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Trauern, erinnern, danken: Auf dem Friedhof zünden die Angehörigen heute Kerzen an. Drei erzählen von der Mutter, dem Opa und dem Partner.

Seine Mutter war der Mittelpunkt der Familie. Heute um 17 Uhr macht er sich auf den Weg, so wie jedes Jahr an Allerheiligen. Dann zündet er eine Kerze an ihrem Grab an, bevor er zu seinem Bruder geht. Der ist nur wenige Meter entfernt auf dem Terrassenfriedhof in Schönebeck begraben. Steht der 63-Jährige dort, dann denkt er manchmal daran, wie es früher mit seinen Brüdern und Schwestern gewesen ist.

Sieben Kinder waren sie. Seitdem die Mutter nicht mehr lebt, sieht der 63-Jährige sie kaum noch. Er erinnert sich aber an die Zeit, als sie die Rote Schule besuchten. Nachmittags spielten sie Fußball.

Als Erwachsene kamen sie jeden Samstag zusammen. Natürlich bei der Mutter. Ihr Schaschlik in Tomatensoße sei unvergesslich, sagt der 63-Jährige. Dann fällt ihm ein, dass einer der Brüder allein wegen ihrer Nudelsuppe mit Fleischwurst kam, sagt er und lächelt.

Als sie klein waren, kümmerte sich ihre Mutter um den Haushalt und die Kindererziehung. „Sie hat uns viel durchgehen lassen.“ Und immer alle gleich behandelt. Als der Vater dann nicht mehr als Bergmann arbeiten konnte und sie nur eine kleine Rente hatten, ging ihre Mutter auch als Putzfrau und Bürogehilfin arbeiten. Im Garten halfen ihr die Kinder. Wütend konnte sie werden, wenn sie durch das Gemüse trampelten, erzählt ihr Sohn. Früher ging er mit seiner Mutter zu den Gräbern der Großeltern. Damals seien auf dem Friedhof viel mehr Menschen gewesen: „Heute kümmern sich meistens nur noch Ältere um die Gräber.“

Um die Grabpflege seiner Familie macht sich auch Horst Angres Gedanken, während er die Blätter von der Ruhestätte seiner Schwägerin harkt und in Tüten stopft: „Wer soll das machen, wenn wir nicht mehr da sind?“ Seine Tochter wohnt inzwischen in Baden-Württemberg.

Für sich kann sich der 68-Jährige ein Wiesengrab vorstellen. Allerdings nicht anonym, eine Grabplatte mit Namen sollte dort schon sein. Mit seiner Frau kümmert er sich um das Grab ihrer Schwester, die Gräber seiner Eltern und das ihres Vaters. Dort fehlen noch Blumen.

1994 starb sein Schwiegervater. Horst Angres erinnert sich gut daran, dass der Opa kurz vor seinem Tod erfuhr, dass seine Enkelin Beamtin geworden ist. Das habe den Großvater sehr gefreut. Er war sehr stolz auf sie. Von ihm habe sie übrigens ihr handwerkliches Geschick.

Heute besucht ihn seine Enkelin auf dem Ostfriedhof. Für ihren Vater ist der nicht nur wichtig, damit sie ihren verstorbenen Angehörigen nah sein können. Ihr Grab und ihr Andenken zu pflegen, ist für ihn auch ein Zeichen der Dankbarkeit. „Opa hat viel für uns getan.“

Zurück auf den Terrassenfriedhof, dorthin ist eine Angehörige aus Altendorf gekommen. In einer Tüte trägt die 74-Jährige ein Gesteck für das Grab ihrer Mutter. Das ihres Mannes hat sie viel zu früh pflegen müssen. Er starb, da war sie gerade 38 Jahre alt und dreifache Mutter. Nein, sie habe sich nie gefragt, warum es gerade sie getroffen hat, hat nie gedacht, wie ungerecht das Leben ist. Der Tod ihres Mannes sei Schicksal. So wie es auch Schicksal war, dass sie ein Jahr später ihren zweiten Partner kennenlernte. An seinem Grab zündet sie heute eine Kerze an, das ihres Ehemannes gibt es nicht mehr.

Ihren Lebensgefährten hat sie nicht geheiratet. Vorsichtig sei sie gewesen, weil die Kinder noch so klein waren. Viel zu vorsichtig, sagt sie heute, da sie es besser weiß: 30 Jahre waren sie ein Paar. Er starb 2002. „Jetzt ist es zu spät.“ Trauer und Schmerz sind gewichen, beschreibt die 74-Jährige ihr Gefühl, wenn sie an den Gräbern steht.

In Schönebeck ist auch das ihrer Mutter, die 92 Jahre alt geworden ist. „Sie hat ihr Leben gelebt, ein glückliches“, sagt die Tochter und denkt an Ausflüge an den Baldeneysee. „Mein Vater hat mich beim Schwimmen einfach losgelassen, das vergesse ich nie.“ Den herrlichen Sommer vor einigen Jahren auf dem Campingplatz in Holland auch nicht, als ihre Mutter dabei war. Die sei früher nie gereist. Sie lebten in Rüttenscheid: „Die Gruga war ihr genug.“

Heute geht die 74-Jährige mit ihren Töchter zum Grab ihrer Mutter. Sie erinnern sich dann gemeinsam, lachen dort manchmal sogar, sagt sie. Die Enkelinnen sprechen mit ihrer Großmutter – und wenn sie wieder gehen, verabschieden sie sich: „Tschüss, Oma.“