Essen. . Dorothea T. muss raus aus ihrer Wohnung - 62 Jahre ist sie alt und sitzt im Rollstuhl. Die Arbeiterwohlfahrt Essen hindert das nicht, die Zwangsräumung der Wohnung durchzusetzen. Am Mittwoch ist es soweit. Dorothea T.s Anwältin fehlen die Worte.
Dorothea T. ist 62 Jahre alt und gelähmt. Sie sitzt im Rollstuhl und kann sich ohne Hilfe nicht bewegen. Seit vielen Jahren lebt sie im Lotte-Lemke-Haus der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Huttrop. Am Dienstagmorgen aber muss sie umziehen: Die Awo hat sie aus ihrer Wohnung geklagt, die Zwangsräumung ist für neun Uhr heute früh terminiert.
„Mir fehlen angesichts der rabiaten Vorgehensweise die Worte“, sagt der Anwalt der Frau, Axel Nagler. Dann erzählt er natürlich doch von dem Fall, der in seiner langen juristischen Praxis einmalig sei - und so gar nicht zum Selbstbild der Awo zu passen scheine. Frau T. also sei seit einem schweren Verkehrsunfall in den USA gelähmt und müsse rund um die Uhr betreut werden. Selbst in der Nacht muss sie mehrfach umgebettet werden, weil sie sich sonst wund liegt. Drei Pflegekräfte arbeiten für die behinderte Frau.
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Vor drei Jahren empfahl ein Arzt der gelähmten Frau, sich einen Hund zuzulegen. Es war ein therapeutischer Rat; ein Hund könne praktische Hilfe sein und seelischer Trost, zählt Nagler auf. Ein Hund kann aber auch ein Ärgernis sein, wie Frau T. erfahren musste. In dem Awo-Haus mit etwa 50 Parteien muss es Mieter gegeben haben, die sich an dem Hund störten, sich vor ihm fürchteten. Zumal er gelegentlich unangeleint durchs Treppenhaus lief. Das sei richtig, sagt Frau T. „Wenn ich im Rollstuhl sitze, brauche ich meine Hände, um mich fortzubewegen - da kann ich keine Leine halten.“ Der Hund sei aber wohlerzogen gewesen.
Freilich hatte sie versäumt, sich die Haltung des Tieres genehmigen zu lassen; womit sie ohne Zweifel gegen den Mietvertrag verstieß. Es kam zum Konflikt zwischen Mieterin und Vermieterin, nachträglich mochte die Awo keine Genehmigung für das Haustier erteilen. „Dabei wohnt hier bis heute ein Ehepaar mit Hund“, sagt Dorothea T.
Richter raten zur Verständigung
In ihrem Fall aber kam es zum Prozess vor dem Amtsgericht, das ein Räumungsurteil aussprach. Frau T. legte Berufung ein, die am 2. April 2009 vom Landgericht zurückgewiesen wurde. „Den Hund hatte ich da schon abgegeben“, seufzt Dorothea T. „Aber das Gericht hatte ja nur entschieden, dass die erste Instanz korrekt geurteilt hatte. Die Richter rieten der Awo deswegen, sich mit mir zu verständigen.“
Dazu wäre reichlich Zeit gewesen: Wegen der Schwere ihrer Behinderung gewährten die Richter Frau T. eine Räumungsfrist von einem Jahr. Zum 31. März 2010 hätte sie umziehen sollen. Obwohl es den Hund des Anstoßes nicht mehr gab, zeigte die Awo kein Interesse an einer Einigung.
Schwierige Wohnungssuche
Gleichzeitig suchte Frau T. unter Hochdruck nach einer Wohnung, deren Kosten vom Sozialamt getragen werden. Bis heute habe sie sich über 100 Wohnungen angeschaut, doch keine erfülle nur annähernd alle Bedingungen. Sie benötige Platz für Hilfsmittel wie Rollstühle, Duschstühle oder Stehhilfe sowie eine Übernachtungsmöglichkeit für die Pfleger. Auch müsse die Wohnung barrierefrei sein. „Das steht bei einigen Angeboten - und dann sind es bis zur Haustür vier Stufen oder ich komme mit dem Rollstuhl gar nicht durch jede Zimmertür.“
Immer wieder hat sie deswegen einen Aufschub erstritten, auch gegen den heutigen Räumungstermin hatte ihr Anwalt eine Beschwerde eingelegt. Doch das Gericht befand am Dienstagnachmittag, Frau T. habe „überzogene Anforderungen“ an den neuen Wohnraum gestellt. Die Räumung sei rechtens. So sieht es auch Awo-Geschäftsführer Wolf Ambauer: „Sie hatte fast drei Jahre Zeit, etwas zu finden. Da kann ich die Härte nicht sehen. Außerdem haben wir in zwei Instanzen Recht bekommen.“ Frau T. lande ja „nicht auf der Straße“, sondern werde vom Sozialamt einen Heimplatz bekommen. Gefragt, warum sie weichen müsse, verweist Ambauer auf das „Schutzbedürfnis“ der anderen Bewohner. Das Schutzbedürfnis vor einem nicht mehr vorhandenen Hund? Oder vor einer an den Rollstuhl gefesselten Frau? Die sitzt am Dienstag zwischen Umzugskartons und rätselt, warum sie ausziehen muss: „Ich habe mir nie etwas zuschulden kommen lassen, die Miete wurde immer gezahlt - und: Ich lebe mit den Nachbarn in Frieden.“