Essen. . Die Essener Grundstückspreise sind kontinuierlich gestiegen. Viele Käufer orientieren sich an den Zahlen, die der Gutachterausschuss vorlegt. Seit 50 Jahren gibt es die Landeseinrichtung in Essen, die die Aufgabe hat, Boden- und Immobilienrichtwerte zu ermitteln. Dazu werden umfangreiche Daten gesammelt.
Sollten Sie für Ihr Grundstück einen viel zu hohen Preis gezahlt haben, könnte Hans-Wolfgang Schaar Ihnen das sagen – doch das wird er nicht tun. Zwar bekommt der Gutachterausschuss für Grundstückswerte in der Stadt Essen, den Schaar leitet, Abschriften jedes notariell beurkundeten Grundstücksverkaufs, doch der Vermessungsassessor und sein Team beobachten den Markt lediglich, „wir greifen nicht ein.“
Seit 50 Jahren gibt es die Landeseinrichtung in Essen, die die Aufgabe hat, Boden- und Immobilienrichtwerte zu ermitteln. Dazu werden umfangreiche Daten gesammelt. Welche Preise werden in Essen Bedingrade für unbebaute Grundstücke gezahlt? Welche Lagen gehen in Bredeney gut, wo in Burgaltendorf gibt es große preisliche Ausreißer? Protokolliert wird alles, was in Essen passiert. Denn das Geschäft mit Grundstückspreisen fußt nicht auf Prognosen, sondern auf Fakten und statistischen Berechnungen.
Thyssen-Krupp-Quartier - aus Brachland wird hochwertige Bebauung
Erst in diesem Jahr hat die Behörde, die im Auftrag des Landes Nordrhein Westfalen arbeitet, deren Einnahmen jedoch an die Stadt Essen gehen und deren Mitarbeiter auch von dort bezahlt werden, ihr Erfassungssystem umgestellt. Wurden vorher 280 Merkmale ausgewertet, so gehen in die neuen Berechnungen ganze 6500 Bewertungskriterien ein. Sie reichen von der Erreichbarkeit von Schulen bis hin zu möglichen Abzügen für Einflugschneisen. Veröffentlicht werden die Bodenrichtwerte jährlich. Unterschieden wird nach Preisen für Immobilien und unbebaute Grundstücke.
Und damit tut sich zum Beispiel im Uni-Viertel ein Problem auf. Exakt null unbebaute Grundstücke wurden in den Vorjahren in der City verkauft – woher also Vergleiche nehmen? „Aus strukturellen Kaufpreissammlungen“, sagt Schaar. Und eben die zeigen, wie es in vergleichbaren Lagen anderer Städte läuft. Dann müsse man sehen, wo sich Angebot und Nachfrage treffen. Ganz zu schweigen von der weiteren Bewertung.
Essens grüne Mitte
Was Schaar am Beispiel Thyssen-Krupp-Quartier erklärt. „Vorher war dort eine Industrie-Brache, jetzt gibt es hochwertige Bebauung. Das hat Strahlkraft und wirkt sich auf das Umfeld aus.“ Früher oder später werde dies quantifizierbar – allerdings müsse man nun erst Verkäufe umliegender Häuser abwarten und beobachten, wie die geplante hochwertige Wohnbebauung auf dem Areal des jetzigen Real-Marktes an der Altendorfer Straße sich auswirke.
Register genießt hohes Ansehen
Doch eben weil die Aussagen der Behörde zurückhaltend sind und nicht auf spekulativen Größen, sondern tatsächlich gezahlten Werten fußen, genießt das Register, das der Gutachterausschuss pflegt, hohes Ansehen. Kostenfrei können Bürger es einsehen, Immobilienmaklern und Bauträgern gilt es als Basis für Verhandlungen.
Ein zweites Standbein gibt es neben der Marktbeobachtung und der Schaffung von Markttransparenz – denn Schaars Behörde erstellt, in Zusammenarbeit mit Teams aus je drei niedergelassenen Fachleuten, selbst Gutachten. Die Beauftragung niedergelassener Kollegen erfolge ehrenamtlich, heraus springen für die beteiligten Fachleute Kontakte in die Branche, die nicht zu unterschätzen seien. „Wenn jemand einen Auftrag hat, für den er den Rat eines Kollegen braucht, hilft man sich.“ Kontakte, die in der Konkurrenzsituation zu anderen selbstständigen Gutachtern oft fehle.
Ob es nun - 50 Jahre nach Gründung des Essener Büros - Stadtteile mit starken Abweichungen in der Grundstücksbewertung gibt? „Kaum“, sagt Schaar, „wir stellen fest, dass die Preise kontinuierlich gestiegen sind.“ Aber dass der Norden - rein preislich - zum Süden wird, dafür gibt es kein Indiz.
Auch Kuhfladen können Informationen liefern
Der Bodenrichtwert ist eine Art „Ideal-Wert“. Man tut so, als gäbe es keine Rechte, keine Verpflichtungen – und kann gut mit Land handeln. Doch der „idealisierte Wert eines Grundstücks“, so sagt Hans-Wolfgang Schaar, Vorsitzender des Gutachterausschusses für Grundstückswerte in der Stadt Essen, ist nur die Basis, mit der seine Arbeit beginnt. Zu schauen gilt es, was das Ideal schmälert – oder weiter aufwertet. Nehmen wir eine Autobahn – drückt die den Preis? „Ja und Nein“, sagt Schaar, „die Autobahn kann eine Lärmquelle sein, aber sie bietet auch Vorteile, man kommt zum Beispiel schneller ins Büro.“
Mit einfachen Antworten also ist es zur Wertermittlung nicht getan. Lärmmessungen will Schaar sehen und schaut nach Anbindungsmöglichkeiten, nach Nahversorgern und sozialer Infrastruktur. Rechnet Wege- und Nutzungsrecht dagegen, die den Boden zum Schnäppchen machen können. Der ärgste Preisvernichter? „Altlasten“, sagt Schaar. „Das ist der schlimmste Fall.“ Und für den braucht Schaar weitere Sachverständige, die chemische Analysen machen und Umweltgutachten erstellen. „Zudem muss man genau hinschauen, was mit dem Grundstück geschehen soll. Für einen Spielplatz z.B. muss eine ganz hochrangige Sanierung erfolgen.“ Und dann wird’s teuer.
Das neue Krupp-Quartier
Leichter wird das Detektivspiel auch im ländlichen Raum nicht. „Wenn man auf einer Wiese Kuhfladen sieht, muss man schauen, ob jemand das Nutzungsrecht an einem Grundstück hat. Nicht immer ist das im Grundbuch eingetragen. Doch auch ein Nutzungsrecht, das mit Handschlag in der Kneipe vereinbart wurde, ist rechtsverbindlich.“
Eine kleinteilige Arbeit, die Menschen, die nur einmal im Leben ein Grundstück kaufen, um darauf zu bauen, rasch überfordert. 1500 bis 2000 Euro kostet es, wenn man den Gutachterausschuss mit der Bewertung beauftragt. Eine Ausgabe, die vor bösen Überraschungen wappen kann.
Preis-Stopp-Verordnung kippte 1960
Weitgehend über die Notenpresse wurde der nationalsozialistische Haushalt finanziert. Um die Preise für Immobilien - und auch andere Güter - nicht explodieren zu lassen, richtete der Reichskommissar für Preisbildung im Jahre 1936 für ganz Deutschland eine Preis-Stopp-Verordnung ein. Ausnahmen waren nur vorgesehen, wenn dies aus volkswirtschaftlicher Hinsicht sinnvoll erschien.
Doch auch mit Ende des Krieges wurde die Preis-Stopp-Verordnung für Grundstücke nicht gekippt. Einzig für den Verkauf von Trümmergrundstücken gab es eine Lockerung. Alle weiteren Landverkäufe unterlagen bis zur Einführung des Bundesbaugesetzes im Jahr 1960 weiterhin der Verordnung; bebaute Grundstücke durften bereits ab 1952 frei gehandelt werden.
Doch wie bewertet man ein Grundstück? Wie schützt man Menschen, die nur einmal im Leben ein Immobiliengeschäft tätigen davor, übervorteilt zu werden? Eine Frage, die der Gesetzgeber bereits vor der Freigabe löste, indem er in Städten und Kreisen Gutachterausschüsse einrichtete. Allein in Nordrhein Westfalen gibt es 77 Ausschüsse.
Das Essener Gutachterausschuss-Büro verzeichnete 2004, also in dem Jahr, in dem die staatliche Förderung der Eigenheimzulage wegfiel, die meisten Haus-, Wohnungs- und Grundstücksverkäufe. 5200 notarielle Beurkundungen von Verkäufen gab es in dem Jahr in Essen. Im Schnitt werden jährlich 4200 Verkäufe beurkundet. Ein Großteil der Käufe orientiert sich an den Bodenrichtwert-Tabellen des Gutachterausschusses.
Internetseite des Landes
Die Internetseite www.boris.nrw.de gehört zu den meistgeklickten Seiten des Landes Nordrhein-Westfalen. Dort einsehbar sind die amtlichen Informationen zum Immobilienmarkt kostenfrei. Neben Immobilien- und Bodenrichtwerten gibt es einen Überblick über Immobilienpreise sowie den aktuellen Grundstücksmarktbericht.
In der Regel liegen die Berichte für das zurückliegende Jahr im März des Folgejahres vor. Da jedoch 2011 keine Dokumentation veröffentlicht wurde, soll der Bericht 2012 nun früher als sonst üblich veröffentlicht werden. Weitere Informationen und Kontakt zum Gutachterausschuss für Grundstückswerte in der Stadt Essen, Rathenaustraße 2, telefonisch unter der Rufnummer 0201/ 88-68505.