Essen. Auf der einen Seite gab es im vorigen Jahr in Essen einen Beschäftigungsrekord, auf der anderen Seite stieg die Arbeitslosigkeit. Eine Erklärung.
Der Arbeitsmarkt in Essen gibt Beobachtern Rätsel auf, denn die Entwicklungen scheinen nicht zusammenzupassen: Im vergangenen Jahr hatten so viele Menschen wie seit Jahren nicht mehr einen sozialversicherungspflichtigen Job. Auf der anderen Seite ist trotz des Beschäftigungsrekords die Arbeitslosigkeit in der Stadt im Vergleich zum Vorjahr wieder deutlich gestiegen.
Mitte 2023 gingen in Essen fast 267.000 Menschen arbeiten. Das sind 1,2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor und auch deutlich mehr als vor der Corona-Pandemie, als die Wirtschaft noch brummte. Jetzt, da die Stimmung in der Wirtschaft ziemlich am Boden liegt, 2023 gar bundesweit in eine Rezession rutschte, klingt das erstaunlich. Auch die Arbeitsagentur Essen, von der die Zahlen stammen, spricht von einem spürbaren wirtschaftlichen Einbruch. Die Insolvenzen steigen, die Unternehmen sind zurückhaltender bei Neueinstellungen, sagt die Geschäftsführerin der Arbeitsagentur, Andrea Demler.
Dass es dennoch bei der Beschäftigung weiter nach oben geht - und das erkennbar auch im zweiten Halbjahr 2023 - zeige, dass sich der „Arbeitsmarkt in Teilen von der wirtschaftlichen Entwicklung entkoppelt“, so Demler. Das heißt: Obwohl es in den Unternehmen nicht mehr brummt, setzten viele alles daran, ihre Fachkräfte zu halten. Denn klar ist: Wer auf dem Markt neue, qualifizierte Arbeitskräfte sucht, tut sich schwer. „Die Unternehmen halten deshalb an ihren Beschäftigten fest“, betont auch Demler.
Essen: Mehr über 65-Jährige bleiben im Job
Dies gilt offenbar selbst für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die längst das Rentenalter erreicht haben. Die Zahl derjenigen, die noch arbeiten, obwohl sie 65 Jahre und älter sind, ist zuletzt um 14 Prozent und somit kräftig gestiegen. In Summe sind das zwar nur rund 4200 - keine Riesenzahl also - aber die Entwicklung lässt die Arbeitsagentur aufhorchen. „Eine solche Steigerung hatten wir in den vergangenen Jahren nicht“, sagt Demler.
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Was außerdem auffällig ist: Vor allem bei Teilzeit-Jobs gibt es ein deutlicheres Wachstum. Demler interpretiert das so, dass Unternehmen stärker auf Wünsche von Beschäftigten eingehen und sich somit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gerade bei Frauen verbessert.
Der Beschäftigungsboom hat allerdings nicht dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit in der Stadt weiter sinkt. Im Gegenteil: Die Zahl der Arbeitslosen ist um fast sechs Prozent gestiegen. Im Schnitt waren rund 31.900 Männer und Frauen bei der Arbeitsagentur oder dem Jobcenter arbeitslos gemeldet. Von einer Arbeitslosenquote von unter zehn Prozent, wie sie vor der Corona-Krise in einigen Monaten erreicht wurde, ist Essen damit weit entfernt. Im Jahresmittel lag sie 2023 bei 10,5 Prozent.
Arbeitslosigkeit bei Ausländern in Essen steigt
Besonders unter den Ausländern in der Stadt ist die Arbeitslosigkeit gestiegen. Die Zahl der Ausländer ohne Job wuchs binnen eines Jahres um 14 Prozent auf über 14.300 Personen. Das liegt zum einen an der hohen Zuwanderung aus der Ukraine, aber auch weiterhin aus Ländern wie Syrien oder Afghanistan. Wer von dort kommt, beherrscht meist die deutsche Sprache nicht und hat daher auf dem Arbeitsmarkt schlechte Chancen. Meist fehlt es den Flüchtlingen auch an anerkannten Berufsabschlüssen.
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Zum anderen bauten gerade Post- , Kurier- und Expressdienste, die während Corona boomten und wo viele Ausländer einen Job gefunden hatten, nun wieder deutlich Mitarbeiter ab. Da dort viele Beschäftigte nur auf Helferniveau eingesetzt waren, wollen Arbeitsagentur und Jobcenter stärker daran arbeiten, dass diese besser qualifiziert werden. Denn nach wie vor sind in Krisenzeiten Geringqualifizierte stärker von Arbeitslosigkeit bedroht als Fachkräfte. Zwei Drittel derjenigen, die momentan in Essen arbeitslos sind, kommen lediglich für Hilfsarbeiten infrage.
Dass es zudem ein Auseinanderdriften zwischen Beschäftigung und Arbeitslosigkeit gibt, hat auch statistische Gründe: Für die Beschäftigung zählt der Arbeitsort, damit werden auch Nicht-Essener erfasst, die in die Stadt pendeln. Für die Arbeitslosen-Statistik dagegen zählt der Wohnort.
Arbeitsagentur: Galeria-Krise wird Arbeitslosenzahlen nicht nach oben treiben
In diesem Jahr dürfte es am Arbeitsmarkt in Essen wenig Bewegung geben. „Kurzfristig sehe ich keine breite Erholung“, sagt Demler. Sie rechnet aber auch nicht mit einer deutlichen Eintrübung. An ihrer Einschätzung ändert auch die jüngste Insolvenz des Essener Warenhaus-Konzerns Galeria Karstadt Kaufhof nichts. Sollte es zu weiteren Entlassungen in der Zentrale oder gar zur Schließung des Warenhauses im Limbecker Platz kommen, so glaubt Demler, dass die Beschäftigten wieder schnell Arbeit finden werden. Der Arbeitsmarkt gebe das weiterhin her. „Da mache ich mir keine Sorgen.“
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