Essen. Gemeinsam mit Projektentwickler Marcus Kruse will die Stiftung das riesige denkmalgeschützte Areal in Bredeney zu neuem Leben erwecken.
Es ist einer dieser ungeklärten Fälle der Stadtentwicklung, bei denen selbst die Polizei irgendwann achselzuckend die Aktendeckel schloss: Norbertstraße 163 bis 177, die alte Landespolizeischule, einst Vorzeigebau im Bauhausstil, heute marode und vergammelt. Eine echte Problem-Immobilie, für die es viele Pläne gab, aber zumindest bislang keine messbaren Erfolge. Das muss auch niemanden wundern, machte doch ein weitreichender Denkmalschutz die Wiederbelebung des gigantischen Areals auf den Bredeneyer Höhen zu einem finanziellen Wagnis allererster Güte: In Rede standen schon vor sieben Jahren Sanierungskosten von 180 Millionen Euro und mehr. Doch jetzt wird der „Cold Case“ Polizeischule wieder aufgewärmt, das Gelände ist verkauft.
Die neuen Eigentümer sind alte Bekannte und machen schon beim Colosseum gemeinsame Sache
Seit einem Jahr übrigens schon, und die Käufer werden wissen, warum sie den Erwerb des Grundstück aus dem Eigentum des Landes NRW nicht mit Pomp und Gloria gefeiert, sondern geheimgehalten und alle Beteiligten zum Schweigen vergattert haben. Ein heikler Immobilien-Fall eben, dabei sind die Akteure alte Bekannte, die schon bei den Plänen zum Umbau des Colosseums für ein Gründerzentrum gemeinsame Sache machten: hier die RAG-Stiftung, dort der erfahrene Essener Projektentwickler Marcus Kruse (einst Kölbl Kruse). Ihr neues Unternehmen heißt ENO Capital GmbH & Co. KG.
Dass sie das weitläufige Grundstück unweit der Autobahn A52 gekauft haben, bestätigten die neuen Eigentümer am Freitag auf Anfrage; welche Pläne sie dort schmieden, mag man allerdings noch nicht preisgeben. Das Unternehmen hält sich alle Optionen offen, hat als Unternehmensgegenstand im Handelsregister eintragen lassen, man wolle dort Projektentwicklung betreiben, bauen und verpachten, das Gelände in der Größe von 180 Fußballfeldern eines Tages womöglich auch ganz oder in Teilen wieder veräußern. Klingt alles nach: Schauen wir mal.
Als die Kosten in ungeahnte Höhen schnellten, zog der Polizeipräsident die Notbremse
Ein alter Plan immerhin hat sich inzwischen erledigt: Vor einigen Jahren waren Überlegungen für einen neuen modernen Polizei-Stützpunkt weit gediehen – unter anderem mit einem Trainingsgelände und Werkstätten, mit Büros für rund 700 Beamte der Spezialeinheiten und Unterkünften für die Einsatzhundertschaft. Doch als die Kosten in immer neue lichtere Höhen schnellten, zog der damalige Polizeipräsident Frank Richter die Notbremse. Die Polizei ist inzwischen längst in der alten Karstadt-Hauptverwaltung untergekommen, das Trainingsgelände entsteht derzeit am Krupp-Gürtel.
Ideen für ein Groß-Asyl, wie sie dann vor rund zwei Jahren im Zuge der Flüchtlingswelle aus der kriegsgebeutelten Ukraine auftauchten, galten ohnehin nur als denkbare Zwischenlösung für ein Areal, auf dem auch ein kleiner Stadtteil entstehen könnte. Belastbarer schien da schon der Plan, der Universitätsklinik auf längere Sicht ein Feld für Erweiterungen aller Art zu geben, für eine Fachklinik, eine Großküche, was auch immer: Seit diese Überlegungen erstmals im kleinen Kreis diskutiert wurden, sind allerdings auch schon wieder fünf Jahre vergangen.
Wo investiert die RAG-Stiftung?
Dreistellige Millionenverluste durch Geschäfte mit der insolventen Signa-Gruppe warfen zuletzt ein schlechtes Licht auf die RAG-Stiftung. Diese ist schließlich darauf angewiesen, ihr Stiftungsvermögen von rund 18 Milliarden Euro möglichst gewinnbringend anzulegen, weil sie aus den Erlösen die sogenannten „Ewigkeitskosten“ des Bergbaus finanzieren muss.
Zuletzt trennte sich die RAG-Stiftung, die ihren Sitz auf dem Gelände des Weltkulturerbes Zollverein hat, für 468 Millionen Euro von einem Aktienpaket am Chemie-Konzern Evonik, hält dort aber noch immer einen Anteil von rund 47 Prozent.
Zudem gehören der RAG-Stiftung mehr als die Hälfte der Anteile am Wohnungsunternehmen Vivawest. Darüber hinaus ist sie über verschiedene Tochterfirmen unter anderem an diversen mittelständischen Unternehmen beteiligt.
Die 100-prozentige Tochter RAG-S Real Estate GmbH, die jetzt auch bei der ehemaligen Landespolizeischule in Essen-Bredney aktiv wurde, tätigt europäische und amerikanische Direkt-Investments in Immobilien.
In einem zweiten Schritt nahm der Denkmalschutz auch die Außenanlagen unter seine Fittiche
Denn der weitreichende Denkmalschutz, er verhindert weit mehr, als nur Tabula rasa zu machen. Wurden in einem ersten Schritt 1986 nur der wuchtige Gebäudekomplex mit seinem kammartigen Trakten sowie diverse angrenzende Bauten geschützt, so erfolgte 2011 noch eine deutlich weiter reichende Korrektur. Östlich gelegene Erweiterungsflächen wie der Hubschrauber-Landeplatz und die Krad-Übungsbahn entließ man da zwar aus den Fittichen. Dafür galten fortan auch Außenanlagen und Freiflächen als schützenswert: Man pries die „städtebaulich schöne Anordnung der Gebäudegruppen“ und den „Kontrast zwischen Architektur und Natur“. Und „bei einer potenziellen Bebauung“, so hieß es in einer Verfügung, müsse „dieser optischen Fernwirkung Rechnung getragen werden“.
Wie immer das im Detail aussehen könnte: RAG-Stiftung und Projektentwickler Kruse ließen sich davon erkennbar nicht ausbremsen, zumal schon vor Jahren die Stimmen immer lauter wurden, den als viel zu eng empfundenen Denkmalschutz zu lockern. Manch einer munkelt gar, genau dies sei Kern der Heimlichtuerei beim Ankauf gewesen: eine Verschwiegenheitsklausel im Kaufvertrag, um abseits medialer Aufmerksamkeit die Aufhebung des Denkmalstatus voranzutreiben. Ein langwieriges Unterfangen.
Ein Generationen-Projekt – auch für die neuen Eigentümer RAG-Stiftung und Kruse
So eignet sich das Areal wohl weniger für einen Schnellschuss der Stadtentwicklung als für ein Projekt über Generationen. Was einerseits zu der langfristigen Investment-Strategie der RAG-Stiftung passt, die ja die sogenannten „Ewigkeitskosten“ der RAG finanzieren muss, also jene Verpflichtungen, die seit Beendigung des deutschen Steinkohlenbergbaus fortbestehen.
Und andererseits dokumentiert auch Projektentwickler Marcus Kruse seinen langen Atem bei der Landespolizeischule: In seinem Familien-Unternehmen Kruse Holding Norbertstr. GmbH & Co. KG, das als Kommanditist 25,1 Prozent an der ENO Capital GmbH & Co. KG. hält, sind neben seiner Frau auch die beiden erwachsenen Kinder beteiligt. Der Löwenanteil von 74,9 Prozent liegt bei der RAG-S Real Estate GmbH, einem 100-prozentigen Tochterunternehmen der milliardenschweren RAG-Stiftung.
Geld ist also da, Erfahrungen bei der Projektentwicklung auch, nun bitten die Eigentümer um etwas Geduld. Immerhin: Die lange im Archiv verstaubte Akte zur Polizeischule, sie liegt wieder auf dem Tisch.