Essen. Woanders ist überall: Dieter Nuhr hat das Ruhrgebiet künstlerisch erkundet. Brost-Stiftung schickt die Bilder auf Weltreise. Vernissage in Essen.

Da klettert einer durch die Berge Nepals, tourt durch Marokko, Chile und Nordvietnam, um zu merken, „dass man die Bilder des Fremden auch zu Hause machen kann“. „Woanders ist überall“ heißt denn auch eine aktuelle Ausstellung des Kabarettisten Dieter Nuhr. Sie führt den Weltenbummler und -erklärer auch dahin, wo er eigentlich herkommt: an die Lippe, den Rhein und die Ruhr. Inspiriert zu dieser Art von Heimatbildern hat ihn die Brost-Stiftung. Und die schickt Nuhr und seine Bilder anschließend wieder auf die Reise: In München und Wien, danach auch in Florenz, Havanna und anderen Metropolen werden Nuhrs Arbeiten in den kommenden Jahren zu sehen sein.

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Insgesamt zehn Stationen im In- und Ausland umfasst die Wanderausstellung, die sich bis 2028 erstrecken wird und irgendwann auch für einen längeren Zeitraum ins Ruhrgebiet kommen soll. Obwohl die Projektvorstellung in der Essener Kreuzeskirche nur einen Tag lang dauerte, mischte sich selbst NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst am Dienstagabend (28. Mai) nach dem Besuch von Frankreichs Staatspräsident Macron noch unter die illustre Schar der Vernissagegäste.

Gut gelaunte Vernissagegäste (von re. nach li.): Bodo Hombach, Vorstandsvorsitzender der Brost-Stiftung, Künstler Dieter Nuhr, NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und Brost-Stiftung-Vorstand Boris Berger bei der Ausstellungseröffnung von „Woanders ist überall“ in der Essener Kreuzeskirche.
Gut gelaunte Vernissagegäste (von re. nach li.): Bodo Hombach, Vorstandsvorsitzender der Brost-Stiftung, Künstler Dieter Nuhr, NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und Brost-Stiftung-Vorstand Boris Berger bei der Ausstellungseröffnung von „Woanders ist überall“ in der Essener Kreuzeskirche. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

„Wenn sogar der Ministerpräsident kommt, dann kriege ich fast den Eindruck, ich bin wichtig“, scherzt Nuhr in seiner Begrüßungsrede. Und ein bisschen darf man den Eindruck bekommen, dass den so staatstragend begleiteten Künstler der Erfolg als Maler manchmal selber noch ein bisschen überrascht. „Hätte man mir vor 30 Jahren gesagt, dass ich einmal im Kunstforum Wien ausstellen würde, hätte ich mir dafür den linken Arm ausgerissen“, sagt Nuhr. Mittlerweile reißen sich die Kunsthäuser und Galerien des Landes um ihn, den scharfzüngigen Satiriker mit dem besonderen Blick für die eher stillen Schönheiten der Welt. Kunst hat er schließlich gelernt, im Studium auf Lehramt an der damaligen Universität Gesamthochschule Essen bei Prof. Laszlo Lakner.

Ich bin ein schüchterner Mensch, auch wenn man mir das nicht glaubt“
Dieter Nuhr, Künstler und Kabarettist

„Was ich auf der Bühne tue, ist autodidaktisch“, sagt Nuhr. Das allerdings so erfolgreich, dass der 63-Jährige seit vielen Jahren zu den bekanntesten und auch meinungsfreudigen Kabarettisten des Landes gehört. Dass sich am Ende oft jemand provoziert und herausgefordert fühle, gehöre zu den Herausforderungen seines Metiers („Humor ist schwierig geworden in diesem Land“), sei aber nicht unbedingt beabsichtigt. „Auch wenn man mir das nicht glaubt, eigentlich bin ich ein schüchterner Mensch“, offenbart Nuhr. „Es gibt eine Seite in mir, die überhaupt nicht lustig ist.“ Wer diese „meditative Seite“ kennenlernen möchte, der schaut deshalb auf die Bilder. Die seien für das „Unsagbare“ zuständig, erklärt einer, der die Dinge in seinen Programmen sonst gerne beim Namen nennt.

„Gesinnungskunst ist nicht sein Ding, dafür schätzen wir ihn“, sagt Bodo Hombach, Vorstandsvorsitzender der Brost-Stiftung, die für Nuhrs Kunst schon in der Vergangenheit eine internationale Tournee ausgerichtet hat. „Woanders ist überall“ knüpft an das vorherige Förderprojekt „Von Fernen umgeben“ an und präsentiert den Künstler in vielen Facetten. Neben den großformatigen Bildern wird Nuhr in den künftigen Ausstellungsstationen auch eine größere Zahl an Zeichnungen präsentieren.

Rund ein Dutzend der großformatigen Arbeiten von Dieter Nuhr wurden einen Tag lang in der Essener Kreuzeskirche präsentiert. Zur Vernissage kamen zahlreiche Gäste aus Politik, Kultur und Wirtschaft.
Rund ein Dutzend der großformatigen Arbeiten von Dieter Nuhr wurden einen Tag lang in der Essener Kreuzeskirche präsentiert. Zur Vernissage kamen zahlreiche Gäste aus Politik, Kultur und Wirtschaft. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Da mischen sich Zeit und Raum, treffen Motive der Renaissance auf eigene Porträtaufnahmen, die Nuhr aus dem historischen Kontext löst und ihn einen abstrakten Raum stellt. Die Auflösung von festgezurrten Genres und das Spiel mit Realität und Abstraktion prägen seine künstlerische Arbeit: „Ich sehe mich als Maler, der fotografische Mittel benutzt.“ Vor allem die Corona-Pandemie hat ihn dabei noch einmal zur Erkundung neuer Bilderwelten verleitet, als das Reisen plötzlich nicht mehr möglich war. Da hat er nicht nur den digitalen Pinsel für sich entdeckt, sondern auch die Motive der unmittelbaren Nachbarschaft. „Ich habe angefangen, meinen Heimatbereich wie ein Fremder zu bereisen.“

„Ich sehe mich als Maler, der fotografische Mittel benutzt“

Dieter Nuhr, im niederrheinischen Wesel geboren, in Düsseldorf aufgewachsen, in Essen ausgebildet, in Ratingen zu Hause, wurde dank der künstlerischen Anstiftung der Brost-Stiftung gewissermaßen zum Tourist im eigenen Land, ohne freilich Sightseeing-Bilder zu zeigen. So mischen sich die Bilder des Fernreisenden aus Südindien und Griechenland mit Motiven aus Kettwig oder Kupferdreh. Eine Eisenbahnbrücke oder ein Förderturm stehen da als schemenhafte Zeugnisse des historischen Ruhrgebiets, auch der Grugaturm und die Ruhrtalbrücke schälen sich aus dem stimmungsvollen Farbnebel heraus, den Nuhr mit seinen Übermalungen schafft. „Ich bin jetzt nicht nur Reisekünstler, sondern auch Heimatkünstler“, sagt Nuhr am Ende. Und plant doch schon die nächste Tour. Das Herumgereise sei eben die „Grundlage für einen distanzierten Blick auf die eigene Welt“. Und wer den Planeten von China bis Sri Lanka erkundet habe, der müsse eben auch feststellen: In der Heimat ist nicht alles nur schlecht!

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