Essen. „Moralischer Kapitalismus muss die Grundlage unseres wirtschaftlichen Handelns sein“, sagte Berthold Beitz, Vorsitzender der Krupp-Stiftung, anlässlich des Festakts zum 200-jährigen Krupp-Bestehen in der Villa Hügel. Dort kamen 200 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur zusammen, unter ihnen Bundespräsident Wulff.

Ein persönliches Wort an seinen wichtigsten Mann zu richten war Berthold Beitz gestern erkennbar ein Bedürfnis. Außerplanmäßig ging der 98-Jährige zwischen zwei Reden noch einmal zum Mikrofon: „Wir haben 25 Jahre eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet und gemeinsam viele schwierige Entscheidungen getroffen“, sagte er bewegt in Richtung von ThyssenKrupp-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, „dafür danke ich Ihnen herzlich.“

In der Tat: Beitz, dem Vorsitzenden der Krupp-Stiftung, und Cromme, der als wahrscheinlicher Nachfolger gilt, ist es entscheidend zu verdanken, dass gestern in der Villa Hügel 200 illustre Gäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur den Festakt zum 200. Jahrestag der Gründung von Krupp begehen konnten. Ohne diese beiden und ohne den Stabilitätsanker der Stiftung als starker Minderheitsaktionär gäbe es das Unternehmen so vermutlich nicht mehr.

„Es wäre Schönfärberei, hier nur Erfolgsgeschichten zu erzählen“

Berthold Beitz ließ es gleich zu Anfang überraschend schonungslos anklingen: „Es wäre Schönfärberei, hier nur Erfolgsgeschichten zu erzählen.“ Aus eigener Erfahrung wisse er: „Die Kämpfe um die Zukunft der Firma waren ausgesprochen hart, tiefe Krisen hat es immer wieder gegeben.“ Viele der Anwesenden dürften da an die Finanztragödien der 1960er-Jahre gedacht haben, an das Drama um die Schließung des Hüttenwerks Rheinhausen, an den Wirtschaftskrimi um die Fusionen mit Hoesch und Thyssen - alles Ereignisse, die das Land jahrelang in Atem hielten und deren für Krupp glimpflicher Ausgang Voraussetzung dafür war, dass das Unternehmen 200 Jahre alt werden konnte.

Bundespräsident Christian Wulff vor einem Familien-Portrait der Krupps in der Villa Hügel. Foto: AFP
Bundespräsident Christian Wulff vor einem Familien-Portrait der Krupps in der Villa Hügel. Foto: AFP © AFP

Im Überleben unter widrigen Umständen war die Firma von Beginn an geübt. Bundespräsident Christian Wulff schlug als Festredner einen weiten Bogen, erinnerte an die verlustreichen Anfänge, die enge Verzahnung mit der wechselvollen deutschen Geschichte, die für Krupp beim wirtschaftlichen Aufstieg zwar enorm hilfreich war, die Firma aber eben auch nach beiden Weltkriegen an den Rand des Zusammenbruchs brachte.

Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, hatte Krupp bei der 150-Jahr-Feier 1961 von einer besonderen Schuld im NS-Staat freigesprochen und damit Aufsehen erregt. Wulff hielt sich mit historischen Wertungen zurück, betonte aber demonstrativ die auf Ausgleich der Interessen bedachte Firmenkultur, deren Überlegenheit klar geworden sei: „Die Finanz-, Wirtschaft- und Schuldenkrise hat deutlich gemacht, was wir an unserer industriellen, produktorientierten und kooperativen Wirtschaftskultur haben.“

„Der Zweck der Arbeit soll das Gemeinwohl sein“

Krupp damals und ThyssenKrupp heute lebten gesellschaftliche Verantwortung, die Stahlindustrie generell schaffe Dinge, „die man anfassen kann“, erklärte Wulff. „Das hat immer Zukunft, weil es real ist, nicht virtuell“. Bei soviel Lob war zu verschmerzen, dass der Bundespräsident Beitz’ Geburtsdatum falsch wiedergab.

Das Soziale und Alfred Krupps programmatisches Wort „Der Zweck der Arbeit soll das Gemeinwohl sein“ beschäftigte auch alle anderen Redner. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft erinnerte an die Freundschaft von Beitz und Johannes Rau, die immer wieder Lösungen möglich machte, mit denen sowohl das Land als auch das Unternehmen leben konnten. Für Konzernbetriebsratschef Thomas Schlenz war die Sitzung 2009 auf dem Hügel prägende, die in der „Essener Erklärung“ mündete. Die vom Vorstand angestrebte Neuorganisation des Konzerns habe zu einem Konflikt geführt, „der die gute Unternehmenskultur massiv gefährdete“. Erst Beitz’ habe einen Konsens ermöglicht.

Legendäres Machtwort: „So machen wir das“

Tatsächlich hatte der Stiftungs-Chef damals mit dem legendären Machtwort „So machen wir das“ für die Arbeitnehmerseite Partei ergriffen und etwa betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. Zum Festakt gab der 98-jährige einen ähnlichen Ton vor, als er die Forderung nach einem „moralischen Kapitalismus“ erhob. „Als ein Mann, der viele Zeiten erlebt hat, und mit Skepsis die Gegenwart sieht, gebe ich Ihnen allen ein Vermächtnis mit auf den Weg: Der moralische Kapitalismus muss die Grundlage unseres wirtschaftlichen Handelns sein.“

Gerhard Cromme griff das in seiner Rede auf und will sich Beitz zum Vorbild nehmen. Er habe ein Vierteljahrhundert beobachtet, „wie Sie den Auftrag von Alfried Krupp erfüllt und gelebt haben“, sagte er direkt an Beitz gewandt. Und: „Wie Sie vorhin festgestellt haben, fühle auch ich mich diesem Auftrag jetzt und in Zukunft verpflichtet.“