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Lady Gaga twittert Fotos von ihrer neuen Frisur, Justin Biebers Liebesleben wird in Blogs diskutiert. Wie will eine Jugendzeitung heute in der Generation Internet bestehen? Die Bravo setzt auf Facebook und hält an Dr. Sommer fest.
Wer sich vor 20 Jahren über seine Stars informieren wollte, kam kaum an der Bravo vorbei. Heute twittert Lady Gaga Bilder von ihrem nackten Po, Justin Biebers Liebesleben wird ausführlich in Blogs diskutiert, und fast jede Band hat eine eigene Homepage. Wie sich die Bravo in der Generation Internet behaupten will, erklärt Chefredakteur Philipp Jessen im Interview.
Kann eine Jugendzeitschrift in der Generation Internet überhaupt noch funktionieren?
Philipp Jessen: Selbstverständlich. News verbreiten sich im Netz sehr schnell. Aber Bravo hat einen exzellenten Zugang zu seinen Stars, so dass wir jeden Mittwoch mit vielen exklusiven Geschichten erscheinen, die man nur hier lesen kann. Außerdem setzen wir seit geraumer Zeit verstärkt auf empathische Geschichten. Wenn sich ein Star-Paar trennt, vermelden wir nicht nur die Nachricht, sondern schreiben die ganze Geschichte auf. Wie gehen sie mit ihrem Liebeskummer um? Was steckt dahinter? Somit schaffen wir Identifikation: „Dem Star geht es vielleicht genauso wie dir. Du bist nicht allein.“ Und geben dem Leser praktische Hilfestellung: „So geht Dein Star mit Liebeskummer um!“
Bravo - die Stars
Was Lady Gaga gerade macht, können wir aber bei Facebook, Twitter oder in Blogs und Fan-Foren viel schneller nachlesen.
Jessen: Allerdings sind viele Geschichten im Netz auch nur Gerüchte. Und unsere Leser sind schlau genug und so medienaffin, dass sie wissen, dass Justin Bieber nicht freiwillig seine Liebes-Geheimnisse twittert. Trotzdem wollen sie wissen, mit wem er zusammen ist. Und da kommt die gut informierte Bravo ins Spiel. Unsere Zielgruppe ist extrem kritisch und hat ein feines Gespür für journalistische Qualität. Die wollen eigene exklusive Geschichten. Jeder Bravo-Leser kennt sich im Leben seines Stars besser aus, als jeder durchschnittliche Spiegel-Leser in der deutschen Ordnungspolitik. Außerdem geht es bei Bravo ja nicht ausschließlich um Stars. Wir haben den Aufklärer Dr. Sommer auf unserer Seite. Und einen starken „Real Life“-Teil: Dazu gehören Reportagen aus dem „echten“ Leben und derzeit unsere Bravo-Aktion „Mach was!“ Und unsere Poster sehen deutlich besser aus als irgendwelche Ausdrucke von Papas Rechner.
Vor dem Internetzeitalter war die Bravo für Jugendliche oft der einzige Weg, um sich über heikle Themen wie Sex, Verhütung oder Liebeskummer zu informieren. Jetzt kann ich alles googlen. Brauchen wir Dr. Sommer heute noch?
Jessen: Unbedingt. Wenn Jugendliche heute das Stichwort „Sex“ im Internet eingeben, bekommen sie unzählige Inhalte, die aber für ihr Alter überhaupt nicht angemessen sind. Oder ihnen irgendwie weiter helfen. Natürlich ist Sexualität im Netz präsent, aber aufgeklärter sind die Mädchen und Jungen deswegen noch lange nicht. Dr. Sommer hat die Leser immer an die Hand genommen. Den Jugendlichen wird vermittelt: „Ihr seid okay, so wie Ihr seid.“ Dieses Gefühl des Aufgehobenseins ist aktuell, und aufgrund einer immer exhibitionistischer werdenden Gesellschaft wahrscheinlich sogar wichtiger denn je. Und die Masse an Zuschriften zeigt, dass Dr. Sommer längst nicht überholt ist.
Jeden Tag ein neuer Trend, ein neuer Star – die Vorlieben der Jugendlichen ändern sich ständig. Wie halten Sie sich da eigentlich auf dem Laufenden?
Jessen: Ob Beatles oder Tokio Hotel - Jugendstars vermitteln eine eigene Welt, aus der die Eltern ausgeschlossen sind. Wir müssen uns in diese Welt herein denken, unzynisch und nicht von oben herab. Wichtiges Instrument ist für uns der Leserservice. Wir werten jeden Tag die Zuschriften aus: Welcher Star ist angesagt, wer wird am meisten nachgefragt? Was ist Trend? In den sozialen Netzwerken sind wir ganz eng verzahnt mit den Jugendlichen. Jeden Montag gibt es auf meiner „Bravo Chef“-Facebook-Seite eine Themenkonferenz mit bis zu 1000 Vorschlägen. Das beste Thema schafft es dann ins Heft – mit Autorenzeile des Lesers. Wir wollen unseren Lesern auf Augenhöhe begegnen, sprechen mit ihnen und nicht über sie. Den wichtigsten Anteil hat aber die junge und tolle Bravo-Redaktion. Die lebt und liebt was sie macht. Ohne jeden Zynismus.
Wie sieht die Leserschaft der Bravo eigentlich heute aus?
Jessen: Ich erlebe eine äußerst anspruchsvolle und sehr engagierte Zielgruppe. Zu jedem Report, sei es über Tierquälerei oder Kinderarmut in Rumänien, bekommen wir zahlreiche Zuschriften – immer mit der Frage: „Was kann ich tun?“. Es mangelt in diesem Land nicht an engagierten Jugendlichen, sondern an Erwachsenen, die ihnen zeigen, wie das geht. In der Öffentlichkeit herrscht ein völlig falsches Bild von jungen Menschen, die sich ständig besaufen, viel zu früh Sex haben und nur im Netz unterwegs sind. Das ist Schwachsinn. Das Potenzial der Jugendlichen wird viel zu oft nicht erkannt.
Sie haben jüngst erklärt, es herrsche momentan „mittelmäßige Starkonjunktur“. Sind Lady Gaga, Justin Bieber und Twilight nicht erfolgreich genug? Fehlen heute Superstars wie Madonna oder Michael Jackson?
Jessen: Es ist heute immer noch möglich ein großer Star zu sein, aber es ist durchs Netz schwieriger geworden. Wenn ich mir früher eine Platte von Michael Jackson gekauft habe, kannte ich alle Texte, wusste wie er aussieht und war Fan. Heute lädt man sich ein Lied von Justin Bieber und eins von Lady Gaga runter und setzt sich gar nicht mehr mit dem Künstler und seinem Werk auseinander. Dazu kommt ein Überangebot an Künstlern. Die Bindung an die Stars ist heute nicht mehr so intensiv. Trotzdem: Ein echter Star setzt sich immer durch.