Essen. .
Kulturbüro, Wirtschaftsförderung und Künstlergruppe Freiraum arbeiten Hand in Hand, um die Nordstadt als Kreativquartier zu entwickeln. Der Dialog mit Immobilienbesitzern an der Schützenbahn steht vielleicht kurz vor dem ersten Erfolg.
Für die Künstlergruppe „Freiraum“ scheint sich jetzt in Essen doch etwas zu bewegen. Offensichtlich gibt es Immobilienbesitzer, die den Kreativen attraktive Räume in der Nordcity vermieten wollen. Und dies zu Bedingungen, die Jung-Künstler, Sänger, Tänzer oder Schauspieler nicht gleich in den finanziellen Ruin treiben. Wenn es nach den Vorstellungen von Kulturbüro und der Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft (EWG) ginge, könnte man sogar sagen, Freiraum schwebt demnächst nicht mehr im luftleeren Raum.
Denn nachdem sich die spontane Besetzung der alten Gewerkschaftszentrale an der Schützenbahn im vergangenen Jahr nur von kurzer Dauer erwiesen hatte, signalisierten jetzt private Immobilienbesitzer in unmittelbarer Nachbarschaft Interesse am Projekt Freiraum. Dessen Protagonisten benötigen Atelier-, Veranstaltungs- und Ausstellungsflächen. Dabei spricht man im Kulturbüro von Dezernent Andreas Bomheuer von Größenordnungen von mehreren 100 bis über 1000 Quadratmetern.
„Wir arbeiten auch als EWG schon lange daran, das Viertel als Kreativquartier zu entwickeln“
Viel Freiraum also, der auch für den Sprecher der kreativen Initiative, Joscha Hendricksen, nötig ist, wenn man die Kreativen in der Stadt halten möchte. Das will nicht nur der Kulturdezernent, der gerade Zuständigkeiten und Arbeitsweise des Kulturbüros neu strukturiert. Auch die EWG sieht in der Ansiedlung von Kreativen und deren Umfeld einen klaren Standortvorteil für die sich (hoffentlich) neu erfindende Nordcity.
Dieter Flick, zuständig bei der EWG auch für die Standortentwicklung der Innenstadt, zeigt sich da zuversichtlich. Die ersten Immobilienbesitzer, mit denen man jetzt in ganz konkreten Gesprächen sei, stünden der neuen Nutzung durch Freiraum absolut positiv gegenüber. „Wir arbeiten auch als EWG schon lange daran, das Viertel als Kreativquartier zu entwickeln“, sagt Flick. Die Kunstszene könne dabei wie eine Art Katalysator wirken und dadurch auch andere anziehen. Flick verweist auf Quartiere in anderen Städten, die genau diese Entwicklung bereits hinter sich hätten und mittlerweile „in“ und vor allem richtig teuer sind.
Von diesen „Gentrifizierungstrends“ könne natürlich in Essen noch keine Rede sein, aber es gehe ja auch eher darum, ein Viertel als Teil der Stadt aufzuwerten, Leerstände zu vermeiden, die keinem gut tun. Im Endeffekt profitierten auch die Immobilienbesitzer von einem belebten Umfeld, bewohnten und genutzten Gebäuden, die man dadurch auch vor dem Verfall rettet. Die ersten Eigentümer an der Schützenbahn, die sich hier - zugegebenermaßen zu niedrigeren Mietpreisen - engagieren, hätten dabei so etwas wie eine Pilotfunktion. Dass EWG und Kulturdezernent Bomheuer dabei an einem Strang zögen, mache wohl auch auf die Eigentümer Eindruck. „Man weiß nun, das auch die Stadt hinter dem Projekt steht.“
Kirche bietet Freiraum
„Wir müssen die Entwicklung der Nordcity auch von der Kunst her denken“
Neben Freiraum und der EWG ist das Kulturbüro dritter Handelnder im Bund. Dort geht es um den Kontakt zu den Künstlern, Studenten, kurz: zu den Kreativen, die Raum brauchen aber auch das Viertel in gewisser Weise zu ihrem machen sollen. „Wenn man zu lange wartet, besteht die Gefahr, dass sich die Künstler anders orientieren und Essen den Rücken kehren. Das wäre ein Verlust“, sagt Alfons Wafner, der im Kulturbüro die Zusammenarbeit mit den Partnern EWG und Freiraum entwickelt. Kulturdezernent Andreas Bomheuer spricht schon von einem Paradigmenwechsel auch bei der Förderung von Künstlern in Essen.
Zwar solle das, was bis jetzt gefördert werde, weiter unterstützt werden. Aber mit Freiraum gehe man neue Wege, stoße an und hoffe, dass auch die wirtschaftliche Rechnung aller Beteiligten aufgehe. Dabei rechnet er auch mit politischer Rückendeckung. Die Grünen hat er auf jeden Fall hinter sich: „Wir müssen die Entwicklung der Nordcity auch von der Kunst her denken“, so Elisabeth Mews, kulturpolitische Sprecherin der Grünenfraktion und Mitglied des Kulturausschusses. Dort soll in der Septembersitzung das Projekt präsentiert werden, im Oktober möglichst der Beschluss fallen.
Spannend: Bei möglichen Unterstützungen lassen sich beim Freiraum-Projekt Kultur- und Wirtschaftsförderung längst nicht mehr eindeutig trennen.
Drei Fragen an Joscha Hendricksen: „Ich sehe die Entwicklung positiv“
Die Besetzung des DGB-Hauses durch die Künstler-Initiative „Freiraum 2010“ sei im vergangenen Jahr so etwas wie ein Weckruf gewesen, sagt Andreas Bomheuer. Freiraum-Sprecher Joscha Hendricksen begrüßt nun die Pläne, in der Nordstadt ein Kreativquartier etablieren zu wollen.
Über ein Jahr haben Sie für mehr Freiraum gekämpft. Offenbar ja nun mit Erfolg?
Joscha Hendricksen: Im Moment sehe ich die Entwicklung sehr positiv, es passiert etwas und das Gesprächsklima zwischen uns und dem Kulturbüro ist gut. Für eine Einordnung ist es aber noch zu früh. Am Ende müssen wir schauen, ob die Flächen geeignet und vor allem bezahlbar sind. Das alles gilt es abzuwarten. Ich bin optimistisch aber noch nicht euphorisch. Letztlich müssen wir schauen, wie viel Freiraum sich dort wirklich umsetzen lässt.
Wie geeignet ist die Nord-City für ein Künstlerviertel?
Die Nordstadt ist sehr gut erreichbar und liegt zentral. Es bietet sich an, den Leerstand an der Schützenbahn auszunutzen. Bei allen Planungen sollte man die sozialen Probeleme dort und vor allem die Anwohner nicht vergessen. Vielleicht könnte man interkulturelle Inhalte mit einbeziehen. Es soll nicht so aussehen, als würden jetzt die Kinder aus Essen-Süd ,einmarschieren’ und das Nordviertel umkrempeln. Dafür ist es wichtig, dass von Anfang mit allen kommuniziert wird.
Ursprünglich haben Sie ein Kunsthaus gefordert. Wie passt das neue Konzept Nordstadt zu Ihrem Selbstverständnis?
Das werden wir sehen, sobald wir die ersten Immobilien besichtigt haben. Wir wollen Freiraum so schaffen, dass sich spontan Begegnungen und daraus Projekte ergeben. Wir müssen abwarten, wie sich die Idee von Fluktation umsetzen lässt. Letztlich sind die Pläne ja nicht nur für Freiraum sondern alle freischaffenden Künstler gemacht. Ich kann mir da grundsätzlich viel vorstellen. Bei uns sind Medien- und Performancekünstler, Musiker und bildende Künstler aktiv. Die Anforderungen an die Räume sind also sehr spezifisch. Grundsätzlich sehe ich aber ziemlich positiv in die Zukunft.