Essen. Claudio Schlegtendal ist ein bekannter Chirurg und nebenbei leidenschaftlicher Routenplaner für die jährlichen Oldtimer-Rallyes. Ein Porträt.
Wer Oldtimer-Rallyes fährt, will mit dem guten Stück nicht rasen, vielmehr gemeinsam mit Gleichgesinnten etwas Schönes erleben. So ist es auch bei der „Tour de Rü“, die am 27. April zum 20. Mal über die Bühne geht. Wie jedes Jahr hat sich auch diesmal ein Essener Arzt etliche Tage und vor allem Nächte um die Ohren geschlagen, um eine möglichst schöne, interessante und idealerweise noch nie gefahrene Route zu konzipieren: Klaus-Adrian Schlegtendal, seit langem Pfadfinder der Tour de Rü.
Der 76-Jährige, den die meisten nur Claudio nennen, ist Chirurg aus Leidenschaft, praktiziert immer noch am St. Josef-Krankenhaus in Werden und ist nach fast 50 Jahren am „Tisch“ und Tausenden Eingriffen ein gefragter Routinier. Viele vertrauen sich ganz gezielt nur ihm an, wenn sie sich unters Messer legen müssen. Bis heute versieht er aber nicht nur Dienst im OP-Saal, er ist sich auch nicht zu schade, nachts Notdienste zu schieben wie ein junger Assistenzarzt. „Solange die Hand noch ruhig ist - und das ist sie-, mache ich weiter“, sagt er.
Und wenn der Job dann doch mal ein paar freie Stunden übrig lässt, fährt Claudio Schlegtendal mit dem Auto raus, um im Dienst der Tour de Rü-Routenplanung wieder ein paar Dutzend Kilometer voran zu kommen - bis dann nach kurzem Schlaf wieder die Patienten dran sind.
Am Anfang steht die Suche nach einer schönen historischen Kulisse
„Wo ist ein geeignetes Schloss?“ - das ist bei seiner Tourplanung oft die erste Frage. Oldtimer-Freunde haben es gern, wenn sie ihre Lieblinge am Ziel vor historischer Kulisse aufreihen können, weil das halt schöne und stimmige Fotos ergibt. Zwei Stunden Pause mit Essen und Trinken sollten dort ebenfalls möglich sein. Ist ein Ort gefunden, beugt sich Schlegtandahl über seine altmodischen Landkarten und plant die Route, wobei es hin und zurück zusammen so um die 250 Kilometer sein sollten. Autobahnen und Schnellstraßen sind selbstverständlich tabu. Ziel ist ein möglichst hoher Anteil kleiner und kleinster Straßen, auf denen das Fahren und Schauen noch Spaß machen, und die auf gewundenen Wegen und landschaftlich attraktiv ans Ziel führen.
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Das klingt einfacher als es ist. „Heute gibt es bedeutend mehr Durchfahrverbote als noch vor einigen Jahren“, weiß Schlegtendal. Manche Traumstrecke ist daran schon gescheitert, und die Suche geht von vorne los. Schnell kommen da bei ihm 2000 Kilometer zusammen, bis wirklich alles in trockenen Tüchern ist. Aber am Ende hat es dann immer noch geklappt. „In diesem Jubiläumsjahr geht es durch das Bergische Land zum Schloss Ehreshoven“, verrät Schlegtendal und verspricht den 120 Teilnehmern auch diesmal eine gute Zeit.
Die Tour de Rü ist kein Rennen, aber auch keine Kaffeefahrt
Allerdings: „Wir machen zwar kein Zeitfahren, aber zügig muss es schon gehen, die Tour de Rü ist keine Kaffeefahrt“, sagt er. Manche der alten Autos sind PS-stark, andere nicht, und eine Servolenkung hat keines, denn Baujahr 1965 ist die obere Grenze bei den Tour de Rü-Autos. Kurvenreiche Strecken gehen da schnell in die Arme. Zwar ist Kolonnefahren verpönt, aber sehr viel später als der Erste sollte auch der Letzte nicht ankommen. Sonst haut es den Terminplan durcheinander.
Claudio Schlegtendal fährt die Rallye übrigens selbst nicht mit, sondern mit einem schnellen Auto voran, um Probleme auf der Strecke zu lösen, die immer mal auftauchen können. Früher hat er zudem noch aufwendige Suchspiele in die Rallye eingebaut, damit auch die Beifahrer gut beschäftigt waren. „Den Firlefanz lassen wir aber jetzt“, sagt er und lacht.
Warum tut man sich all das mit 76 noch an? Der Werdener hat seit jeher „Benzin im Blut“, neben dem ärztlichen Beruf war und ist der Rallye-Sport seine zweite große Leidenschaft. Schlegtendals Vater war Rennsportler, hat auch den Sohn angesteckt, der dann über Jahrzehnte in seiner Freizeit bei den großen internationalen Rallyes als Beifahrer mitfuhr. Er hat viel von der Welt gesehen und dabei unzählige Freundschaften geschlossen.
Ohne eine Handvoll zäher Idealisten gäbe es die Oldtimer-Rallye längst nicht mehr
Und dann ist da der Wille, eine so schöne und beliebte Veranstaltung nicht einfach aufzugeben, was ohne die Handvoll zäher Idealisten wohl schon lange passiert wäre. „Mir fällt es schwer, nein zu sagen“, sagt Claudio Schlegtendal. Tatsächlich haben nicht nur die 120 Fahrer plus Beifahrer ihren Spaß, zur Tour de Rü gehört auch das Ausfahren auf der morgendlichen Rüttenscheider Straße mit bereits vielen Zuschauern und vor allem die Zieleinfahrt mit Ehrung des schönsten Autos am Nachmittag. Bei einigermaßen gutem Wetter sind dann Tausende dabei.
All das betont auch Rolf Krane, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Rüttenscheid (IGR), die die Tour veranstaltet. „Die Begeisterung von Teilnehmern und Zuschauern hat uns getragen und all die vielen Hindernisse über die Jahre überwinden lassen“, sagt Krane, der offen zugibt, er hätte „nie gedacht, dass diese aufwendige Idee so lange tragen würde“.
Krane deutet an, dass offen ist, wie lange es die Tour de Rü noch geben kann. Das hängt auch mit einer traurigen Nachricht zusammen: Mit dem Grafikdesigner Reinhard Pietrass wurde in diesen Tagen ein Mann aus dem Leben gerissen, der als Teil des Vorbereitungsteams über viele Jahre die wichtigen Programmhefte gestaltete. Sein letztes Produkt, das Heft zur 20. Tour de Rü, hat er noch fertiggestellt, aber im Druck nicht mehr gesehen. „Sein Tod geht uns allen sehr nah“, sagt Claudio Schlegtendal.
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