Essen.

Das „Gedenkstättengrau“ war Leiterin Edna Brocke schon lange ein Dorn im Auge. Sie hinterlässt ein „Haus der jüdischen Kultur“ voller Licht, Weite und Farben

Auch interessant

Von DerWesten

Seit zwei Jahre ist die Alte Synagoge Baustelle, doch nun naht langsam das Ende. Und es ist gut geworden, findet Leiterin Edna Brocke und zeigt fröhlich auf den neuen apricot-farbigen Anstrich im Innern des mächtigen Gebäudes. „Ich wollte das Gedenkstättengrau, diese reine Fixierung auf den Nationalsozialismus endlich raus haben.“ Ein Satz, den man nachklingen lassen muss, den viele für eine weitere Provokation der streitbaren Frau halten werden. Vor allem das politisch-historisch eher links gewirkte Essener Historiker-Establishment, mit dem Brocke nun seit 1988 mehr oder weniger über Kreuz liegt, dürfte kaum erbaut sein.

Bilder des Judentums

Seit den 1980er Jahren war es unstrittig, dass die Alte Synagoge genau jenem Zweck zu dienen hatte, den eine Gedenktafel am Eingang so umriss: „Dieses Haus ist stummer Zeuge eines furchtbaren Geschehens...“ Edna Brocke gefällt das Wort „Geschehen“ nicht, weil es in Wahrheit ein Verbrechen war. Aber das ist nicht entscheidend. Wichtiger ist ihr, das die Gedenkstätte in ihrer baulichen und konzeptionellen Gestalt ein Bild vom Judentum verfestigen half, das die 1943 in Tel Aviv geborene Judaistin schon lange als einseitig empfindet. „Drei Bilder stecken hierzulande in den Köpfen“, sagt sie: „Der alte Mann mit Bart und Kaftan, die Leichenberge der NS-Vernichtungslager, und die bösen Israelis, die unschuldige Palästinenser erschießen.“

Die Alte Synagoge in den 20er-Jahren. Foto: Archiv
Die Alte Synagoge in den 20er-Jahren. Foto: Archiv

All das Bedrückte, Verdruckste und ja, das stumm Machende der Alten Synagoge soll künftig nicht mehr prägend sein. Stattdessen will sie die ganze Breite jüdischen Lebens zeigen, den Sportverein in Israel, den jüdischen Motorradclub in New York und natürlich auch die vielen deutsch-jüdischen Bezüge mit Schwerpunkt Essen. 2500 jüdische Essener überlebten den Holocaust, sie und ihre Nachfahren verschlug es in alle Welt. Ein Exponat wird das besonders unterstreichen: ein Panamahut. Er stammt von vertriebenen Essenern, die in Ekuador in Südamerika eine Hutfabrik gründeten.

Die Geschichte des Hauses und die Geschichte der Menschen, die es bauten und als Synagoge nutzten - davon wird auch die neue Dauerausstellung erzählen. Und hier wird auch die NS-Zeit ihren Platz haben. Denn einen Schlussstrich ziehen will Brockes selbstredend nicht, obwohl sie sicher ist, dass ihr dieser Vorwurf gemacht würde, „wenn ich nicht Jüdin wäre“.

Edna Brocke verkörpert eine intellektuelle Marktlücke

Edna Brocke, Leiterin der Gedenkstätte. Foto: Ulrich von Born
Edna Brocke, Leiterin der Gedenkstätte. Foto: Ulrich von Born © WNM

Da sie dies ist, genießt sie schon seit Jahren die Freiheit, manches gegen den Strich einer oft verdrucksten politischen Korrektheit zu bürsten. Zu den „Donnerstagsgesprächen“ lädt sie Referenten in die Synagoge ein, die in Essen so schnell sonst keine Instititution einladen würde: Leute, die das Existenzrecht Israels offensiv bejahen, USA-Freunde, unverblümte Kritiker der deutschen Integrationspolitik, liberal-konservative Denker aller Schattierungen.

Fuchsteufelswild kann Brockes werden, wenn sie feststellt, dass vor Ort etwas beschwiegen werden soll. So wie damals, als arabisch-stämmige Jugendliche die Alte Synagoge angriffen, aber dies nicht in allen Medien so klar gesagt und geschrieben wurde. „Das wäre ganz anders gewesen, wenn es sich um Rechte gehandelt hätte“, empört sich Brocke noch heute. Auch der sanfte Umgang mit einer städtischen Mitarbeiterin, die unverhohlen das Existenzrecht Israels infrage stellte, blieb ihr schleierhaft. Der Fall zerstörte ihr ohnehin schwieriges Verhältnis zum damaligen OB Wolfgang Reiniger.

Edna Brocke verkörpert jedenfalls eine intellektuelle Marktlücke, von der zu hoffen bleibt, dass sie auch künftig in der Alten Synagoge eine Heimat haben wird. Denn für sie ist der Umbau auch persönlich ein Abschluss. Ende des Jahres ender ihr Engagement in Essen. Hinterlassen wird Brocke eine Synagoge voller Licht und Farben und Weite. „Es ist so geworden, wie es ich es mir seit 1993 vorgestellt habe.“

Seit 1945 erlebt das Haus nun den dritten Umbau. Erst wussten die Essener wenig mit der prachtvollen Synagoge anzufangen, rissen die nach der Schändung 1938 verbliebenen Originalteile heraus und machten 1961 ein Design-Museum daraus - das „Haus Industrieform“. Anfang der 1980er Jahre folgte der Umbau in eine Gedenkstätte, bei dem Teile des Inneren, vor allem der Thora-Schrein, rekonstruiert wurden. Und nun das „Haus der jüdischen Kultur“. Nichts ist eben beständiger als der Wandel. Aber alles braucht offenbar seine Zeit.