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Stoppenberg – das war mindestens 170 Jahre lang Bergbau. So beginnen meist die Geschichten über den Stadtteil, und falsch sind sie ja nicht. Nur unvollständig. Denn Stoppenberg hat nicht nur eine industrielle, sondern auch eine heilige Vergangenheit.

Fixpunkt der heiligen Vergangenheit ist die uralte Stiftskirche „Maria in der Not“ auf dem 80 Meter hohen Kapitelberg, umrahmt von malerischen Fachwerkgebäuden. Es ist ein Ort der Entrücktheit inmitten der Großstadtlandschaft, ein Ensemble, von dem schwer beschreibbare Faszination ausgeht.

Vor der Industrialisierung bestimmten die Essener Stiftsdamen über die Bauernhöfe, die im Schatten der im Kern romanischen Basilika existierten. Mit den Zechen Zollverein und Ernestine kamen die Bergleute. Stoppenberg wuchs zu einer der größten Landgemeinden in Preußen mit rund 30.000 Seelen. 1986 blieben die Förderbänder auf Zollverein endgültig stehen. Zeche und Kokerei sind Welterbe-Stätten geworden.

Die Grenzen Stoppenbergs zu verorten ist gar nicht einfach. Besonders die Übergänge zu den Nachbarstadtteilen Altenessen-Süd, Katernberg und Schonnebeck sind fließend und manchmal geht es regelrecht absurd zu, weiß Karin Pyrowicz. Die Vorsitzende des CDU-Ortsverbands wohnt auf der Gelsenkirchener Straße nahe des Zollverein-Doppelbocks, und während das Welterbe aus Zeche und Kokerei zu Stoppenberg gehört, zählt ihre Bürgersteigseite zu Schonnebeck. „Es ist nicht unüblich, dass Häuser in Schonnebeck stehen, aber der Garten zu Stoppenberg gehört“, lacht die 68-Jährige.

Das Gotteshaus als magischer Ort

Aus Richtung Innenstadt kommend, ist der erste „Hingucker“ auf Stoppenberger Gebiet - ein Kiosk. An der Essener Straße Ecke Herbertshof stehen Männer im Schatten der Bäume und trinken bereits am frühen Vormittag ihr Bier aus der Flasche. Eine Szene, die nicht repräsentativ für den ganzen Stadtteil ist, aber sie macht doch nachdenklich. „Jeder hat hier sein Problemchen“, sagt einer der Männer, ein ehemaliger Brummifahrer. Es mag auch manchmal ein ausgewachsenes Problem sein.

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Von Tim Walther

Das ist die Welt „unten“. Von oben, von der Dachterrasse der Kohlenwäsche auf Zollverein zeigt sich ein anderes Bild: Hügel, schöne Kirchtürme, das große Bischöfliche Schulzentrum, Kleingartenanlagen, alte Bergarbeiterkolonien, neue Siedlungen mit Gärten, die auf ehemaligen Bergbaugelände entstanden sind, große Grünflächen wie Hallo-, Helenen- und Zollverein-Park.

Das Stoppenberger Stadtteilgeschehen konzentriert sich unterhalb der historischen Keimzelle: der Stiftskirche auf dem Kapitelberg. Für Karin Pyrowicz ist das kleine Gotteshaus ein magischer Ort. „Diese Ruhe, die es hier gibt, viele wissen das nicht“, erklärt sie. Tatsächlich nimmt man den lärmenden Verkehr, am Kreuzungspunkt von Essener und Gelsenkirchener Straße, Hallo- und Ernestinenstraße hier oben kaum wahr.

Rangierende Gabelstapler

„Viele Stoppenberger machen sich noch frühmorgens auf den Weg zur Messe“, beschreibt Pyrowicz. Eine körperliche Anstrengung, die man um des Ortes willen auf sich nimmt, die aber eigentlich nicht nötig wäre. Im Zuge des Bevölkerungswachstums entstand von 1906 bis 1907 unten an der Straße die große Kirche St. Nikolaus. Das von Carl Moritz im Jugendstil gebaute Gotteshaus ist Heimat der katholischen Gemeinde und löste damals die zu klein gewordene Stiftskirche als Pfarrkirche ab. Ein Stück weiter östlich steht am Barbarossa-Platz, der Stoppenberger Marktplatz, eine weitere Kirche. In dem mächtigen neugotischen Bau wirkt die evangelische Thomasgemeinde.

Von der „spirituellen Kulturtankstelle“ auf dem Kapitelberg führt Karin Pyrowicz bergab über den Friedhof, zur Gelsenkirchener Straße und dem Stiftsbrunnen. Mit der Ruhe ist es vorbei, Verkehr dominiert. Neben dem St. Vincenz-Krankenhaus, der denkmalgeschützten Nikolausschule und dem Neubau eines Seniorenheims fällt die bunte Fassade eines Hotels auf. „Daran merkt man, dass hier Touristen sind“, ruft die Rentnerin und zeigt auf den Biergarten vor dem Haus. Menschen mit Rucksäcken sitzen in der Sonne und machen Mittagspause.

Das Getränk, das ihren Durst löscht, könnte direkt aus der Nachbarschaft kommen: am Ende der nahen Theodor-Pyls-Straße ist das Firmengelände der „Stiftsquelle“. „Ich empfehle Besuchern, hier einmal eine Führung zu machen“, sagt Karin Pyrowicz begeistert. Rangierende Gabelstapler, unzählige Kisten mit Mineralwasser-Flaschen, leer oder bereits gefüllt, Maschinengeräusche – das bloße Zuschauen, der maschinelle Ablauf bereite Freude.

Über die Schwanhildenstraße, die an die Fürstäbtissin erinnert, geht es zum historischen Rathaus am Stoppenberger Platz. „Drinnen tagt die Bezirksvertretung VI, in den Nebengebäuden befinden sich das Bürgeramt, die Stadtteilbibliothek, die Seniorenbegegnungsstätte“, zählt Karin Pyrowicz auf und schreitet zum Barbarossa-Platz. Die wenigen Händler sind schon dabei, ihre Stände abzubauen. Die Meinungen über den Markt variieren: die Geschäftsleute wünschen sich Änderungen, damit er so lebhaft wie der in Katernberg wird.

Qualität gibt es auch

Nicht klagen kann Manuela Geberzahn, die 2008 das traditionsreiche „Café Pauelsen“ an der Kreuzung Gelsenkirchener Straße/Hallostraße übernahm. „Zu mir kommen die ältere Stammkundschaft und Touristen aus aller Herren Länder“, sagt sie stolz. Unter dem Namen „Pauelsen“ firmiert das Geschäft bereits im 50. Jahr. Den Touristen kredenzt sie oft die Ruhrpott-Schnitte, eine Sacher-Schnitte mit großzügigem Schokoladenüberzug. Für Karin Pyrowicz ist das Café ein gutes Beispiel unter vielen: „Es zeigt, dass es in Stoppenberg auch Qualität gibt.“