Essen/Datteln/Neuss. . Kinder und Jugendliche mit Behinderung werden zunehmend in Regelschulen integriert. So auch Nikola, die mit Erfolg und Begeisterung eine Regelschule besucht. Aber ihre Eltern mussten hart dafür kämpfen.
Nikola ist erst sieben. Aber ihr Aktenordner mit Behördenschreiben ist schon kiloschwer. Nikola war ein Frühchen, bei der Geburt war die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn unterbrochen. Das Mädchen leidet nun unter Tetraspasmen. Sie kann Arme, Hände und Beine kaum steuern und ist entwicklungsverzögert.
Seit sie auf der Welt ist, kämpfen die Eltern darum, ihr ein Leben in der Mitte der Gesellschaft zu ermöglichen. Sie teilhaben zu lassen und so gut wie möglich zu fördern. Der Kampf ist mühsam, aber er lohnt sich, sind sie überzeugt. Nikola ist ein fröhliches Mädchen, das in der Gemeinschaftsgrundschule, die es seit September besucht, schon gute Fortschritte gemacht und Freundinnen gefunden hat.
Das Schulamt wollte Nikola nach dem integrativen Kindergarten in die Schule für Kinder mit geistigen Entwicklungsstörungen schicken. „Da haben wir dann selbst eine Schule gesucht,“ erzählt Silke Welter, die Mutter. Das bedeutete Klinkenputzen und viele Behördengänge. An der St. Konrad-Schule in Neuss stieß man auf offene Ohren, nur war die bereits integrativ arbeitende Schule nicht barrierefrei.
Einige Schriftwechsel und eine Anfrage beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) später zahlte der LVR 16 000 Euro „Inklusionspauschale“. Für Rampen, Wickeltisch und so weiter. Das städtische Sozialamt übernahm die Kosten für die Integrationshelferin für Nikola, die ihr bei allem hilft, was ihr Körper ihr verweigert. Allerdings zahlt das Amt nur für die Unterrichtszeit. In der Schulbetreuung nach dem Unterricht muss die Familie die Kosten für die Integrationshelferin selber tragen.
Ohne Kampf
funktioniert fast nichts
Nikola ist auch in der Betreuung, weil die Zeit in der Schule nach dem Unterricht für sie die einzige Möglichkeit ist, mit ihren Freundinnen zu spielen. „Sie kann nicht mal eben zur Freundin nach nebenan gehen. Gegenseitige Besuche sind aufwändig zu organisieren, auch wegen der Therapietermine an den Nachmittagen,“ erklärt Silke Welter. Über 300 Euro zahlt die Familie derzeit für die Integrationshelferin nach dem Unterricht. Eine Anfrage wegen Kostenübernahme liegt beim Petitionsausschuss des Landtags. Ohne Kampf funktioniert fast nichts.
Die Erfahrung hat auch Wolfgang Maluck aus Datteln gemacht. Der Vater von vier Kindern hat – mit zwei anderen Familien – eineinhalb Jahre darauf hin gearbeitet, dass sein Sohn Niklas (10) ab Sommer in eine weiterführende Regelschule gehen darf. Niklas kam mit dem Down Syndrom zur Welt. Der Platz in der Regel-Grundschule war relativ leicht zu haben. Nur: Die Kostenerstattung für die notwendige Integrationshelferin in der Schule mussten sie einklagen. Sie bekamen Recht.
Auch der 18 Monate währende Streit um ein gemeinsames Unterrichtsangebot in der weiterführenden Schule hat gelohnt: Vor wenigen Tagen gab die Schulaufsicht in Münster grünes Licht. Ab August dürfen in Datteln Gymnasium und eine Realschule gemeinsamen Unterricht anbieten.
Unterstützung von der Grundschullehrerin
Überhaupt: Wer kämpft, bekommt meist Recht. „Aber nicht alle Eltern können das. Nicht alle haben die Kraft und das Durchsetzungsvermögen“, hat auch Andrea Meth festgestellt.
Ihre Tochter Elena ist mit ihren elf Jahren ganze 80 Zentimeter groß und wiegt zwölf Kilo: Sie hat Glasknochen, ist auf den Rollstuhl und viele Hilfen angewiesen. Sie kann schreiben, aber nicht den Stift öffnen. Dazu fehlt oft die Kraft. Ihr IQ liegt bei 122, also leicht über dem Durchschnitt. Elena sollte der Schule für Körperbehinderte zugewiesen werden. „Da wäre sie völlig unterfordert gewesen“, ist Andrea Meth sicher. Viele Schulen scheuten jedoch die Aufnahme. Die Mutter putzte Klinken. Mit Erfolg.
Kaum hatte sich Elena in der Grundschule eingelebt, kümmerte sich die Mutter um die nächste Station. „Ich habe tolle Unterstützung von der Grundschullehrerin bekommen. Trotzdem war es mühsam.“ Letztlich öffnete das katholische BMV-Gymnasium in Essen seine Türen. Dort, unter 1600 Mädchen, fühlt Elena sich nun wohl. Und ist jedes Mal stolz, wenn sie etwas schneller geschafft hat als ihre gesunden Freundinnen.