Essen. Ein Gutachten bescheinigt Befall mit „echtem Hausschwamm“. Stiekum sollen deshalb die Verkaufsbedingungen geändert werden.

Was mit einer städtischen Immobilie passiert, wenn allzu lange nichts passiert – dafür ist die Kunstwerkerschule am Rande des idyllischen Siepentals seit Jahren ein lehrreiches Beispiel. In dem villenähnlichen Anwesen unweit des Ruhrufers bröckelt und bröselt es an allen Ecken und Enden, Feuchtigkeit durchzieht den kompletten Bau, und weil eine Stadt nicht schwindeln mag, wenn sie so ein Gebäude zum Kauf feilbietet, kam auch das offizielle Exposé des Amtes für Stadterneuerung und Bodenordnung nicht umhin, von einem „stark vernachlässigten Bauzustand“ zu sprechen.

Immerhin, in diesen Tagen sollte damit Schluss sein, denn bis Mitte Oktober konnten sich Investoren melden, um den Dornröschenschlaf des Park-Areals samt aufstehender Gebäude endlich zu beenden: Für 1,2 Millionen Euro sollte das rund 3340 Quadratmeter große Gelände in Bergerhausen veräußert und als „bevorzugte ruhige Wohnlage“ wachgeküsst werden. Und weil es sich um ein „ortsbildprägendes Gebäude“ handelt, gab es die ausdrückliche Zusage, bei der Käufer-Auswahl jene Pläne bevorzugt zu gewichten, die den Bestand der alten Schule vorsehen. Jetzt aber verhindert „Serpula lacrymans“ auf der Zielgeraden das Happy End an der Kunstwerkerstraße 98 – und mit dem Pilz wächst zugleich ein Verdacht.

Mit dem 21-seitigen Gutachten zum Hausschwamm wurde das Verkaufsverfahren auf Eis gelegt

„Serpula lacrymans“, das ist der „echte Hausschwamm“: ein holzzerstörender Pilz, der in feuchtem Klima gedeiht, selbst durch Mauerwerk und seine Fugen kriecht und im Extremfall die Standsicherheit von Holzkonstruktionen gefährdet. In der Kunstwerkerschule sind, was niemanden verwundern dürfte, die Holzbalkendecke über dem 1. Obergeschoss und Teile der Dachkonstruktion großflächig von dem Pilz befallen, das hat der Düsseldorfer Bausachverständige Thomas Grünewald in einem 21-seitigem Gutachten festgestellt. Die Stellungnahme, zu der ihn die Stadt zweieinhalb Wochen vor dem Ende der Bewerbungsfrist für Investoren beauftragte und die er drei Wochen danach fertigstellte, liegt der Redaktion vor.

So könnte es aussehen, das neue Gesicht der Kunstwerkerschule, wie es sich einer der Kauf-Bewerber, die Aktion Mensch, gemeinsam mit den Architekten und Panern von F2K und Arup vorstellt.
So könnte es aussehen, das neue Gesicht der Kunstwerkerschule, wie es sich einer der Kauf-Bewerber, die Aktion Mensch, gemeinsam mit den Architekten und Panern von F2K und Arup vorstellt. © NRZ | Arup & F2K

Das Papier kam, sagen wir es so, zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, weil es das alte Verfahren kurz vor dem Ziel torpedierte. Die Stadt jedenfalls überbachte Mitte November den Bewerbern zusammen mit einem „herzlichen Dank“ für ihr Angebot die Nachricht, dass der Vermarktungsprozess vorerst „ruhend gestellt wurde“. Man werde sich, hieß es, „intensiv mit der Thematik auseinandersetzen“, und was das bedeutet, lässt sich in diesen Tagen in der nicht-öffentlichen Unterlage 1900/2023/7 des städtischen Planungsausschusses nachlesen: Dort legt die Verwaltung der Politik einen neuerlichen Verkaufsbeschluss nahe, diesmal aber „unter der Prämisse der Niederlegung des Bestandsgebäudes möglichst unter Erhaltung der Fassade zur Kunstwerkerstraße“. Weg mit Schaden also.

Die Aktion Mensch förderte erst eine Machbarkeitsstudie – und will jetzt selber mit investieren

Es ist dies der Moment, an dem sich der – bislang unbewiesene – Verdacht einiger Beteiligter entzündet, da sollten womöglich die Konditionen für einen Zuschlag im Bewerberverfahren um die Kunstwerkerschule für wen auch immer kommoder zugeschnitten werden. Denn seltsam: Der Gutachter fordert den Abriss überhaupt nicht, schlägt vielmehr weitere Untersuchungen vor, um das Ausmaß des Schadens beurteilen zu können und auf dieser Grundlage dann ein Sanierungskonzept zu erstellen.

Und es gibt nach Informationen dieser Zeitung mindestens einen Bieter, der im Prinzip kein Hindernis darin sieht, dem „echten Hausschwamm“ im Gebälk der Kunstwerkerschule mit einer klassischen Sanierung zu Leibe zu rücken, weil ihm das Projekt und auch der Charme des Gebäudes sehr am Herzen liegt – die Aktion Mensch e.V.. Diese hatte anfangs die Machbarkeitsstudie für ein durchgängig barrierefreies Wohnprojekt der Essener Inklusions-Initiative „Emma und Wir“ gefördert, im Verlauf der Gespräche allerdings so viel Gefallen an dem Vorhaben gefunden, dass man inzwischen sogar selbst als Investor einsteigen will. In Dieter Ochel, einem Essener Unternehmer, hat man zudem einen Co-Investor gefunden.

Die Sanierung des „echten Hausschwamms“ gilt den Fachleuten als „aufwendig, aber machbar“

Denn es geht immerhin um ein Investitions-Volumen von alles in allem rund „zehn bis elf Millionen Euro“ für das Quartier, bestätigt Stefan Winking, Immobilien-Projektentwickler der Aktion Mensch, für die der Bau inklusiver Wohngebäude für Menschen mit und ohne Behinderung Neuland bedeutet. Personen mit und ohne Behinderungen sollen hier leben können, zudem soll es Gemeinschaftsflächen in der alten Schule geben. Schon bislang hat die Aktion Mensch einige zehntausend Euro in das Projekt gesteckt, und vielleicht liegt es daran, dass man sich auch vom Hausschwamm nicht so leicht ins Bockshorn jagen lassen will. Den Dachstuhl wolle man ja eh abtragen und neu errichten, sagt Winking, und die dann noch erforderliche Sanierung sei „zwar aufwendig, aber machbar“.

Wenn es darum geht, für den Erhalt der Kunstwerkerschule mobil zu machen, weiß der Verein „Emma + Wir“ viele Menschen aus der Nachbarschaft an seiner Seite.
Wenn es darum geht, für den Erhalt der Kunstwerkerschule mobil zu machen, weiß der Verein „Emma + Wir“ viele Menschen aus der Nachbarschaft an seiner Seite. © NRZ | ML

Also beantragte die Aktion Mensch, Einblick in das Gutachten nehmen und die Immobilie noch einmal von innen unter die Lupe nehmen zu können. – Auch wenn sie eher auf die „soziale Rendite“ achtet, mit einem eigenen Sachverständigen im Schlepptau, um den Sanierungsaufwand und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit überprüfen zu können. Man schrieb dies Ende November, man schrieb es Mitte Dezember und noch einmal kurz vor Weihnachten, doch die Stadt verweigerte die Akteneinsicht wie auch den Zutritt beharrlich – „schon aus Sicherheitsgründen“, wie es in einer Antwort des Amtes für Stadterneuerung heißt, aber auch „aus Gründen der Gleichbehandlung“ mit den Mitbewerbern. Dass auch diese womöglich Interesse an einer Begehung haben könnten, blieb undiskutiert.

Die neuen Entscheidungskriterien sind „nicht-öffentlich“, darum keine Stellungnahme von der Stadt

Stattdessen signalisiert die Stadt vorbeugend schon einmal, dass sie sich im Falle bereits angedeuteter Schadensersatzforderungen auf der sicheren Seite sieht: Es gehe ja nicht um eine Vergabe mit den dort geltenden heiklen Bedingungen, sondern um ein simples Rechtsgeschäft des Privatrechts.

Auf Anfrage dieser Zeitung mochte die Stadtverwaltung am Montag keine Auskunft geben, warum sie die Schotten dicht macht: Die Thematik werde am Donnerstag schließlich in nicht-öffentlicher Sitzung des Planungs-Ausschusses behandelt, heißt es zur Begründung. Und wenn die Bezirksvertretung II das Thema am 1. Februar auf der Tagesordnung findet, hat dieser im Zweifel längst entschieden.

Maria Lüttringhaus, die mit ihrer Wohninitiative für Behinderte und Nichtbehinderte „Emma + Wir“ einst den Anstoß für das Engagement der Aktion Mensch gab, findet das ganze Verfahren maximal undurchsichtig. Aber wie bei der Kunstwerkerschule: unter Erhaltung der Fassade.