Essen. Kämmerer Lars Martin Klieve hat mit den Partei-Piraten einen Blick ins städtische Haushaltsbuch geworfen. Woher kommt all das Geld? Wann wäre es alle, würde man nicht gegensteuern? Was darf die hoch verschuldete Stadt überhaupt noch? All das sind Fragen, die Klieve geduldig beantwortet.

Dass ausgerechnet bei der Piratenpartei die Technik streikt, ist natürlich amüsant. Seit jeher schwebt das Computer-Klischee über der neuen politischen Gruppe, so sehr, dass man den Eindruck haben darf, die Partei-Gründung sei Pausen-Produkt einer LAN-Party.

Und dennoch: Ein falscher Knopfdruck genügt und Kämmerer Lars Martin Klieve, der gekommen ist, die städtische Buchführung zu erläutern, legt den Beamer lahm. Eben noch waren Tabellen mit schwindelerregenden Zahlenkolonnen zu sehen. Nun gibt’s fünf Minuten Verschnaufpause und das Bild der mächtigen, zehnstelligen Summen darf sacken.

Dann nimmt Klieve erneut Anlauf, um zumindest grob zu skizzieren: Woher kommt all das Geld? Wann wäre es alle, würde man nicht gegensteuern? Und wenn wir schon dabei sind: Was darf die hoch verschuldete Stadt überhaupt noch?

Bürger-Sparsinn

Die Materie ist trocken. Das lässt sich auch mit Klieves routiniertem Wortwitz nicht retten. Doch ohnehin sind die Piraten nicht ins Unperfekthaus gekommen, um nett unterhalten zu werden. Um Mitbestimmung geht es, um Einmischung – ein Vorhaben, um das es ohne Faktenwissen schlecht bestellt ist. So hören sie den Exkurs durch Gesamtergebnis- und Gesamtfinanzplan, welche Investitionsmaßnahmen anstehen und wie schnell das Tafelsilber futsch wäre, hätte Klieve nicht fest den Daumen auf die städtische Schatulle gelegt. All das ist öffentlich nachlesbar und transparent, „obwohl noch nicht ein Bürger bei uns im Amt war, um den Haushaltsplan-Entwurf einzusehen“.

Überhaupt sei das Interesse häufig mau. Dabei sei Einmischung ja erwünscht. Zum Beispiel beim Projekt „Essen kriegt die Kurve“. Da darf jeder Sparvorschläge machen, will aber nicht jeder. „Im ersten Jahr gab es 4000 Vorschläge, im zweiten Jahr 200“, sagt Klieve, der wohl ein bisschen mehr Bürger-Sparsinn erwartet hatte. Pirat Hartmut Müller zeigt Verständnis: Zu wenig transparent habe man die Ergebnisse der ersten Sparrunde gemacht. In dieser Runde übrigens machte Müller noch mit, in der Neuauflage sparte er sich den Spar-Vorschlag.

Zusammenhänge begreifen

Es wird sich nach zweistündigem Referat Klieves zeigen, die Stadtfinanzen sind den Piraten gar nicht neu. „Natürlich haben wir uns schon mit dem Haushalt beschäftigt“, sagt Pirat Wilfried Adamy. Nun wolle man vom Kämmerer erklärt haben, „wie das, was im Haushalt steht, zustande gekommen ist.“

„Das“ kennzeichnet in diesem Fall einen Schuldenberg, „und die höchste Liquiditätskredit-Verschuldung aller Städte in Deutschland“, wie Klieve sagt. Ob man - als politische Partei - dies mittragen oder nach neuen Ansätzen suchen wolle, könne man erst entscheiden, wenn man die Zusammenhänge begreife, sagt Pirat Daniel Cipa.

Exkurs in Kommunalfinanzen

Geduldig geht Klieve auf Fragen ein. Geduldig hören die Piraten zu. Zwischenrufe, etwa die bemerkenswert zweifelhafte Idee, die Theater und Philharmonie abzuschaffen, kommen von Nichtpiraten im Publikum und werden entschieden zurück gewiesen.

Was auch zeigt: Die noch vor ein, zwei Jahren so belächelte, Spiel-, Spaß- und Laptop-Partei geht diesen abendlichen Exkurs in Kommunalfinanzen mit Ernsthaftigkeit an.

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„Natürlich ist es unmöglich, den Finanzhaushalt an einem Abend zu begreifen“, sagt Pirat Tim Kowalewski, „aber wir haben Partei-Mitglieder, die viel von Betriebswirtschaft und Buchführung verstehen.“ Sich informieren, Sachstände neu bewerten, neue Wege suchen. Das ist vorerst das ambitionierte Ziel: Mehrere hundert Seiten umfasst der Haushalt, 80 städtische Gesellschaften mit mehr als 10.000 Bediensteten gibt es im Konzern Stadt.

„Das zu begreifen wird natürlich einige Zeit dauern“, sagt Kowalewski. „Aber nur, weil es kompliziert ist, gar nichts zu tun, ist auch keine Lösung.“ Was er an diesem Abend nicht verstehe, werde er sich in der Aufzeichnung erneut anschauen und an anderer Stelle erklären lassen. „Wir übertragen die Veranstaltung ja ins Internet.“ Na dann, willkommen zurück im Klischee.