Essen. .

Nina Fritsche ist Essens einzige Schornsteinfegermeisterin. An ihre Sonderrolle im Kreis von 63 Essener Kollegen hat sie sich ebenso gewöhnt wie an die erstaunten Blicke, wenn sie zum ersten Mal an der Haustür klingelt.

Auch interessant

Von DerWesten

Der Drang nach oben liegt in der Familie. Ihr Großvater hat’s getan, der Onkel auch, und für Nina Fritsche gab es nie einen anderen Berufswunsch. Seit 15 Jahren steigt sie anderen aufs Dach. Als Lehrling, als Gesellin und seit November 2006 als Schornsteinfegermeisterin – der Einzigen in ganz Essen.

An ihre Sonderrolle im Kreis von 63 Essener Kollegen hat sie sich ebenso gewöhnt wie an die erstaunten Blicke, wenn sie zum ersten Mal an der Haustür klingelt. Frauen fahren Busse, fliegen zum Mond und führen Regierungen. Doch der Anblick einer attraktiven Blondine, die den Kamin kehren oder die Abgaswerte der Heizung kontrollieren möchte, löst Verwunderung aus. Jedenfalls am Anfang. Zum mit Vorurteilen befrachteten Rollenbild will das rußige Handwerk auf den ersten Blick so gar nicht passen. Unwillkürlich schaut man auf die Fingernägel, doch die sind so gepflegt wie bei einer Chefsekretärin.

Selbstbewusste junge Frau

Haken wir sie also ab die Klischees. Da balanciert keine verhinderte Drahtseilartistin über den Dachfirst der rund 2400 Häuser, die zu ihrem Heisinger Revier gehören, sondern eine selbstbewusste junge Frau, die Chance und Risiken ihres Berufs sehr genau einschätzen kann. Als Angestellte von Bezirksschornsteinfegermeister Jochen Lehnert (siehe Info-Kasten) kommt sie zwei Mal im Jahr ins und/oder aufs Haus. Heisingen gefällt der 33-Jährigen. Weil die vielen Einfamilienheime den Aufstieg erleichtern, weil man von oben eine schöne Aussicht auf den Baldeneysee und die Ruhrhöhen hat, „und weil die allermeisten Menschen hier ausgesprochen nett sind“. Vielleicht liegt’s auch daran, dass die Liebe die junge Frau vor einem Jahr aus dem Rheinland nach Essen lockte.

Angst nur am Anfang

Ihre ersten vorsichtigen Schritte auf fremden Dächern hat Nina Fritsche in Solingen und Düsseldorf unternommen. Angst? Nur ganz am Anfang. „Da stand ich oben, und wusste plötzlich nicht mehr, wie ich wieder runterkommen sollte.“ Der Meister hat geholfen. In ähnliche Bedrängnis ist sie seitdem nie mehr gekommen. „Alles eine Frage der Übung“, lächelt Nina Fritsche.

Mittlerweile verbringt ein/e Schornsteinfeger/in nur noch die Hälfte der Arbeitszeit in luftiger Höhe. Unten im Keller wird gemessen, kontrolliert und geprüft, Aufgaben, die naturgemäß vor allem im Winterhalbjahr anfallen. Die strengeren Umweltauflagen haben aus dem Kaminkehrer einen Techniker gemacht, an der Fachhochschule Gelsenkirchen gibt es seit kurzem sogar ein berufsbegleitendes Studium. Die Kombination aus ein bisschen Abenteuer und immer mehr Wissenschaft reizt Nina Fritsche besonders. Wobei: Oben auf dem Dach fühlt sie sich am wohlsten: „Wenn ich so über die Häuser schaue, bin ich glücklich.“

Besondere Erwartungen

Da ist des dann noch, das Klischee. Ja, klar, die meisten Menschen begegnen ihr mit besonderen Erwartungen. Die Rolle als Glücksbringerin gehört mit dazu: „In welchem Beruf löst man schon so positive Reaktionen aus?“

Nur im Urlaub bleibt Nina Fritsche ganz bodenständig. Die Ferien verbringt sie lieber am Meer als in den Bergen. Am ersten Arbeitstag geht es wieder hoch hinaus – vorausgesetzt, der Winter macht im neuen Jahr mal eine Pause.