Essen-Werden. .

In 91 Jahren und über vier Generationen kümmert sich die Mediziner-Familie Behrendts um die Gesundheit der Werdener. Dabei wollte der Ur-Opa eigentlich Soldat werden - und widmete sich nur dank eines gebrochenen Arms der Medizin.

„Alles Ärzte – und einer war Pastor“, sagt Dr. Paul Behrendt, wenn er von seiner Familie spricht. In 91 Jahren und über vier Generationen sind die Behrendts Mediziner in Werden, die Praxis wurde jeweils vom Vater an einen Sohn weiter gegeben. Je nach den Umständen zog man auch mit der ganzen Praxis um: Von der Propsteistraße in die Heckstraße, von dort in die Hufergasse 24. Dort hat jetzt Stefan Behrendt, Urenkel der Familien-Dynastie, das Sagen.

Begonnen hat alles mit Urgroßvater Dr. Georg Behrendt, der sich 1920 in Werden niederließ, nachdem ihn die Franzosen aus dem Elsass ausgewiesen hatten, aus Merlebach, weil er Deutscher war. Auf den „Ausweisungsbefehl Nr. 1“ ist die Familie noch heute sehr stolz. Der Urgroßvater hatte in Straßburg Medizin studiert, wurde Chirurg und ging nun als solcher in Werden an das Evangelische Krankenhaus. Als der dortige Chefarzt Dr. Köster verstarb, übernahm Dr. Behrendt die Leitung der Chirurgie.

Seine Nachkommen erzählen sich schmunzelnd eine Anekdote über den Uropa: Der habe ja eigentlich Soldat werden wollen, Kavallerist wegen seiner Liebe zu den Pferden. Doch eines dieser undankbaren Viecher habe ihn abgeworfen, so dass der Reitersmann sich den rechten Arm brach, hinfort nicht mehr richtig „preußisch grüßen“ konnte – und nunmehr die Wissenschaft der Medizin in Angriff nahm.

„Man musste jede Nacht raus“

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Von DerWesten

Bereut hat er diesen Schritt nie, denn gleich während des Studiums fand er einen sehr interessanten Freund: Albert Schweitzer. Der ging später nach Afrika. Georg Behrendt jedoch mit Frau Elise und Sohn Paul nach Werden. Paul bekam noch einen Bruder, Georg, der ebenfalls Arzt wurde und nach Dortmund „auswanderte“.

Zur damaligen Zeit konnten Ärzte gleichzeitig Kliniker und praktisch niedergelassene Ärzte sein. So gründete der Urgroßvater im Haus Ecke Viehauser Berg/Propsteistraße 1920 die Praxis. Sohn Paul übernahm sie und führte sie weiter bis 1970. Das Evangelische Krankenhaus hatte inzwischen eine Wandlung durchgemacht: 1942 war es Reserve-Lazarett und wurde später Medizinische Klinik, unter Leitung von Prof. Heyme. Dr. Paul Behrendt (Sohn) erinnert sich: „Wir waren zugleich auch Knappschafts-Ärzte, mussten mit einfahren“. Es habe damals eine dramatische Operation unter Tage gegeben: „Der Bergmann war vom herabstürzenden Gestein eingeklemmt, sein Bein musste amputiert werden“. Die Rettungsaktion habe 48 Stunden gedauert.

Es gab auch noch keinen Notdienst für die Bevölkerung, wie heute - „man musste jede Nacht raus“, sagt Dr. Paul Behrendt. Er selbst hat als Kind in Werden die Heckerschule besucht, wurde von Vater Paul und Mutter Anneliese dann aber nach Bayern ins Internat geschickt, wo er unter anderem auch die Fotografie erlernte, was ihm, wie er sagt, „heute noch zugute kommt“.

„Die Jahre von 2004 bis 2006 waren unsere schönste Zeit“

Selbstredend studierte er dann Medizin, in Freiburg. Als die Essener Uni gegründet wurde, kam er heim, machte hier 1966 sein Staatsexamen und promovierte bei Prof. Mellin. Als Vater Paul starb, übernahm der Sohn die verwaiste Praxis, zog mit ihr auf die Heckstraße Nr. 6, von dort 2005 „am Nikolaustag“ in die Hufergasse 24. „Die Jahre von 2004 bis 2006 waren unsere schönste Zeit“, sagen Paul und Stefan Behrendt wie aus einem Mund.

Und warum nicht länger? Da lachen beide: „Nach gesetzlicher Regelung muss ein niedergelassener Arzt mit 68 Jahren aufhören, wegen der Krankenkassen-Zulassung“. Aber da ist ja noch Frau Doris und das Verlagshaus Woeste in Kettwig. Alljährlich bringt Paul Behrendt, der sich auch als Schriftsteller in der Heimat-Geschichte einen Namen gemacht hat, einen großformatigen Kalender heraus, mit Fotos von Kettwig, Werden und Umgebung, die sich sehen lassen können. Aus seiner Heimatliebe spricht allenthalben noch sein Freund und Patient Jan Bart.

Lange rätselten Verwandte, wer von den Söhnen Dirk, Jörg und Stefan die Familientradition fortsetzen werde. Es ist der Jüngste, Stefan, bei dem auch die Liebe des Uropas zu den Pferden wieder durchgekommen ist: Stefan ist Reiter, Turnier-Arzt des Lintorfer Reit- und Fahrvereins – und er hat bereits für die fünfte Generation gesorgt.

Töchterchen Hannah ist 18 Monate alt. Seine Ehefrau Christiane lernte Stefan sozusagen „durch die Fensterscheibe“ kennen: Beim Blick aus der Praxis auf die Hufergasse sah er unten eine junge Dame entlang gehen. Es war Liebe auf den ersten, zweiten und dritten Blick.