Essen. . Kino kann so anders sein: Fast wie in alten Zeiten fühlten sich die gut 800 Senioren, die zur Vorpremiere des Stummfilms „The Artist“ in die Lichtburg kamen. Der Golden-Globe-Gewinner weckte mit seinen leisen Pianoklängen statt lauter Effekte bei so manchem Besucher schöne Erinnerungen.
Kein Popcorn-Knistern, kein noch so leises Getuschel: Für 100 Minuten fehlten diese typischen Kino-Hintergundgeräusche am Donnerstag in der Lichtburg. Gut 800 Senioren waren gekommen, um in der Vorpremiere den Golden-Globe-Abräumer „The Artist“ zu sehen - und fast schien es, als spiegele der Zuschauerraum die Atmosphäre des Filmes wider. Ruhige Pianoklänge statt lauter Knalleffekte, Mimik-starke Schauspieler in Schwarz-Weiß statt grellbunter Actionhelden - diese Form der Filmkunst sollte viel öfter gezeigt werden, fand Kinobesucherin Margarete Bendzulla. „Als Kind habe ich Stummfilme im Fernsehen gesehen“, erinnerte sich die 68-Jährige, „das sehe ich auch heute noch gerne, das ist zur Abwechslung mal sehr angenehm.“ Absolutes Neuland war der Stummfilm dagegen für Hannelore Solbach: „Jetzt sehe ich mit fast 70 Jahren meinen ersten Stummfilm“, lacht die 69-Jährige, die Margarete Bendzulla im Foyer kennenlernte und spontan mit ihr über den Film ins Gespräch kam. „Das hat man natürlich mitbekommen, dass der Film bei den Golden Globes gewonnen hat.“
Echten Kinofans ist kein Weg zu weit: Monika und Jürgen Arnolds kamen trotz des Dauerregens zu Fuß aus Bredeney in die Lichtburg. „Ich war schon immer Film-verrückt“, erzählt Jürgen Arnolds und blickt gleichzeitig ein wenig skeptisch zurück: „Naja, ich fand Charlie Chaplin manchmal sehr nervig.“ Seine Frau Monika ist neugierig: „Ich bin sehr gespannt, man hat das ja selbst leider nicht mehr miterlebt“, freut sich die 65-Jährige auf den Film, „ich finde die Vorstellung faszinierend, dass der Stummfilm damals so eine Begeisterung ausgelöst hat, obwohl ja das für uns heute Wesentliche, der Ton, gefehlt hat.“
Bilder zeigen 60 Jahre Geschichte des Kinos Lichtburg in Essen
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Kino ohne Action
Genau darauf wies Theaterleiter Bernhard Wilmer in seiner Begrüßung noch mal humorvoll hin: „ In Liverpool haben sich Kinogänger beschwert, weil sie vorher nicht wussten, dass dieser Film ohne Ton und in Schwarz-Weiß gezeigt wird. Ich warne Sie also sicherheitshalber noch mal vor: Sie sehen einen Film überwiegend ohne Sprache.“ Wilmer musste sich keine Sorgen machen: Viele Zuschauer waren bewusst wegen des Stummfilms in die Lichtburg gekommen. So wie Walburga und Hans-Gerd Kegler. „Das finde ich schön, dass sowas mal gezeigt wird, das waren doch schließlich die ersten Schritte des Kinos“, freute sich die 71-jährige Walburga Kegler, „wir kennen das noch von früher, den Charlie Chaplin und Dick und Doof.“
Ob ein Stummfilm auch bei einem jüngeren Publikum ankommen würde? Hans-Gerd Kegler zögert, seine Frau ist sich dagegen sicher: „Wenn man die jungen Leute darüber informiert, was sie erwartet und ihnen die Geschichte dazu erzählt, dann funktioniert das bestimmt auch bei jüngeren.“ Ganz anders sieht das Marina Pokutta. Die 51-Jährige ist von ihrer Freundin eingeladen worden, „The Artist“ zu sehen. Neugierig und gespannt sei sie, „aber ein junges Publikum kann man damit nicht begeistern“, glaubt die Neu-Essenerin. Wer heute ins Kino gehe, sei schon so viel Action und rasante Schnitte gewöhnt, dass ein Stummfilm da völlig aus dem Rahmen fiele. Offensichtlich: Als Christel Tack (68) ihren Enkel fragte, ob er nicht mit in die Lichtburg wolle, reagierte der 18-Jährige eher zurückhaltend: „Das war glaube ich nichts für ihn, seine Generation kann sich unter einem Stummfilm einfach nichts mehr vorstellen.“
Das Premierenpublikum aber offensichtlich schon: In der Lichtburg verlangte zumindest keiner der Kinogänger sein Geld wegen der fehlenden Sprache zurück.
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