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Zwei Abiturienten, zwei Extreme: Für Marie ist das Abi etwas Großes, Stefan sieht’s nüchtern. Und ihre Einstellungen drücken sie auch auf der Abschluss-Feier durch ihre Kleidung aus.
Am schlimmsten war die mündliche Prüfung in Psychologie. „Ein Kraftakt.“ Drei Wochen hat Marie Schnitzler durchgepaukt, zwei schriftliche Prüfungen und eine praktische mit gerötetem Kopf hinter sich gebracht, jedes Mal mit dem mulmigen Gefühl im Bauch: Jetzt kommt noch der Psychologie-Test. „Ich hatte große Prüfungsangst. Panik, dass ich’s nicht schaffen könnte.“ Sie hat es geschafft: Ihr Abitur hat die 19-Jährige in der Tasche - mit welcher Abschlussnote, das wolle sie noch nicht verraten, sagt sie mit verschwörerischem Lächeln. Nur soviel: „Ich hab’s mir verdient, zu feiern.“
Abi-Ball als Wirtschaftsfaktor
Wirtschaftsfaktor Abi-Ball – Marie kann das schon bald nicht mehr hören. In den vergangenen Wochen sei so viel Negatives darüber geschrieben worden, welch horrende Summen Deutschlands Jugend für ihre Abschlussbälle ausgibt; Marie schüttelt dazu mit dem Kopf, dass das streng nach hinten gebundene blonde Haar hin- und herwackelt. „Mein Abitur mache ich nur einmal, für mich ist das ein wichtiger Schritt“, sagt sie mit glühenden Wangen. „Dafür will ich schick sein.“
Schick sein, das kostet in diesem Fall mehr als 550 Euro - für Friseur, Schuhe und Kleid. Nicht irgendein Kleid, wohlgemerkt: Für den Abi-Ball im Bochumer Ruhrcongress mit ihren über 160 Mitschülerinnen des B.M.V-Gymnasiums, mit Eltern und Freunden hat sich Marie von der Schneiderin Martina Luft ihre Abendgarderobe schneidern lassen. „In den Geschäften gab es einfach nichts Passendes.“
Das Kleid als Geschenk zum Abi
Perlenbestickt und schlicht ist der rosafarbene Zweiteiler, den die schlanke Frau zum letzten Mal im Atelier anprobiert; noch hat’s keine ihrer Freundinnen gesehen und ein bisschen ist Marie traurig, dass es nun in der Zeitung abgebildet ist. „Man ist ja gespannt, was die anderen so tragen.“ Da wird geguckt und getuschelt - jede Abiturientin steht im Scheinwerferlicht. „Meine Eltern schenken mir das Kleid zum Abitur. Andere bekommen eine Reise, ich eben mein eigenes Kleid.“
Stefan findet das völlig überzogen. „Andere haben weitaus Größeres geleistet, als ihr Abitur zu bestehen. Es pompös mit teurem Kleid oder Anzug zu feiern, ist oft nur Angeberei.“ Der groß gewachsene 19-Jährige ist eher der unauffällige Typ; sportlich gekleidet, das blonde Haar kurz geschnitten. Viel Aufhebens um sich macht er nicht, will weder seinen Nachnamen noch sein Gesicht in der Zeitung sehen. Auch das Abitur, das er kürzlich an einer Essener Gesamtschule bestanden hat, ist für ihn keine große Sache. „Viel gelernt für die Prüfungen habe ich nicht gerade“, gibt er mit schelmischem Lachen zu, das sich wohl nur einer erlauben kann, der trotzdem Gutes geleistet hat: „2,1 Durchschnitt“ - kein großes Geheimnis und keine große Feier: Wenn er könnte, würde der 19-Jährige am liebsten nur mit den engsten Kumpels im heimischen Partykeller anstoßen.
Ganz so leicht kommt er aber nicht davon: Mit der Freundin geht’s in schwarzer Jeans, Hemd und Blazer (150 Euro) zur Abiturfeier, die nicht in einen Bochumer Ballsaal, sondern in eine Essener Diskothek stattfinden wird. Wie Marie Schnitzler zahlen auch Stefan und seine rund 60 Mitschüler je 24 Euro Eintritt zu ihrer Abitur-Party. Dafür gibt es ein paar Gaumenfreuden, zum Dessert aber vor allem den Ohrenschmaus: Am späten Abend öffnet die Diskothek ihre Türen für die regulären Nachtschwärmer – eine Abiturfeier unter Fremden.
Auf einen neuen Lebensabschnitt
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Denn anders als bei Marie will Stefan seine Familie nicht mit zur Feier bringen; nur ein paar enge Freunde aus dem Jahrgang – mit dem Rest der Stufe habe er auch nicht viel am Hut. „Ich erwarte von dem Abend nicht viel. Wichtiger ist mir, später mal mit meinen Freunden in aller Ruhe zu feiern.“ Einen Grund zu feiern gebe es ja schon: „Wir stehen jetzt vor einem nächsten Lebensabschnitt“, sagt Stefan und klingt einmal fast wie Marie. Aber: „Um darauf anzustoßen, muss keiner einen teuren Anzug tragen.“
Was Stefan anfangen wird, weiß der 19-Jährige noch nicht so genau. Studieren möchte er auf jeden Fall. Aber was, das habe er noch nicht entschieden. Marie Schnitzler hat sich schon eine Hochschule ausgesucht, sie will in Düsseldorf Mode- und Design-Management studieren. Und danach: „Mal sehen, wohin ich komme. Beim Abi-Ball werde ich zum letzten Mal mit der ganzen Stufe zusammenkommen. Ich will mich verabschieden.“ Jeder eben auf seine Art.