Essen. Dr. Sommer heißt eigentlich Martin Goldstein - und klärte 14 Jahre lang die jungen Leser der Jugendzeitschrift Bravo auf. Am Dienstag war der mittlerweile 83-jährige Arzt und Psychotherapeut in der Uni Duisburg-Essen zu Gast.

Anfassen war verboten. Sich selbst zu berühren sowieso. Bis Martin Goldstein die Verbote ignorierte, sich selbst, die Frauen und die Liebe entdeckte. Seitdem hat sich der heute 83-Jährige der sexuellen Aufklärung verschrieben. Und mischte im Auftrag der „Bravo“ über 14 Jahre lang als Dr. Sommer im Liebesleben pubertierender Jugendlicher mit. Am Dienstag lud der Arzt und Psychotherapeut zur Sprechstunde in die Uni Duisburg-Essen.

Adelheid Heidelbach und Elsa Bade-Flöttchen gehörten damals zu der Sorte Eltern, die nicht gut auf Dr. Sommer zu sprechen waren. „Ich habe meinen Kindern verboten, die Bravo zu lesen“, gibt Adelheid Heidelbach zu. Heute ist die 75-jährige Gasthörerin gekommen, um Dr. Sommer selbst Fragen zu stellen. „Damals war Sexualität noch ein Tabuthema über das man nicht sprach“, erinnert sie sich. „Gut, dass es heute anders ist.“

Jugendliche sollten mit Lebenslust aufwachsen

Dazu hat Martin Goldstein eine Menge beigetragen. Auf Einladung des „Schwubile“, dem Schwul-Lesbischen Referat der Uni kam er gestern in die Bibliothek, wo er von seinem Leben und seiner Arbeit plauderte. Geboren als Sohn eines jüdischen Vaters und einer protestantischen Mutter wuchs er im frommen Glauben auf, dass Lust gleich Sünde bedeute. „Mit meinen Eltern konnte ich nie über Sexualität sprechen“ , erinnerte sich Goldstein. Dabei habe er Mädchen schon früh als „sagenhafte Gestalten“ empfunden. Später, in den Sechziger Jahren, lernte er in der Evangelischen Jugendarbeit, wie Jugendliche ticken. Und fing an, sich mit dem Thema Geschlechtserziehung zu befassen. Mit seinem Aufklärungsbuch „Anders als bei Schmetterlingen“, das 1967 erschien, wurde die Bravo auf ihn aufmerksam.

Der Mann, der bei Bravo Dr. Sommer war

Zehn Beispielfragen, die heute an die Bravo gestellt werden:
Zehn Beispielfragen, die heute an die Bravo gestellt werden: "Ich bin seit zirka drei Monaten so rallig. Ich denke den ganzen Tag nur an Sex. Ich will endlich wissen, wie es ist, da ich noch Jungfrau bin, und erst 15. Ich habe keine Ahnung, was ich machen soll."
"Immer wenn ich einen Typen sympathisch finde und mich in ihn verliebe, stellt sich raus, dass er vergeben ist oder in eine andere verliebt. Wenn einer sich für mich interessiert, ist er gar nicht mein Fall. Und dabei meine ich nicht das Äußerliche. Habt ihr irgendwelche Tipps?"
"Ich habe manchmal im Schlaf einen Samenerguss. Einmal träume ich von gar nichts Sexuellem und teilweise schon. Ich finde das sehr ekelhaft, am nächsten Morgen in einem mit Ejakulat beschmierten Schlafanzug aufzuwachen. Was kann ich da tun?"
"Meine inneren Schamlippen gucken sehr stark aus den äußeren heraus. Das is mir echt richtig peinlich. Mein Freund meint, das kommt von zu viel Sex (ich hatte schon eine zweijährige Beziehung)."
"Könnt ihr mal schreiben, wie ich oder auch andere Jungs erkennen können, dass ein Mädchen, auf das ich stehe, auch auf mich steht?"
"Vom Traummann hatte ich immer eine Vorstellung: 1. größer als ich, 2. schlank, 3. Sixpack! Jetzt habe ich jemanden kennengelernt: 1. so groß wie ich, 2. dick, 3. kein Sixpack! Hab das totale Kribbeln im Bauch! Heißt das, dass ich ihn liebe, obwohl er das krasse Gegenteil ist?"
"Mein Hodensack hängt immer und ist so labberig. In vielen Pornos ist der Hodensack ein Ball oder so. Ist das normal und wie kann ich auch so aussehen?"
"Ich bin 15 und noch Jungfrau. Ich denk oft an Sex. Wenn ich mit 'nem Typen enger tanze und er mich dabei anfasst, will ich mehr. Ich sehn mich voll nach Sex. Doch ich bin erst 15. Soll ich warten? Und könnt ihr mir Tipps geben, wie ich mich beherrschen kann?"
"Ich bin nur angenervt von mir selbst. Ich will unbedingt ne Freundin und sehne mich danach, von jemandem geliebt zu werden. Meine Freundinnen meinen zwar, ich hätte voll den tollen Charakter, aber was bringt mir das bitte, wenn ich trotzdem scheiße aussehe? Könnt ihr helfen?"
"Vor etwa zwei Monaten habe ich zufällig mitbekommen, dass mein Freund regelmäßig Pornofilme schaut. Seitdem habe ich totale Komplexe, schlafe nicht mehr gerne mit ihm und bin total eifersüchtig. Was kann ich tun, um darüber hinweg zu kommen?"
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Von 1969 bis 1984 löcherten ihn über eine halbe Million Jugendliche mit Fragen zur Sexualität. „Wird man vom Küssen schwanger?“, „Sind zwei Kondome sicherer?“ Er wurde zum Aufklärer der Nation. Dabei war ihm immer wichtig, den Heranwachsenden keine Richtlinien vorzubeten, sondern Lösungswege für ihre Probleme zu zeigen. „Jugendliche sollten mit Lebenslust aufwachsen, nicht mit Warnungen.“

Bravo-Ausstellung

Ausstellungsmacher Erwin In het Panhuis zeigt Bravo-Exponate in Duisburger Stadtbibliothek. 

Bild: Stephan Glagla / WAZ FotoPool
Ausstellungsmacher Erwin In het Panhuis zeigt Bravo-Exponate in Duisburger Stadtbibliothek. Bild: Stephan Glagla / WAZ FotoPool © Stephan Glagla / WAZ FotoPool
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Jugendliche sind heute nicht besser aufgeklärt

Bleibt die Frage, die ein Student stellt: „Sind Jugendliche heute besser aufgeklärt? „Nein“, stellt Martin Goldstein fest. Bemerkt aber. „Früher herrschte Zwang zur Keuschheit, heute ist es umgekehrt.“ Auch Eltern möchte Goldstein einen Ratschlag ans Herz legen. „Ihr seid stolz auf eure Kinder, wenn sie ihr erstes Wort sagen, wenn sie ihre ersten Schritte gehen. Dann seid auch stolz auf sie, wenn sie sexuell werden.“

Schwule in der Bravo

Schwule umpolen? Als die Deutschen offener über Schwule und Lesben sprachen, hatten die Jugendlichen viele Fragen, so wie diese aus dem Jahr 1983. Der Ausschnitt aus der Jugendzeitschrift Bravo gehört zur Ausstellung
Schwule umpolen? Als die Deutschen offener über Schwule und Lesben sprachen, hatten die Jugendlichen viele Fragen, so wie diese aus dem Jahr 1983. Der Ausschnitt aus der Jugendzeitschrift Bravo gehört zur Ausstellung "50 Jahre Schwule und Lesben in der Bravo", die in Köln zu sehen ist. Sie zeigt, wie die Jugendzeitschrift mit dem Thema umging.
Hinter den Bravo-Aufklärungsseiten steckte dieser Mann: Dr. Sommer, der jede Woche körbeweise Briefe von pubertierenden Jugendlichen bekam. Viele Verunsicherte beruhigte er mit den groß gedruckten Worten:
Hinter den Bravo-Aufklärungsseiten steckte dieser Mann: Dr. Sommer, der jede Woche körbeweise Briefe von pubertierenden Jugendlichen bekam. Viele Verunsicherte beruhigte er mit den groß gedruckten Worten: "Du bist nicht schwul!" Die Ausstellung zeigt erstmals Fotos wie dieses aus den 70er-Jahren, als "Dr. Sommer" noch persönlich den Kummerkasten leerte.
"Dr. Sommer" war natürlich ein Pseudonym - der Mann hieß Martin Goldstein und war Arzt und Sozialarbeiter. Für Bravo arbeitete er von 1969 bis 1984. Die Aufklärungsseiten erscheinen aber noch immer unter der Marke "Dr. Sommer" - dagegen hatte Goldstein nach seinem Ausscheiden sogar geklagt.
Heute ist Goldstein 83 Jahre alt. Fragen zum
Heute ist Goldstein 83 Jahre alt. Fragen zum "ersten Mal" waren ein Dauerbrenner in der Bravo - seinen ersten Sex hatte Goldstein nach eigenen Angaben erst mit 27 Jahren. Bei der Ausstellungseröffnung wird er auch dabei sein.
Das Dr.-Sommer-Team bei der Arbeit. Schon kurz, nachdem der Chef mit seiner Arbeit begonnen hatte, musste die Zeitschrift zusätzliche Experten einstellen, um die vielen Zuschriften zu bewältigen.
Das Dr.-Sommer-Team bei der Arbeit. Schon kurz, nachdem der Chef mit seiner Arbeit begonnen hatte, musste die Zeitschrift zusätzliche Experten einstellen, um die vielen Zuschriften zu bewältigen.
Auch in der Bravo war nicht jede Formulierung genehm: Was 1983, wie bei dieser Frage, zu explizit schien, schrieben die Redakteure um. So wurde
Auch in der Bravo war nicht jede Formulierung genehm: Was 1983, wie bei dieser Frage, zu explizit schien, schrieben die Redakteure um. So wurde "gegenseitig befriedigen" zu "zärtlich zueinander sein". Der Ausschnitt gehört zum Begleitbuch der Ausstellung - er zeigt, dass auch Bravo nicht jedes Tabu brach.
"Wenn Mädchen Mann und Frau spielen": So lautete der Titel einer Reportage über Sex zwischen Mädchen aus dem Jahr 1972. Verfasst hatte sie "Dr. Alexander Korff" - auch dies ein Pseudonym von Martin Goldstein.
Auf der Titelseite erschien die Überschrift nicht ganz so poetisch.
Auf der Titelseite erschien die Überschrift nicht ganz so poetisch.
Auch eine Reportage über Selbstbefriedigung druckte die Bravo als Werk von Dr. Alexander Korff. Viele dieser Geschichten waren von Goldsteins eigenen Liebeserlebnissen inspiriert. Unter Pseudonym schrieb er, weil er als Therapeut keinen schlechten Ruf bekommen wollte.
Auch eine Reportage über Selbstbefriedigung druckte die Bravo als Werk von Dr. Alexander Korff. Viele dieser Geschichten waren von Goldsteins eigenen Liebeserlebnissen inspiriert. Unter Pseudonym schrieb er, weil er als Therapeut keinen schlechten Ruf bekommen wollte.
"Soll man schwule Stars enttarnen?" Das fragte die Bravo im Januar 1992, kurz nachdem bekannt worden war, dass Hape Kerkeling schwul ist.
Manchmal sorgte Bravo sogar selbst für Schlagzeilen - wie 2004, als sich der schwule Sohn einer bayerischen Bürgermeisterin nackt im Heft präsentierte.
Manchmal sorgte Bravo sogar selbst für Schlagzeilen - wie 2004, als sich der schwule Sohn einer bayerischen Bürgermeisterin nackt im Heft präsentierte.
Durch die Komödie
Durch die Komödie "Traumschiff Surprise" konnte auch Bravo dem Thema Homosexualität seine witzige Seite abringen.
Die Ausstellung selbst findet in einer evangelischen Kirche statt. Bravo bekommt dort sogar eine Geburtstagstorte kredenzt - zur Eröffnung wird die Jugendzeitschrift 54 Jahre alt. Bilder: Centrum Schwule Geschichte
Die Ausstellung selbst findet in einer evangelischen Kirche statt. Bravo bekommt dort sogar eine Geburtstagstorte kredenzt - zur Eröffnung wird die Jugendzeitschrift 54 Jahre alt. Bilder: Centrum Schwule Geschichte
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