Essen. Es gibt nur wenige Städte, die so durchgreifend von einem einzigen Unternehmen geprägt wurden wie Essen von Krupp. Und es gibt gleichzeitig wahrscheinlich kein zweites Unternehmen, das in den bisher 200 Jahren seiner Existenz so sendungs- und geschichtsbewusst war.
Eine einzige Zeitungsseite reicht nicht annähernd aus, um die vielen Spuren in der Stadt zu dokumentieren, die direkt mit Krupp zusammenhängen. Manche sind weltberühmt wie die Villa Hügel und die Margarethenhöhe, andere eher unscheinbar und versteckt wie die Reste des Altenhof I oder der Gedenkstein für die Walkmühle in Altenessen, des ersten frühindustriellen Besitzes von Friedrich Krupp.
Vieles hat die Zeitläufe nicht überlebt. Ausgerechnet vom Kern des Ganzen, dem Werksgelände zwischen Altendorf und der Innenstadt, gibt es nur kleine Reste: die 8. Mechanische Werkstatt (heute „Colosseum“), das Press- und Hammerwerk (Ikea-Parkhaus) und die kleine Brücke der Werksbahn zwischen diesen beiden Hallen. Ältestes erhaltenes Gebäude ist die Geschossdreherei aus den 1860er Jahren, heute Sitz des Zentrums für Türkeistudien.
Umso mehr Wohnsiedlungen sind erhalten. Krupp entfaltete stets einen Willen zur schönen Form, einen erstaunlichen architektonischen Ehrgeiz, der weit über das in Essen lange Zeit betrüblich niedrige Niveau hinausging. Schon die heute restlos verschwundene, nur in einer Evag-Haltestelle noch lebendige Großsiedlung Cronenberg war zentriert auf einen gepflegten Park, die Straßen gesäumt von Bäumen. Ab etwa 1890 verschrieb sich Krupp der Gartenstadt-Idee: Erker, Türmchen, Lauben, sichtbares Fachwerk und immer wieder Gärten: Die idyllisierenden Wohnverhältnisse sollten die Härten des Lebens mit und in der Industrie abfedern. Die Siedlung Brandenbusch an der Villa Hügel ist dafür ein schönes Beispiel, auch der fast ganz erhaltene Altenhof II am Stadtwald und natürlich die Margarethenhöhe. Der Altenhof I mit seinen freistehenden Kleinhäusern im englischen Cottage-Stil fiel dem Neubau des Alfried-Krupp-Krankenhauses, weit mehr aber noch der allgemeinen Abrisswut der 1970er Jahre zum Opfer, die den hohen Wert dieser Siedlung verkannte, die ursprünglich für alte Kruppianer gedacht war.
Das Krupp-Stammhaus
Auf gute Nachbarschaft ausgelegt
Wieder einen anderen Charakter besitzen die mehrgeschossigen Wohnblöcke, die nach innen freundlich und auf gute Nachbarschaft angelegt sind und nach außen fast trutzig wirken. Gute Beispiele aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg sind der Luisenhof in Frohnhausen und der Friedrichshof in Holsterhausen. Diese beiden Stadtteile sind wegen der Nähe zur früheren Fabrik ohnehin die Krupp-Wohnquartiere schlechthin, und wenn ThyssenKrupp nicht fast alles verkauft hätte, würde das bis heute gelten.
Als Ersatz für die vielen Zerstörungen baute die Firma besonders in Holsterhausen auch nach dem Zweiten Weltkrieg vieles neu, und wieder knüpfte man an die alten Qualitätsmaßstäbe an. Die Häuser des Alfredshof, leider in unschöner Nähe zur Autobahn A 40, entsprechen in besonderer Weise den Idealen des neuen Wohnens in den 1950er Jahren: hell, freundlich, durchgrünt und jeweils mit viel Abstand zum Nachbarhaus, wobei die Zeile den geschlossenen Block ablöste. Krupp konnte sich diesen Aufwand dank eines üppigen Grundstücksbestands leisten.
Eine denkmalfreudige Firma
Krupp war immer eine denkmalfreudige Firma, wobei die Standorte unter dem Auf und Ab litten, das sich aus den politischen Verstrickungen ergab. Exemplarisch steht hierfür das Denkmal für Alfred Krupp an der Kettwiger Straße, das prominenteste überhaupt. Im Jahr 1889, zwei Jahre nach dem Tod des eigentlichen Konzernarchitekten, wurde das Standbild unter großer Anteilnahme der Bürger vor der Marktkirche aufgestellt und überlebte später wie durch ein Wunder den Bombenkrieg, bevor US-Soldaten das Denkmal umstießen. Jahrelang überwinterte es irgendwo auf dem Werksgelände.
Erst 1952, ein Jahr nach der Entlassung seines Urenkels aus alliierter Haft, wagte man es, den bronzenen Alfred wieder aufzustellen, jedoch noch nicht in der Innenstadt. Dorthin kehrte das Denkmal 1961 anlässlich der 150-Jahr-Feier zurück. Dies allerdings nicht an der alten triumphalen Stelle - das erschien den Stadtvätern wohl noch zu kühn -, sondern seitlich an der Marktkirche, eingezwängt zwischen Kirche und Hauswand, beschattet von einem Baum. Erst 2006 folgt schließlich Schritt Nummer drei: Die Statue erhielt auch auf Wunsch des hoch angesehenen Krupp-Patriarchen Berthold Beitz ihren alten, weithin sichtbaren Platz zurück. Nach 61 Jahren schloss sich somit ein Kreis.
Ehre für einen verurteilten Kriegsverbrecher
Die Sippenhaft für das Denkmal an der Marktkirche zeigt: Die nun 200-jährige Bindung zwischen Essen und Krupp hat auch schwere Zeiten erlebt. Letztlich kam man aber wieder zusammen. Mit dem Alfried-Krupp-Saal in der Philharmonie wurde sogar ein ganz neuer Erinnerungsort geschaffen. Es dürfte einmalig in Deutschland sein, dass eine Stadt im Jahr 2004 diese Ehre einem verurteilten Kriegsverbrecher erweist - das Nürnberger Urteil, so fragwürdig es im Fall Krupp ist, wurde schließlich nie aufgehoben. Nicht zuletzt dank Beitz’ beharrlicher Geschichtspolitik ist der Name Krupp auch im Stadtbild voll rehabilitiert - und Essen schon lange wieder stolz, Krupp-Stadt zu sein.