Essen.
Edna Brocke hat als Leiterin die Alte Synagoge reformiert, furchtlos den politischen Streit gesucht und Essens Tabu-Niveau gesenkt. Ein Porträt zum Abschied der 67-jährigen Judaistin.
Edna Brocke hat es keinem leicht gemacht. Nicht sich selbst und auch vielen anderen nicht, mit denen sie in den letzten 23 Jahren in Essen beruflich Kontakt hatte. Nun könnte man sagen: Ist es nicht geradezu Aufgabe der Leiterin einer Alten Synagoge, die über Jahrzehnte Gedenkstätte war, ihrer Umgebung das Leben schwer zu machen? Ja und nein. Wer an dieser Stelle eindimensional denken würde, hätte Edna Brocke, die morgen ihren letzten Arbeitstag hat, nicht verstanden. Denn je länger sie in Essen war, desto weniger mochte sie dem Rollenbild der „Berufsbetroffenen“ und Mahnerin entsprechen, die die deutsche Gesellschaft für Menschen wie sie vorgesehen hat. Weil es ja so schön bequem ist: Gedenken an den Holocaust - dafür haben wir doch die Jüdin in der Alten Synagoge...
Die Reduzierung des Jüdischseins auf die Opferrolle in der NS-Zeit und die Täterrolle in Nahost, dieses neu-deutsche Stereotyp also, empfand die stolze, selbstbewusste Jüdin Edna Brocke irgendwann als unerträglich. Mitte der 1990er Jahre begann sie mit einer Reform der ihr anvertrauten Einrichtung, die schließlich zum grundlegenden Umbau der Alten Synagoge in ein „Haus der jüdischen Kultur“ führte.
Synagoge in Schwarz-Weiß
Neben Respekt auch viel Ablehnung
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Große Teile des Essener Geschichts-Establishments gingen diesen Weg nicht mit, manche bekämpften ihn offensiv. Ihr Verhältnis etwa zum langjährigen Chef des Ruhr(land)-Museums, Ulrich Borsdorf, ist unterkühlt - um das Mindeste zu sagen. Doch Brocke, die ungeheuer stur sein kann und intellektuelle Einsamkeit gut aushält, setzte sich am Ende durch. Seit einem guten halben Jahr sind Haus und Dauerausstellung fertig, und obwohl die Shoah natürlich ein Schwerpunkt ist und bleibt, so zeigt die Schau doch auch die ganze Breite jüdischen Lebens. „Traurig bin ich ein bisschen, dass es so lange gedauert hat und nun andere die Früchte ernten“, sagt sie.
Der Grund, weshalb Edna Brocke in Essen neben Respekt auch viel Ablehnung auf sich zog, ist natürlich die Politik. Als junge Frau gestartet in der sozialdemokratischen Gedankenwelt, der sie auch noch in ihren frühen Essener Jahren anhing, wandelte sich ihr Denken und Fühlen mehr und mehr ins Liberal-Konservative, ohne dass damit eine besondere Partei-Präferenz verbunden war. Sie war dann aber die erste weit und breit, die auf den Antisemitismus nicht weniger Muslime hinwies - ein Tabu-Thema, das sie mithalf aufzubrechen. Als die Alte Synagoge 1994 und dann - weit massiver - während der zweiten Intifada im Oktober 2000 Ziel von steinewerfenden Angriffen muslimischer Extremisten wurde, wussten viele in Essen nicht wohin mit ihrer politisch korrekten Verlegenheit. Brocke hat dieses verdruckste Gutmenschentum, das klare Worte scheut, zutiefst verachtet und die Angriffe das genannt, was sie waren: Antisemitismus, diesmal nicht von Nazis, sondern eben von Islamisten.
Vorwurf des Einseitigen
Von da an war sie auf Tabu-Brecherin festgelegt - und Brocke nahm diese Rolle gern, vielleicht manchmal zu bereitwillig wahr. In ihrer Debattenreihe „Donnerstagsgespräche“ ließ sie konsequent diejenigen zu Wort kommen, für die sie im geistigen Leben der Stadt eine Marktlücke erkannte: Islam-Kritiker, Amerika-Freunde, Gegner der „Klima-Kirche“, Anwälte einer realitätsnahen Integrationspolitik. Manches davon ist heute Standard und kein großes Tabu mehr, anderes vernagelter denn je. Der Judaistin hat dieses Engagement den Vorwurf politischer Einseitigkeit eingetragen. „Wenn man es gesamtstädtisch sieht, dann konnten diese Themen eben nur in der Alten Synagoge angesprochen werden“, sagt Brocke achselzuckend. Soll heißen: Für den Ausgleich sorgten andere, eher links gewirkte Institutionen in Essen, und das - wie sie meint - im Übermaß.
Für das Klartextreden und das Spiel mit den neu-deutschen Tabus war ihre Herkunft natürlich nützlich. Einer Jüdin drückt man hierzulande nicht so schnell wie anderen den Stempel „ausländerfeindlich“ auf, jedenfalls haben da selbst die größten Eiferer Beißhemmung. Der Publizist Henryk M. Broder, für Brocke durchaus ein Bruder im Geiste, hat diese Sonderstellung des jüdischen Zeitkritikers in der deutschen Öffentlichkeit ebenso ironisch wie treffend karikiert.
„Ich scheide nicht in Bitterkeit“
Dass mancher Mitbürger ersatzweise auf Umwegen seinem Hass Ausdruck verlieh und beispielsweise bei Brocke nach Bekanntwerden einer schweren Erkrankung einige hämische Mails eintrafen, ist die Kehrseite der Medaille. Und es war wohl auch kaum ein Zufall, dass dem Autor dieser Zeilen mehr als einmal zugeraunt wurde, Brocke sei eine „Agentin des Mossad“. Ist sie nicht. Sie war aber mal Offizierin der israelischen Armee, und ist stolz darauf. Mancher fand schon das verwerflich.
Haus jüdischer Kultur
Edna Brocke hat sich nach ihrem Ruhestand vorgenommen, ein theologisches und ein politisches Buch zu schreiben, wobei man gespannt sein darf, ob ihre Essener Erfahrungen in letzteres einfließen. Sie will jetzt öfter „nach Hause“ reisen, meint damit Israel, um im selben Atemzug lachend zu gestehen, dass sie dort längst nur noch Touristin sei und es fraglich ist, ob sie dort wirklich dauerhaft leben wird. Und ja, auch das ist ihr wichtig: „Ich scheide nicht in Bitterkeit.“
Edna Brocke hat sich, wie der Oberbürgermeister bei der Verabschiedung richtig bemerkte, „um Essen verdient gemacht“. Und das gerade weil sie so kantig und unbequem war. Keiner ist unersetzlich, heißt es oft, und meistens stimmt es. Ob auch in diesem Fall, wird sich zeigen.