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Die umstrittene Müllverbrennungsanlage der Entsorgungsfirma Harmuth hält die Grenzwerte ein. Dies ergab die Auswertung der jüngsten Messwerte durch die Bezirksregierung. Anwohner wollen dennoch wachsam bleiben.
Wenn Stefan Strüngmann Schulklassen durch die Sortieranlage auf dem Econova-Gelände in Bergeborbeck führt, gibt er den Kindern gerne einen guten Rat mit auf den Weg: „Besser immer schön aufpassen in der Schule! Den Spruch könnte sich der Geschäftsführer von Harmuth-Entsorgung getrost sparen. Was die Kinder zu sehen bekommen, spricht für sich. Arbeiter in orangefarbenen Latzhosen fischen Plastikfolien, Kunststoffdeckel und Holzreste von einem Sortierband. Das erinnert an das laufende Band mit Rudi Carrell, doch wer hier am Band steht, hat keine Aussicht auf einen Hauptgewinn.
„Auch solche Arbeitsplätze brauchen wir in Deutschland“, formuliert Strüngmann. Das klingt staatstragender als er es meint. Aber in den Worten schwingt noch immer Enttäuschung mit darüber, dass Harmuth nicht mit offenen Armen empfangen wurde, als das Familienunternehmen seinen Sitz 2005 von Mülheim in den Essener Norden verlegte. Der Stadtrat winkte ab, die Stadtteilkonferenz aus Vogelheim machte gegen die Ansiedlung mobil, 4000 Anwohner formulierten Einwendungen an die Bezirksregierung und konnten doch nicht verhindern, das Harmuth auf dem 13 000 Quadratmeter großen Recyclingzentrum eine „Energetische Verbrennungsanlage“ in Betrieb genommen hat, einen Müllofen.
Seit Mitte Juni verbrennt Harmuth „Sortierreste“ mit dem offiziellen Segen der Aufsichtsbehörde. Und das bislang „sauber“.
Rundgang bei Harmuth
Für Harmuth ist der Ofen eine Überlebensfrage, sagt Strüngmann. Die Entsorgungsbranche ist ein Haifischbecken. Wer die Müllverbrennung kontrolliert, zeigt der Konkurrenz die Zähne, seit der Gesetzgeber das Abkippen unvorbehandelter Abfälle auf Deponien verboten hat. Mit dem eigenen Müllofen macht sich Harmuth unabhängig von den Verbrennungsanlagen in Oberhausen oder in Karnap, wo die Konkurrenz die Finger im Spiel hat. Freie Kapazitäten in Karnap werden für die Stadt von den Entsorgungsbetrieben Essen (EBE) vermarktet, die mit Harmuth um Aufträge buhlen. „Wir haben keine Probleme die Anlage zu füllen“, heißt es bei der EBE. Karnap kann ohne Harmuth, aber Harmuth nicht ohne Müllverbrennung. Deshalb hat sich der private Entsorger einen eigenen Ofen 14 Millionen Euro kosten lassen.
Die Verbrennungsanlage verbirgt sich in einem Kasten aus Blech und Beton von der Größe eines Vierfamilienhauses. Anfang der 90er Jahre feuerte der Müllofen noch im schwäbischen Dusslingen beim Zweckverband Abfallentsorgung. Nach nur 480 Betriebsstunden legte der Betreiber die Anlage still - auch weil Anwohner nicht begeistert waren von der Nachbarschaft. Der Betrieb habe sich nicht rentiert, sagt Strüngmann.
Harmuth übernahm Ofen, Kessel und Turbine und rüstet die Verbrennungsanlage mit einer neuen Rauchgasanlage und neuer Steuerungstechnik aus. 26 000 Tonnen „Sortierreste“ darf der Entsorger pro Jahr verfeuern. Die Anlage sei derzeit zu 90 Prozent ausgelastet, sagt Strüngmann.
Für Peter Wallutis ist entscheidend, was oben rauskommt aus dem Schornstein. Der Anwohner der Hafenstraße hatte für die Stadtteilkonferenz Vogelheim gegen die Inbetriebnahme geklagt. Das Verwaltungsgericht ließ die Klage nicht zu, weil Wallutis aus juristischer Sicht zu weit entfernt wohnt vom Recyclingzentrum - 1400 Meter statt maximal 1200 Meter. Er solle wiederkommen, wenn die Grenzwerte überschritten werden, sagte der Richter und gab den Vertretern der Bezirksregierung mit auf den Weg sicherzustellen, dass die Werte eingehalten werden.
Auf den Bildschirmen im Leitstand zeigen farbige Säulen- und Kurvendiagramme die Immissionen an, Computer berechnen Tages- und Halbstundenmittelwerte für Staub, Kohlenmonoxid, Schwefeldioxid, Stickstoffoxid... - ein Chemie-Leistungskurs hätte an einem Betriebsbesuch seine Freude. Die Daten werden von der Bezirksregierung online überwacht. Dioxine und Furane werden von Sachverständigen vor Ort gemessen - im ersten Jahr nach Inbetriebnahme alle zwei Monate, danach einmal im Jahr. Ein kontinuierliches Messverfahren gebe es für Dioxine und Furane bislang nicht, heißt es in Düsseldorf.
Dioxine? Seit dem verheerenden Chemie-Unfall im italienischen Seveso 1976 ist der hoch krebserregende Giftstoff für eine breite Öffentlichkeit ein Schreckensbegriff. Die Bezirksregierung beruhigt: Auch die jüngsten Messeergebnisse vom 11. August lagen weit unterhalb des zulässigen Grenzwertes, was für alle erfassten Schadstoffe gilt. „Wir hoffen, dass es so bleibt und werden das genau beobachten“, sagt Peter Wallutis.
Entscheidend dafür ist, was hinein kommt in den Ofen. Täglich werden Proben genommen, alle fünf Tage werden die Proben zur Analyse ins Labor geschickt. Genügt das? Harmuth sortiert Bauschutt und Mischabfälle. Ein Viertel der Menge landet in der Verbrennungsanlage. Kunststoff, Pappe und alles, was sonst noch zur Wiederverwertung taugt, wird vorher aussortiert. Bagger erledigen das Grobe, der Rest kommt aufs Sortierband. Die Männer in Orange a müssen also die Augen offen halten, damit nichts im Müllofen landet, das die Messwerte steigen lässt. Es könnte für dicke Luft sorgen in Vogelheim.