Essen. Dass einem der letzten familiengeführten Fachgeschäfte in der Essener Innenstadt das Aus droht, hat viele bewegt. Überraschend kam es nicht.
Der familiengeführte Einzelhandel hat es schwer, das ist kein exklusives Essener Problem. Kapitalausstattung, Verhandlungskämpfe mit Produzenten, Nachfolgersorgen - alles Themen, bei denen sich große Ketten entweder leichter tun oder die ihnen sogar unbekannt sind. Obwohl es also nicht vollkommen überraschte, hat viele Essener dennoch die Nachricht bewegt, dass Brecklinghaus Insolvenz beantragen musste. Die Lederwarendynastie gehört zu den letzten Einzelhändlern alter Prägung in der Essener Innenstadt, fast jeder hat dort irgendwann mal etwas gekauft. Und schon für Oma und Opa war der Name ein Begriff.
Tatsächlich ist es ein Wunder und spricht für eine bewundernswerte Zähigkeit, dass Brecklinghaus hier überhaupt noch existiert. Denn der Standort des Hauptgeschäfts an der Viehofer Straße könnte für ein gehobenes Sortiment, das eine zumindest mittelgut situierte Kundschaft benötigt, schwieriger nicht sein. Von der Innenstadt im Ganzen haben viele Essener keine hohe Meinung. Das gilt erst recht für diesen Teil. Hier muss man nicht nur wirklich hinwollen, man sollte auch in verstärktem Maß die Gabe mitbringen, allerlei Unschönes ignorieren zu können, ohne die Kauflaune zu verlieren. Zum Beispiel eine florierende Drogenszene quasi direkt vor der Ladentür.
Jahrzehntelang kämpfte die Familie gegen den Niedergang der Nordcity
Schon Eberhard Brecklinghaus, der Vater des jetzigen Inhabers, hat Zeit seines Lebens dagegen angekämpft, dass Kommunalpolitik und Stadtverwaltung den Niedergang der nördlichen Innenstadt desinteressiert bis schicksalsergeben hinnehmen oder gar noch durch falsche stadtplanerische Entscheidungen befördern. Viel Erfolg hatte er nicht. Die Rutschbahn nach unten begann im Grunde spätestens in den 1970er Jahren und nahm zuletzt immer mehr Fahrt auf.
Die letzte große und teure Innenstadtsanierung vor drei Jahrzehnten sollte auch die Viehofer Straße aufwerten, erreichte aber das glatte Gegenteil, wozu die Möblierung mit geschmackloser und längst verrotteter Pseudo-Kunst einiges beitrug. Eine Weile sollte hier mal eine lebendige Kneipenszene „gegründet“ werden, doch zeigte sich, dass sich derlei natürlich nicht mal eben im Rathaus herbeiplanen lässt.
Verkopfte Ideen haben der nördlichen Innenstadt nicht viel geholfen
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Dasselbe gilt für das Thema Wohnen, auch so eine Idee, die meist ein wenig verkopft daherkommt. Nicht viele Essener zieht es diesbezüglich ausgerechnet in die nördliche City, das Allbau-Projekt rund um die Kreuzeskirche ist letztlich eine Insel geblieben. Und auch manche Idee des rührigen Nordcity-Enthusiasten und Investors Reinhard Wiesemann zerschellte an der rauen Wirklichkeit.
Schon lange wirkte Brecklinghaus hier wie ein letzter überlebender Dampfer auf einem Schiffsfriedhof, jedenfalls soweit es um Einzelhandel geht. Die Tatsache, dass die Familie in der eigenen Nachkriegsimmobilie wirtschaften kann, hat die Ausdauer vermutlich befördert. Man kann nur hoffen, dass Inhaber Gerd Brecklinghaus auch mit Hilfe treuer Kunden einen Weg findet. Eine Insolvenz muss schließlich nicht zwingend das Ende bedeuten.
Und was das unmittelbare Umfeld angeht, kommt in solchen Kommentaren dann gerne der Ruf nach Vater Staat. Doch zu hoffen, dass Stadt und Polizei endlich die Probleme dieses Quartiers lösen und vor allem den Drogenhandel unterbinden, wäre nach den bisherigen Erfahrungen schlicht naiv. Die harte Wahrheit ist: Keine weitere Verschlechterung wäre schon ein Erfolg, mehr Positives eine faustdicke Überraschung. Leider.
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