Essen. Auf dem dritten Bildungsweg zum Studienabschluss: Eine Essener Stiftung will mehr junge Menschen dafür begeistern. Darum vergibt sie einen Preis.
Die Entscheidung sei schwer gewesen, doch der Reiz war zu groß: Also startete Katharina Linden mit 37 Jahren ein Maschinenbau-Studium – gemeinsam mit 18-Jährigen, die gerade ihr Abitur gemacht hatten. „Die ersten drei Semester waren superhart“, sagt sie rückblickend. Doch sie hat es geschafft und wurde nun in Essen mit dem Karl-Goldschmidt-Preis ausgezeichnet.
Ochsentour auf dem Weg zum Abschluss
Die Auszeichnung ist ausdrücklich für junge Menschen gedacht, die sich über den „dritten Bildungsweg“ für ihr Studium qualifiziert und eine hervorragende Abschlussarbeit im Bereich der Ingenieurwissenschaften vorgelegt haben. „Ich bin jedes Mal begeistert von unseren Preisträgern, die eine echte Ochsentour hinter sich haben. Was die leisten, ist der Hammer“, sagt Stephan Goldschmidt, Vorsitzender der Goldschmidt-Stiftung.
Vom dritten Bildungsweg spricht man, wenn jemand die „Hochschulzugangsberechtigung“ nicht an der Schule erworben hat, sondern etwa durch eine abgeschlossene Ausbildung und mehrjährige Berufserfahrung. Katharina Linden etwa hatte kein Abi, sondern einen Realschulabschluss. Für ihre erste Karriere spielte das keine Rolle: Sie machte eine Ausbildung zur Kauffrau im Groß- und Außenhandel, später den Handelsfachwirt, und arbeitete lange in einem Unternehmen, in dem sie viel mit Technik und Ingenieurskunst zu tun hatte.
Schon am ersten Studientag war sie abgehängt – und gab nicht auf
„Dabei habe ich gemerkt, wie sehr mich das interessiert.“ Doch die Vorstellung, Vollzeit zu arbeiten und zu studieren, schreckte sie zunächst ab. Selbst, als sie ein Stipendium bekam, „brauchte ich noch ein Jahr, um den Mut zu fassen“. Dann schrieb sie sich an der TH Köln für Maschinenbau ein und erhielt den ersten Dämpfer schon im einwöchigen Vorkurs „Mathe für Ingenieure“, in dem vor allem Stoff aus der Oberstufe aufgefrischt werden sollte. Eine Oberstufe, die Linden nie besucht hatte. „Am Tag eins war ich abgehängt“, stellt sie nüchtern fest.
Sie sei mit einem Nachteil ins Studium gestartet, habe den Oberstufenstoff nachgeholt, während ständig neuer Stoff hinzukam. Sie lernte mit YouTube-Tutorials, bekam Hilfe von Mitstudierenden und fand trotz des Altersunterschieds echte Freunde. „Aber wenn die anderen feiern gingen, habe ich gelernt.“
Ohne die Familie hätte sie es nicht geschafft
Ohne den Rückhalt der Familie hätte sie es nicht geschafft: Oft habe sie ihre Mutter angerufen; regelmäßig habe ihr Mann sie abgefragt: „Ich denke, er weiß inzwischen genauso viel über Werkstoffkunde wie ich.“ Viel Freizeit blieb gerade in den ersten Semestern nicht, doch ihre Begeisterung für das Studium habe sie nie verloren. „Ohne die hätte ich es nicht geschafft. Man braucht einen Motivator. Wenn der Drive wegfällt, geht das nicht.“
Für Drive sorgten auch Mitstudenten und Professoren: Katharina Linden spricht von einem tollen Studium an einer Hochschule, an der die Türen zu den Lehrenden offenstanden. Ihr Praxissemester bei einem Anlagebauer in Troisdorf habe sie bestärkt, dass sie sich richtig entschieden hatte.
„Dann wurde leider mein Vater krank.“ Sie verbrachte viel Zeit in Krankenhäusern, sah, wo es haperte. Sie merkte, wie wertvoll die Forschung zu technischer Hilfe im Gesundheitswesen ist, die an der TH Köln betrieben wird. „Wenn Maschinen bestimmte Routinearbeiten erledigen, bleibt den Pflegekräften mehr Zeit für die Patienten.“ Sie hatte das Thema gefunden, das sie bis heute begleitet, machte Projekte im Gesundheitsbereich. Auch ihre Abschlussarbeit befasst sich damit.
Nur vier Frauen starteten in das Maschinenbaustudium
2021 hatte Katharina Linden den Bachelor in der Tasche – und Lust auf mehr: Sie hängte noch einmal vier Semester dran, um im Juni 2023 den Master mit Schwerpunkt Smart Systems zu machen, arbeitete parallel schon als wissenschaftliche Hilfskraft im Cologne Cobots Lab. Dort wird zur kollaborativen Robotik geforscht, die dafür sorgen soll, dass Mensch und Maschine Hand in Hand arbeiten. „Es ist ein großes Glück, in einem so innovativen, interdisziplinären Labor zu arbeiten.“
Institutsdirektorin Prof. Dr. Anja Richert hat ihre Arbeit betreut, Gruppenleiterin Caterina Neef war Zweitbetreuerin. Dass der Bereich so weiblich ist, mag Außenstehende verblüffen. Katharina Linden, in deren Studienjahrgang nur vier Frauen waren, sagt, dass es in der Forschung viele Frauen gebe. „Ich glaube, wenn Frauen sich für ein technisches Studium entscheiden, wissen sie ganz genau, was sie wollen.“ So wie die 43-Jährige selbst, die begeistert an der Schnittstelle von Mensch und Technik arbeitet, etwa mit sozialen Robotern, die Hightech und niedliches Aussehen vereinen – und von Senioren gut angenommen würden.
Studenten auf dem dritten Bildungsweg kämpfen hart für ihr Ziel
„Es macht mir Freude, etwas für und mit alten Menschen zu entwickeln.“ Sie intensiv zu befragen, wie sie sich ein gutes Hilfsmittel vorstellen. Gerade arbeite das Labor an einer App für Betroffene mit einer Aphasie (Sprachstörung). Auch ihr kaufmännisches Wissen könne sie übrigens in ihre Arbeit einbringen.
Stiftung hat sich der Bildung verschrieben
Die Ziele der 2011 gegründeten, gemeinnützigen Goldschmidt-Stiftung sind: die Förderung der schulischen Ausbildung, die Unterstützung von Schul- und Projektarbeit sowie die Förderung der Forschung durch die Vergabe von Stipendien.
Seit 2014 wird der mit 5000 Euro dotierte Karl-Goldschmidt-Preis an junge Menschen vergeben, die über den dritten Bildungsweg studiert und ihr Studium erfolgreich abgeschlossen haben: Sie haben keine schulische Hochschulzugangsberechtigung, sondern können aufgrund mehrjähriger Berufserfahrung und abgeschlossener Ausbildung studieren. Eine Jury vergibt den Preis für hervorragende Abschlussarbeiten aus dem Bereich der Ingenieurwissenschaften (Maschinenbau, chemische Verfahrenstechnik, Werkstoffwissenschaften, Elektrotechnik, Wirtschaftsingenieurwesen). Infos: http://goldschmidt-stiftung.de/
Katharina Linden wurde für ihre Arbeit „QiSDK Dialoganwendung zur Erfassung des Wohlbefindens älterer Menschen: Entwicklung und Vergleich mit Google Dialogflow“ ausgezeichnet.
Dieses Ziel zu erreichen, hat sie viele Nachtschichten gekostet. Nun schwärmt sie von „einer harten, aber supercoolen Studienzeit“. Und freut sich nicht nur persönlich über den Karl-Goldschmidt-Preis: „Es ist eine Ehre, die nicht nur die Qualität der Arbeit würdigt, sondern auch den dritten Bildungsweg: Diese Leute kämpfen so hart für ihr Ziel!“
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