Essen. Das Essener Glückauf-Kino war Unterhaltungstempel, Lehranstalt und ist heute Filmkunsttheater. Nicole Kronauer hat 27 von 100 Jahren miterlebt.

Wer 100 Jahre wird, muss Widrigkeiten trotzen, Durchhaltevermögen zeigen und Menschen mit Retter-Qualitäten um sich haben. Das zu den ältesten Kinos in NRW zählende Filmstudio kann das das aufweisen. Nicole Kronauer ist eine von denen, die es wissen muss. 27 Jahre hat sie dort als Servicekraft gearbeitet und sich in dieses Kino verliebt. Am 1. März wurde mit der Doris Day-Komödie „Bettgeflüster“ der 100. Geburtstag gefeiert.

„Ein idealer Gatte“ löste Andrang vor dem Filmstudio aus, das  1933/34 noch Glückauf-Lichtspiele hieß.
„Ein idealer Gatte“ löste Andrang vor dem Filmstudio aus, das 1933/34 noch Glückauf-Lichtspiele hieß. © Fotoarchiv Ruhr Museum | Willy van Heekern

1924 wurde es als Lehrkino gegen angebliche „Schundfilme“ aus der Taufe gehoben. Doch bei den angepeilten Schülern floppte es und wurde als Glückauf-Kino mit Anspruch auf „gute Filme“ weitergeführt. Es dauerte nicht lange und die Nationalsozialisten hatten die Filmwirtschaft im Griff. Nach der Stadt Essen betrieb Josef Eggert das Kino bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und eröffnete es 1953 mit „Tod eines Handlungsreisenden“ neu. Eine glanzvolle Zeit brach an.

Das Essener Filmstudio glänzte mit Komödien wie „Bettgeflüster“

An der Rüttenscheider Straße wurden selten mit Prominenten besetzte Premieren gefeiert wie in der Lichtburg. Das Filmstudio selbst entwickelte sich zu einem Publikumsliebling. Große Filme hatten im Filmstudio Glückauf lange Spielzeiten. „Vom Winde verweht“ lief 15 Wochen, „Ein Hauch von Nerz“ 18 Wochen und „Bettgeflüster“ 20 Wochen. Nach der populären Komödie wurde zeitweise die Haltestelle vor der Tür benannt. „Das Schweigen“ sorgte 1964 für Aufsehen. „Spiel mir das Lied vom Tod“ löste 1971 ständig Massenandrang aus.

Das Foyer des beliebten Rüttenscheider Kinos in den 1950er-Jahren.
Das Foyer des beliebten Rüttenscheider Kinos in den 1950er-Jahren. © Hans Eggert | Hans Eggert

Da war der Niedergang der Branche schon in vollem Gange. Ein wachsendes Freizeitangebot mit Fernsehen und Kinocentern in den 1990er Jahren bekam auch das Filmstudio zu spüren. Der 2020 verstorbene Hanns-Peter Hüster und seine Partnerin Marianne Menze übernahmen es trotzdem 1991 von den Menz-Theaterbetrieben und küssten ein Dornröschen wach. Das Filmstudio mit seinen 300 Holzklappsesseln, das Hüster seit seiner Kindheit liebte und wo er einst „Das doppelte Lottchen“ sah, blühte auf.

Ab 1996 stieß Nicole Kronauer zum Team der Essener Filmkunsttheater. Sie war 27 Jahre, eine ausgelernte Bilanzbuchhalterin mit einem ausgeprägten Faible für (skandinavische) Filme. Als sie hörte, dass ständig junge Leute für die Kinos gesucht werden, fühlte sie sich sofort angesprochen. Sie begann neben ihrer eigentlichen Arbeit, an der Theke des Filmstudios Süßwaren oder Heißgetränke abzugeben, im Saal Eis und oben an der Kasse Karten zu verkaufen. „Es ging mir von Anfang an nicht um den Verdienst, sondern um das Kino und den Kontakt zu den Menschen“, erzählt die 54-Jährige.

Das Filmstudio-Foyer im Glückaufhaus 2010 nach dem Wiederaufbau und der Restaurierung der Original-Ausstattung. Sie lädt immer noch zum Verweilen ein.
Das Filmstudio-Foyer im Glückaufhaus 2010 nach dem Wiederaufbau und der Restaurierung der Original-Ausstattung. Sie lädt immer noch zum Verweilen ein. © frank vinken | Frank Vinken

Nostalgischer Charme und ausgezeichnetes Programm im Essener Filmstudio

Nicole Kronauer mag den nostalgischen Charme sowie das vielfach ausgezeichnete Programm. Europäische Erstaufführungen, Dokumentarfilme, die spanischen Filmreihe „Ciñol“, Lesungen prägten neben Regie- und Expertengesprächen den Charakter. Es zieht ein Publikum an, das auf Arthouse-Filme steht. „Man ist unter Gleichgesinnten und kommt ins Gespräch. Die Leute stellen Fragen zum Film. Das Filmstudio hat ein treues Stammpublikum. Es gibt eine Clique von circa zehn älteren Damen, die donnerstags kommt, wenn ein neuer Film startet, und sich nach mir erkundigte, wenn ich mal nicht da war“, berichtet sie.

2001 musste das Kino wegen Baufälligkeit schließen. „Das war schlimm, weil man nicht wusste, ob es wieder öffnet“, so Nicole Kronauer. Auf Zollverein wurde ein vorübergehendes Domizil gefunden, wenngleich kein ebenbürtiger Ersatz. Mit dem Umbau des denkmalgeschützten Glückaufhauses 2006 bekam auch das Kino eine neue Perspektive. Allerdings mussten knapp zwei Millionen Euro aufgebracht werden, um dieses Denkmal deutscher Kinokultur zu retten.

Beim Kulturpfadfest 2007 mit Stefan Stoppok und der Gruppe Tuba Libre demonstrierten Essener, dass sie für den Erhalt des Filmstudio eintreten.
Beim Kulturpfadfest 2007 mit Stefan Stoppok und der Gruppe Tuba Libre demonstrierten Essener, dass sie für den Erhalt des Filmstudio eintreten. © Frank Vinken | Frank Vinken

Gefühlt ganz Essen wollte das Filmstudio retten

Über eine Million sagte das Land zu. Doch neben einigen Essener Firmen waren es vor allem die Bürger, die als Bürgen mit jeweils 1 000 Euro einsprangen und bekannte Künstler wie Joachim Krol, Hagen Rether und Wolfgang Niedecken. „Gefühlt ganz Essen ist aufgestanden, um dieses Kino zu erhalten. Auch ich habe Geld hinterlegt“, berichtet Nicole Kronauer, für die der Blick in die Baugrube schrecklich war. 2009 war das Werk vollbracht. Mit restaurierter Ausstattung, verlegten Toiletten und wegen der Bequemlichkeit nur noch 250 Plätzen, wurde es erneut wiedereröffnet.

Kronauer genoss das erste Betreten des Filmtheaters. 27 Jahre hat sie hier gearbeitet, zuletzt nur noch einmal in der Woche eine Stunde im Kartenverkauf. Jetzt passt es zeitlich nicht mehr, weil sie sich ehrenamtlich verstärkt in einem Verein zum Schutz von Wölfen engagiert. „Ich vermisse das Filmstudio sehr“, bedauert sie. „Es ist ganz besonders, weil man schon auf der Treppe und nicht erst im Saal in eine andere Welt reinrutscht.“

Bereits vor dem Betreten des Zuschauersaals taucht das Publikum in eine andere Welt ein. Das restaurierte Filmstudio im Glückaufhaus 2010 kurz nach der Wiedereröffnung.
 
Bereits vor dem Betreten des Zuschauersaals taucht das Publikum in eine andere Welt ein. Das restaurierte Filmstudio im Glückaufhaus 2010 kurz nach der Wiedereröffnung.   © Digital | Frank Vinken

Geburtstagsfeier

Am Sonntag, 10. März, um 17.30 Uhr wird die Komödie „Bettgeflüster“ von 1959 gezeigt und dazu ein Glas Sekt angeboten. Eintritt: 100 Cent. Der Schlagabtausch zwischen Doris Day und Rock Hudson ist der Film mit der längsten Laufzeit im Filmstudio. Er lief fünf Monate ununterbrochen.

Karten ab 15 Uhr an der Kasse des Filmstudios und online unter www.filmspiegel-essen.de

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