Essen. . Seit 109 Jahren gibt es Lederwaren Brecklinghaus an der Viehofer Straße in Essen. Das Familien-Unternehmen trotzt dem Niedergang der nördlichen Innenstadt.

Zwei Weltkriege, Wirtschaftskrisen und Wirtschaftswunder, Zerstörung und Wiederaufbau und zuletzt den Niedergang der nördlichen Essener Innenstadt hat Lederwaren Brecklinghaus erlebt und überlebt und gehört damit zu den wenigen übrig gebliebenen familiengeführten Unternehmen in der Stadt, die auf mehr als 100 Jahre Geschichte zurückblicken können.

Angefangen hat alles mit Eberhard Brecklinghaus. 1907 gründete er seine Firma für Lederhandel, dort stellte er auch Schuhsohlen und Antriebsriemen her und färbte Lederwaren. Von dem erwirtschafteten Geld kaufte er sich erst ein Haus an der Schützenbahn, dann den heutigen Stammsitz an der Viehofer Straße 70. Viele Jahre lang war das Essens beste Adresse, war der Viehofer Platz das Einfallstor zur Innenstadt.

Taschen und Koffer in schmucken Glasvitrinen

Ein Bild aus den 1950er Jahren: Links ist die St. Gertrud Kirche zu sehen, geradeaus das damals moderne Geschäftshaus, in dem Brecklinghaus bis heute residiert. Repro: Kerstin Kokoska/FUNKE Foto Services
Ein Bild aus den 1950er Jahren: Links ist die St. Gertrud Kirche zu sehen, geradeaus das damals moderne Geschäftshaus, in dem Brecklinghaus bis heute residiert. Repro: Kerstin Kokoska/FUNKE Foto Services

Dort sitzt heute Enkel Gerd Brecklinghaus im Stammhaus zwischen Nobelkoffern und teuren Aktentaschen und zeigt alte Fotos, die den Werdegang des Lederwarengeschäftes bebildern: Man sieht Menschen, die sich die Nase am Schaufenster platt drücken, belebte Bürgersteige und Straßen, durch die die Tram fährt. „Da hatten wir noch Vollbedienung“, sagt er und hält ein Schwarzweißfoto hoch, auf dem Taschen und Koffer in schmucken Glasvitrinen zu sehen sind. Anfassen war nicht möglich, dafür standen damals über 30 Verkäuferinnen im Laden und schlossen die Vitrinen auf, um die Ware zu zeigen.

Eine von ihnen war Karin Schulz. 1965 kam sie zu Brecklinghaus und ist dem Familienunternehmen bis heute treu geblieben. „Irgendwie kann ich mich noch nicht verabschieden“, sagt die 75-Jährige und streicht ein wenig verlegen über den schicken Rock. Nach ihrer Pensionierung kommt sie immer dann, wenn sie gebraucht wird. Und das passiert relativ häufig, denn Gerd Brecklinghaus möchte auf das Wissen seiner Fachkraft nicht verzichten. „Ohne Frau Schulz wäre ich verloren“, gibt er unumwunden zu, „sie hat mich eingearbeitet und kennt den Lederwarenhandel in- und auswendig.“

Das Geschäft von der Pike auf gelernt

Aber auch der 46-Jährige, der seinem Vater Eberhard Brecklinghaus folgte, hat das Geschäft von der Pike auf gelernt, hat erst eine Ausbildung bei Karstadt gemacht und danach ein BWL-Studium abgeschlossen. Für ihn war schnell klar, dass er das Geschäft in dritter Generation fortführt. „Das ist mein Leben, ich bin ja hier aufgewachsen“, sagt er und zeigt nach oben. Zwei Etagen plus Dachterrasse bewohnte die Familie. „Meine Oma ließ Erde auf die Terrasse schütten und hielt Hühner und Hasen. Das war ein Paradies mitten in der Innenstadt“, erinnert er sich.

Anfassen war in den 1950er und 1960er Jahren nicht erlaubt. Dafür waren mehr als 30 Verkäuferinnen da, die den Kunden Taschen und Koffer aus den Vitrinen holten. Repro: Kerstin Kokoska / FUNKE Foto Services
Anfassen war in den 1950er und 1960er Jahren nicht erlaubt. Dafür waren mehr als 30 Verkäuferinnen da, die den Kunden Taschen und Koffer aus den Vitrinen holten. Repro: Kerstin Kokoska / FUNKE Foto Services

Damals prosperierte das Unternehmen, „manchmal haben wir 100 Koffer am Tag verkauft“, sagt Karin Schulz. Mit dem Bau der U-Bahn, dem Ausbau der Kettwiger Straße und der damit verbundenen Verlagerung des Zentrums Richtung Hauptbahnhof geriet Brecklinghaus allmählich ins Hintertreffen.

Konkurrenz durch große Kaufhäuser und Online-Handel

„Wir hatten immer weniger Laufkundschaft und mussten zudem mit großen Kaufhäusern und später mit dem Internet konkurrieren“, so Gerd Brecklinghaus, „das konnten wir nur, weil uns das Haus gehört und weil wir ja irgendwie auch eine Institution in der Stadt sind.“ Weiterhin setzte Brecklinghaus auf persönliche Beratung und eine große Auswahl exklusiver Modelle.

Außerdem sei man in Sachen Mode dem Trend oft voraus gewesen – auch das habe das Überleben in Krisenzeiten gesichert. Wie auch die Filialen, die sie eröffneten: auf der Düsseldorfer Kö und am Flughafen, im Rhein-Ruhr-Zentrum und zuletzt in Rüttenscheid. Den Standort an der Kettwiger Straße hingegen gaben sie im Laufe der Jahre auf.

Ob das Geschäft in Zukunft in Familienhand bleibt, ob die vierte Generation an der Viehofer Straße Taschen und Koffer verkaufen wird, ist nicht sicher. Zumindest gibt es einen potenziellen Nachfolger: Gerd Brecklinghaus’ Sohn ist allerdings erst neun.