Essen. Melanie Reifenberg hat das Down Syndrom und wollte im Kindergarten arbeiten. Das vorgezeichnete Leben in einer Behindertenwerkstatt mochte sie nicht hinnehmen. Vom Franz-Sales-Haus ließ sie sich auf dem Weg zu ihrem Traumjob nicht bremsen.
Melanie Reifenberg ist 27 Jahre alt und hat das Down Syndrom. Das vorgezeichnete Leben in einer Behindertenwerkstatt mochte sie nicht hinnehmen und kämpfte für ihren Traumjob. Statt Schrauben zu zählen, arbeitet sie heute tatsächlich im Kindergarten.
Dass ihre Behinderung die Jobsuche erschweren würde, war Melanie und ihrer Familie klar. Verärgert sind sie über die bürokratischen Hürden, allein gelassen fühlen sie sich von den Franz-Sales-Werkstätten. Dabei hatte sich die Familie nach Melanies Schulabschluss 2005 bewusst für das Franz-Sales-Haus entschieden: Dort hatte man in Aussicht gestellt, Melanie einen Außenarbeitsplatz zu vermitteln. Wohin stand für sie fest: Schon in der Schulzeit hatte Melanie drei Praktika in Kitas gemacht. „Ich wollte immer in den Kindergarten - und dass die mich mit Werkstatt in Ruhe lassen.“
Trotzdem kam sie nach der Eingangsphase in die Elektromontage, ein monotoner Job, der sie zermürbte. „Man kann nicht jeden um jeden Preis integrieren, manche Behinderte sind auf die Arbeit in der Werkstatt angewiesen“, räumt Ingrid Reifenberg ein. Ihre Tochter habe sich jedoch viel besser entwickelt, als sie es bei der Geburt 1984 erhoffen durfte. „Damals stand noch in jedem Lexikon: Down Syndrom heißt 100-prozentige Idiotie.“
Kühlschrank putzen und Mandalas malen
Doch Melanie lernte lesen und schreiben, steht zwar mit Mathe auf dem Kriegsfuß (typisch fürs Down Syndrom), ist aber musikalisch, spielt E-Gitarre in einer Band. Sie sei immer „gut gefördert“ worden, nur die Arbeit in der Werkstatt habe sie als Sackgasse erlebt.
Sie machte weitere Praktika; und dabei bot ihr der evangelische Kindergarten im Jona-Familienzentrum in Heidhausen an, sie dauerhaft zu beschäftigen, allerdings nicht als reguläre Kraft: „Die Kinder lieben sie, und sie macht das toll. Wir müssen sie aber schon besonders unterstützen“, sagt Kita-Leiterin Sandra Mintrop.
Der Gesetzgeber hat diesen Mehraufwand berücksichtigt und finanziert die Arbeitsplätze für Behinderte. So überweist der Landschaftsverband Rheinland (LVR) monatlich etwa 1400 Euro als persönliches Budget für Melanie an die Franz-Sales-Werkstätten. Und hier kommen wir zu den bürokratischen Hürden: Das Geld kann nicht einfach an andere Arbeitgeber wie die Kita umgeleitet werden. „Wir haben sonderpädagogisch geschulte Mitarbeiter, die die qualifizierte Förderung der Behinderten gewährleisten. Eine Erzieherin kann das nicht“, sagt der Direktor des Franz-Sales-Hauses, Günter Oelscher. Darum habe man Melanie angeboten, dass sich ihr Integrationsberater weiter um sie kümmere. Sie könne vier Tage im Kindergarten arbeiten und einmal wöchentlich die „berufsbegleitenden und fördernden Angebote“ in den Franz-Sales-Werk-stätten wahrnehmen.
Für die Kita ist Melanie ein großer Schatz
Melanie ging darauf Ende 2007 ein, doch sie erinnert sich düster an jene Freitage: „Kühlschrank putzen, Däumchen drehen, Mandalas malen.“ So habe die Förderung ausgesehen. Auch in der Kita räumt sie die Spülmaschine ein, aber sie singt auch mit den Kindern, liest ihnen vor, tröstet sie. „Sie ist für uns ein großer Schatz“, sagt Sandra Mintrop. Umgekehrt fühlte sich Melanie wohl - und optimal gefördert.
Seit gut einem Jahr darf sie nun fünf Tage in der Jona-Kita arbeiten. „Doch für ihre Arbeit muss der Kindergarten sogar 200 Euro an die Franz-Sales-Werkstatt zahlen“, sagt Ingrid Reifenberg. Die Autorin Renate Günther-Greene, die für den WDR eine berührende Dokumentation über den Fall gedreht hat (Kasten), folgert darum: „Die Werkstatt gibt Melanie - und die damit verbundenen Gelder - nicht frei.“
Günter Oelscher hält das für eine arg verzerrte Darstellung: Das für Melanie vom LVR gezahlte Geld fließe zu 100 Prozent in die Behindertenarbeit. „Das ist ein Solidarsystem, aus dem wir auch denjenigen ein Gehalt zahlen, die gar keine Leistung erbringen können.“ Oelscher räumt ein, dass es für andere Arbeitgeber einfacher wäre, Behinderte einzustellen, wenn sie einen Teil des persönlichen Budgets erhielten. Das entspräche dem Geist des Sozialgesetzbuchs IX, das Behinderten seit zehn Jahren die freie Berufswahl garantiert. Ohne Erfolg: 95% der Behinderten arbeiten in Werkstätten. Da werde der Gesetzgeber nachjustieren, so Oelscher.
Melanie muss darauf nicht warten, sie hat eine Einrichtung mit Pioniergeist gefunden: Die Lebenshilfe-Werkstatt in Rees ist bereit, sie anzustellen, zu betreuen und einen Teil ihres Budgets an die Jona-Kita weiterzuleiten, bei der sie weiter arbeitet. Gerade feilt man mit dem Landschaftsverband an dem Vertrag. Die Zeichen stehen auf Happy End.