, klasse. Ich verwickle niemanden ins Gespräch, denn die Bahnfahrt ist so ziemlich die einzige echte Freizeit, die ich habe. Normalerweise ist das so: Die einzige Zeit am Tag, die ich wirklich mit Lesen verbringen kann, ist morgens beim Kaffee. Die Bahnfahrten hat der Himmel geschickt, kein Telefon, keine E-Mail, keine Klingel.

Können wir den Planeten retten, wenn wir langsamer leben?

Leon: Nicht nur langsamer. Wir könnten etwas tun, in dem wir Verzicht üben, wir könnten mit weniger auskommen. Seien wir ehrlich: Wir haben viel zu viel. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Ich war mal bei Bekannten auf dem Land untergebracht. Alle Familienmitglieder hatten “telefonini” (Mobiltelefone), und außerdem hatte die Familie einen gigantischen Flachbild-Fernseher mit Plasma-Bildschirm im Wohnzimmer, und im Schlafzimmer stand auch noch so ein Ding. Das ist doch verrückt! Und wissen Sie was? Das waren noch nicht mal reiche Leute, und trotzdem stand so ein Quatsch da herum.

Kommen Sie ohne Fernseher zurecht?

Leon: Ich hatte niemals einen Fernseher! Ich habe auch kein “telefonino”.

Und deshalb haben Sie auch noch nie einen Brunetti-Film gesehen.

Leon: Doch, doch, vor zehn Jahren.

Welchen Eindruck hat der Film hinterlassen?

Leon: Keine Ahnung, ich hab’s vergessen. Er war bestimmt gut.

Haben Sie Drehbuch-Autoren und Regisseuren Vorgaben gemacht, wie Ihre Bücher umgesetzt werden sollten?

Leon: Nein, nein, nein. Als wir den Vertrag gemacht haben, hatte ich tatsächlich die Möglichkeit, auf das Filmprojekt Einfluss zu nehmen. Aber ich habe gesagt, Ihr lasst mich in Ruhe, und ich lasse Euch in Ruhe. Also: Wenn was bei den Filmen schief läuft, kann mich niemand dafür verantwortlich machen.

Der “Spiegel” hatte dieser Tage eine Geschichte über erste Sätze in Romanen. Ist es schwer für Sie, den Anfang zu finden?

Leon: Nein, nein, nein. Das bereitet mir überhaupt keine Probleme. Überhaupt fällt es mir nicht schwer zu schreiben. Im Gegenteil: Schreiben ist für mich das Vergnügen, pures Vergnügen. Ich muss meine Geschichten auch nicht planen; die Geschichten kommen beim Schreiben zu mir.