Essen. Professor Julian Nida-Rümelin hielt die Meyer-Schwickerath-Vorlesung im Audimax des Essener Uniklinikums. Eine These seines Vortrags: Ökonomische Praxis braucht kulturelle und moralische Bindungen. Die Räge waren gut gefüllt.

Wer über den Zusammenhang, ja gar die gegenseitige Abhängigkeit von Wirtschaft und Ethik spricht, erntet heute mit Glück noch ein müdes Lächeln. Zu zahlreich sind die Beispiele, die dagegen zu halten sind. Julian Nida-Rümelin, 2008 als einer der drei bedeutendsten deutschen Philosophen ausgelobt, lächelt charmant gegen sie an: „Ökonomische Praxis, die meint, sie sei von kulturellen und moralischen Bindungen herausgelöst, wird nicht nur scheitern, sondern nach ökonomischen Standards auch ineffektiv“, sagt er. Nida-Rümelin (56) hielt im gut gefüllten Audimax des Uniklinikums die Meyer-Schwickerath-Vorlesung.

Seit 2001 finden diese Vorlesungen statt, die nach dem 1992 verstorbenen Essener Augenarzt und Forscher Gerhard Meyer-Schwickerath benannt sind. Eingeladen an die Medizinische Fakultät sind Laien und Fachleute, herausragenden Wissenschaftlern zuzuhören.

Nida-Rümelin schafft in seiner einnehmenden und direkten Art mehr als das - „lassen Sie uns einen Gedankenausflug nehmen“ - vielleicht auch, weil seine These fast beruhigend ist, folgen ihm seine Zuhörer aufmerksam. Ein System, so der Philosoph, könne nur funktionieren, wenn es auch moralischen und kulturellen Grundsätzen folgt.

Vertrauen ist gut

„Nehmen wir als Beispiel die Kommunikation. In einem Unternehmen müssen Mitarbeiter miteinander kommunizieren können und das funktioniert nur, wenn gegenseitiges Vertrauen besteht.“

„Hebelt ein Unternehmen diese Vertrauensbasis auf, stört das seinen Erfolg, denn es ist mehr als unwirtschaftlich, jede einzelne Aussage nachzukontrollieren.“ Würde jeder nur dem für sich am Besten und Einfachsten folgen, lügen, um das zu erreichen, wäre die Welt für alle nicht mehr wünschenswert, „die Gesellschaft würde das nicht überleben“.

Natürlich funktioniere die Welt nicht ohne Sanktionen oder finanzielle Boni, doch sie seien Zusätze, nicht Haupttrieb menschlichen Handelns. Die moralische und kulturelle Einbettung könne aber durch nichts ersetzt werden.

„Wie sind dann die Gesundheitsreformen der letzten Jahre zu verstehen“, fragt ein Mann in der gut halbstündigen Fragerunde, die auf den Vortrag folgt. „Da werden doch ökonomische Anreize gegeben.“ Der Philosoph gibt ein gewagtes Beispiel: „Das Gulag-System des Stalin-Regimes war als ökonomisches System gedacht, es schaffte viele Anreize und Sanktionen. Trotzdem war es nicht wirtschaftlich. Die Arbeiter nutzten jede Möglichkeit, es zu sabotieren.“ Sanktionen seien wichtig, ja, aber nicht entscheidend: „Wir verhalten uns im Regelfall auch ohne das Strafgesetzbuch richtig, trotzdem würden wir es ja nicht abschaffen.“

Was die Anwesenden mitnehmen

„Es ist gut zu wissen, dass wir nicht weiterkommen, uns selbst sogar schaden, wenn wir alle Moral und Anstand verlieren“, sagt Bernd Lörges. Nach dem Vortrag wartet der 70-Jährige vor den Türen des Audimax, bis die Besucherschlange am traditionellen Imbisstand kleiner wird. Den Philosophen lobt er als verständlichen Redner. „Ich bin kein Akademiker, sondern aus Interesse gekommen.“ Und was nimmt er mit? „Dass ich noch mehr versuche, tugendhaft zu sein. Weil es für die Gesellschaft wichtig ist.“

Als Exkurs sehen Marc Fassbender und Roland Stempelmann die Vorlesung an. Die 20-Jährigen studieren Wirtschaftsingenieurswesen, „der philosophische Apsekt“, sagt Roland Stempelmann, „wird im Studium geradezu vernachlässigt“. Marc Fassbender nickt zustimmend. „Mal links und rechts vom eigenen Fachbereich zu schauen, dafür fehlt die Zeit. Das mache ich dann auf solchen Veranstaltungen.“