Essen. Behinderte in Werkstätten verdienen weit unter Mindestlohn. In den Franz-Sales-Werkstätten gibt es zudem auch 2023 keine Sonderzahlung.
In diesen Tagen ist für viele Beschäftigte der Blick auf den Lohnzettel besonders erfreulich, dann nämlich, wenn es Weihnachtsgeld gibt. Entsprechend groß aber dürfte die Enttäuschung bei den über 800 behinderten Beschäftigten in den Franz-Sales-Werkstätten in Essen nach dem jüngsten Brief der Geschäftsführung sein: Diese teilte ihnen Mitte November mit, dass es für sie auch in diesem Jahr kein Weihnachtsgeld gibt. Schon im vergangenen Jahr reichten die Erträge der Werkstatt für eine solche Sonderzahlung nicht aus.
Wörtlich heißt es in dem Brief: „Leider haben wir eine schlechte Nachricht: Auch in diesem Jahr hat die Werkstatt nicht gut verdient. Deshalb kann kein Weihnachtsgeld gezahlt werden.“ Unterzeichnet ist er vom Geschäftsführer Hubert Vornholt, der Geschäftsführerin Ann-Katrin Glüsing sowie dem Vertreter der Werkstattbeschäftigten.
Behindertenwerkstatt: Beschäftigte liegen weit unter Mindestlohn
Ein Betreuer, der sich um mehrere Beschäftigte in den Franz-Sales-Werkstätten kümmert, fasst die Stimmung unter ihnen knapp aber deutlich zusammen: „Sie sind traurig, sauer und wütend.“ Namentlich möchte der Betreuer nicht genannt werden, auch zum Schutz seiner Betreuten.
Die Franz-Sales-Werkstätten, eine katholische Einrichtung der Behindertenhilfe, haben sieben Standorte im Stadtgebiet. Behinderte arbeiten beispielsweise in einer Schreinerei, in einer Bäckerei, einer Schneiderei oder einer Wäscherei, sie sind aber auch in Unternehmen vor Ort tätig.
Beschäftigte in Behindertenwerkstätten verdienen generell wenig - ihr Verdienst liegt weit unter dem Mindestlohn. Im Schnitt bekam ein Mitarbeiter im Jahr 2021 gerade einmal 226 Euro im Monat. Das ergab eine bundesweite Studie im Auftrag des Bundessozialministeriums, die im September erschien. Bei einem Vollzeitjob bedeutete das weniger als 1,40 Euro pro Stunde. Der Mindestlohn liegt aktuell bei 12 Euro. Um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, sind die meisten Beschäftigten deshalb auf Grundsicherung oder eine Erwerbsminderungsrente angewiesen.
Weihnachtsgeld für Behinderte nicht üppig aber wertschätzend
Geregelt ist ihre Vergütung in der Werkstättenverordnung. Sie setzt sich aus einem bundesweit einheitlichen Grundbetrag zusammen. Dieser liegt aktuell bei 126 Euro im Monat. Hinzu kommt ein Steigerungsbetrag, der variabel ist - je nach Arbeitsleistung des Einzelnen. Schließlich gibt es für einige noch ein Arbeitsförderungsgeld von derzeit 52 Euro monatlich.
Was in den Werkstätten nach Abzug der Kosten vom Umsatz übrig bleibt, muss zu mindestens 70 Prozent an die Beschäftigten ausbezahlt werden, Sonderzahlzungen inklusive. Das heißt für das Weihnachtsgeld: Das gibt es nur, wenn die Behinderten genug Überschuss erwirtschaften. Sie sind somit auf die wirtschaftliche Führung der Werkstätten angewiesen - darauf also, dass genügend und gut bezahlte Aufträge akquiriert werden.
Üppig ist in der Regel auch das Weihnachtsgeld nicht. Bei den Franz-Sales-Werkstätten gab es 2021 die Hälfte eines Monatsentgelts - mindestens 45 Euro. Wie der Betreuer berichtet, wird das Weihnachtsgeld von vielen aber als Wertschätzung für ihre Arbeit gesehen.
Warum die Franz-Sales-Werkstätten auch 2023 zu wenig abwarfen, um Weihnachtsgeld zu zahlen, hat nach Angaben einer Sprecherin verschiedene Gründe. Der Umsatz liegt bei 3,6 Millionen Euro und ging damit im Vergleich zu 2022 weiter zurück. Im Corona-Jahr 2021 erwirtschafteten sie noch 4,6 Millionen Euro. Vor allem in tragenden Bereichen seien die Aufträge eingebrochen.
GSE-Behindertenwerkstatt in Essen zahlt Weihnachtsgeld
Auf der anderen Seite seien Kosten für Energie und Material gestiegen. Auch arbeiteten mittlerweile mehr Mitarbeitende in den Werkstätten. Weniger Ertrag musste also auf mehr Köpfe verteilt werden. Hinzu kam der höhere gesetzliche Grundbetrag, der Anfang Januar gestiegen war. So blieb unterm Strich nichts fürs Weihnachtsgeld übrig. „Sonderzahlungen sind immer auch ein Spiegelbild der wirtschaftlichen Situation am Markt“, betont die Sprecherin.
Diese jedoch scheint nicht generell schlecht zu sein. Denn die Behindertenwerkstätten der städtischen GSE, die sich im gleichen Markt bewegen, die genauso den höheren Grundbetrag zahlen müssen und sicher auch mit enormen Kostensteigerungen konfrontiert sind, zahlen dieses Jahr ihren Beschäftigten Weihnachtsgeld. Je nach Leistungsniveau gab es für die rund 1600 Beschäftigten jeweils zwischen 50 und 400 Euro.
Zu wenige Behinderte in Betrieben
Per Gesetz sind Arbeitgeber mit 20 und mehr Arbeitsplätzen gesetzlich verpflichtet, schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Doch jedes zweite Unternehmen in Essen beschäftigt zu wenige behinderte Menschen. Laut Arbeitsagentur erfüllten 2021 gerade einmal 45,2 Prozent der Betriebe mit 20 und mehr Mitarbeitenden die gesetzliche Pflichtquote.
Unternehmen, die die Quote nicht erreichen, müssen monatlich eine sogenannte Ausgleichsabgabe zahlen.
Die Franz-Sales-Werkstattleitung will nun daran arbeiten, „dass die Werkstatt in den nächsten Jahren wieder mehr verdient“. Die Aufgabe heißt: mehr und rentablere Aufträge heranschaffen.
Vergütung in Behindertenwerkstätten generell auf dem Prüfstand
Generell bleibt abzuwarten, was das Bundessozialministerium aus der von ihm beauftragten Studie macht, die das Vergütungssystem in den Behindertenwerkstätten auf den Prüfstand nehmen sollte. Die Forscher schlagen darin auch für die Beschäftigten dort die Zahlung des Mindestlohnes vor - finanziert großteils aus Steuermitteln. Auf der anderen Seite würden so andere Sozialleistungen gespart.
Das Franz Sales Haus beobachtet die aktuelle Vergütungsdiskussion mit Spannung: „Wir alle hoffen darauf, dass das bundesweite Entgeltsystem demnächst so angepasst wird, dass die Beschäftigten mehr Wertschätzung für ihre Anstrengungen erhalten.“
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