Tour de Rü - „Oldtimer stinken nicht, sie riechen!“
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130 Oldtimer haben sich bei der Tour de Rü auf den Weg gemacht. Wir haben Mickey Staub und Claudia Mertens in einem Mercedes Benz von 1954 begleitet: Warum ein Navi manchmal besser ist als ein Logbuch und man als Oldie-Fan gute Nerven braucht.
Die Zeiger der Uhr im Amarturenbrett des beigefarbenen Boliden stehen auf 17.20 Uhr. Dabei ist es gerade erst 9 Uhr morgens. Wie in diesem Mercedes Benz 300 S Coupe scheint auch die Zeit im Stadtgarten stillzustehen. Da scharwenzeln Frauen mit großen Hüten über die Allee, schwadronieren Männer über Kolben, und Vergaser, glänzen Karossen aus längst vergangenen Jahrzehnten in der Sonne.
Mickey Staub, passionierter Oldtimer-Experte, nimmt auf dem dicken grünen Lederpolster hinter dem überdimensionierten Steuer Platz. Nur 51 Stück dieses Modells sind von Mercedes produziert worden, eines u.a. für Alfried Krupp von Bohlen und Halbach. Damals kostete ein solcher Wagen so viel wie ein Eigenheim - rund 30.000 Mark. Auch sein heutiger Wert kommt wohl dem eines Einfamilienhäuschens nahe.
„Die Gurtpflicht gilt nur für Autos, die nach 1969 gebaut worden sind“
Die erste Frage an meinen Fahrer ist ein bitterer Fauxpas: Warum stinken Oldtimer eigentlich so? „Die stinken doch nicht, sie riechen höchstens etwas!“, erwidert Mickey Staub entrüstet. Für ihn ist der intensive Geruch von Benzin, alten Ledersitzen und Wurzelholz der Duft, aus dem die Träume sind. Sein langjähriger Freund Franz Maag, einer der Macher der Tour de Rü, hat ihm das wunderschöne Schlachtschiff für die Frühlingsausfahrt überlassen, „der ist ja schon seit zwei Jahren nicht mehr bewegt worden“, sagt Staub. Ob das gut geht? Immerhin liegen gut 200 Kilometer vor uns. Auf dem Beifahrersitz hat „Co-Pilotin“ Claudia Mertens das Logbuch aufgeschlagen, das den Weg weisen soll. Es kann losgehen. Instinktiv geht die Hand in die Richtung, in der ich den Anschnallgurt vermute - und greift ins Leere. „Die Gurtpflicht gilt nur für Autos, die nach 1969 gebaut worden sind“, weiß Mickey Staub, dessen Kopf voll ist mit solchen Fakten. Der 69-Jährige lebt für Autos, arbeitete jahrzehntelang bei Kahage als Autohändler. Sein Herz schlägt für Oldtimer, „weil die noch einen Charakter haben“.
Unter großer Kraftaufbringung legt er den ersten Gang ein - die Schaltung ist am Lenkrad angebracht, was damals als schick galt. Ohrenbetäubend laut tut der Motor seinen Dienst, der Mercedes rollt los. Einige Frühaufsteher an der Rüttenscheider Straße winken dem Oldtimer-Wurm zu. Es wird merklich wärmer, bemerkt auch Beifahrerin Claudia Mertens. „Die Heizung lässt sich nicht mehr runterregeln, die ist kaputt“, erklärt Staub. Immerhin verschafft der Fahrtwind durchs offene Fenster etwas Abkühlung, wenngleich wir alle etwas neidisch auf den schnittigen, offenen Jaguar XK 150S blicken, der sich an unser Heck gehaftet hat. Claudia Mertens navigiert uns ins Richtung Bergisches Land. Verschlafene Dörfchen mit so wundersamen Namen wie Oberönkfeld liegen auf der Strecke. Immer wieder grüßen uns Menschen von der Straße, vor allem den Älteren unter ihnen glänzen angesichts dieser vielen Schätzchen aus der Vergangenheit die Augen.
Tank frisst bis zu 30 Liter Spirt auf 100 Kilometern
In Ahlhausen bei Radevormwald ist es mit der Gemütlichkeit vorbei. Das Logbuch stellt uns vor ein Rätsel: Wo geht es lang?! Irgendwann geben wir uns geschlagen, Claudia Mertens holt ein Navi aus dem Handschuhfach. „Das habe ich zur Sicherheit noch aufgeladen“, sagt sie fast entschuldigend. Die restlichen Kilometer zum Ziel, dem Schloss Lerbach in Bergisch Gladbach, sind dank der künstlichen Frauenstimme, die in diesem alten Auto so schrecklich falsch klingt, schnell bewältigt. Am Ziel angekommen, erwartet uns ein überwältigender Anblick: 130 Oldies vor einem historischen Schloss sind kein alltägliches Panorama.
Tour de Rü 2011
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Fehlt eigentlich nur noch der Höhepunkt, die Parade auf der Rü. Doch bis wir dort sind, hat der Opa, in dem wir sitzen, noch einige Überraschungen parat. Irgendwo zwischen Wuppertal und Velbert bleibt der Mercedes liegen, die Steigung war zu viel für den noch verbliebenen Sprit im Tank. Erster Angstschweiß bildet sich auf der Stirn - wie kommen wir hier wieder weg? Doch Mickey Staub bleibt gelassen. Dass ein Oldie mal den Geist aufgibt, ist nichts Ungewöhnliches. Staub füllt aus dem Reservekanister nach, braucht mehrere Versuche, bis der Wagen unter ächzendem Protest wieder läuft. Bis zu 30 Liter kann der Mercedes auf 100 Kilometern fressen. „Wir brauchen jetzt ganz schnell eine Tankstelle“, sagt Mickey Staub. Quasi in letzter Sekunde rollen wir in Werden zur erlösenden Zapfsäule. Spätestens mit der Parade über die Rü, wo Hunderte Besucher den Oldtimern zujubeln, sind diese Strapazen vergessen. Der Zeiger im Armaturenbrett hat sich keinen Zentimeter bewegt. Früher war nicht alles besser - aber vieles schöner.
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