Als „Leuchtturmprojekt“ soll auf Vorschlag von CDU und Grünen in Altenessen ein Hochradweg entstehen. Nicht nur die Kosten werfen Fragen auf.

Der Gedanke klang gewagt, ja vermessen, vielleicht sogar ein wenig verrückt: Als Essens CDU-Fraktionsvorsitzender Fabian Schrumpf anlässlich seiner Haushaltsrede im November 2021 vorschlug, die Stadt Essen möge einen Hochradweg bauen und von einem „Leuchtturmprojekt“ in Sachen Radverkehr sprach, war die Überraschung groß. So mancher habe sich wohl gedacht: „Die fangen jetzt an zu spinnen.“

So formulierte es wenige Monate später Ulrich Beul, verkehrspolitischer Sprecher der Christdemokraten im Rat der Stadt, als er gemeinsam mit seinem Kollegen Stephan Neumann von den Grünen der Öffentlichkeit den potenziellen Standort für besagten Radweg auf Stelzen präsentierte: den Bahnhof Altenessen. Der Eindruck, der mit Beuls Worten damals so manchem spontan gekommen war, dürfte sich womöglich verfestigen. Nun, da die Stadtverwaltung dem Ratsausschuss für Verkehr und Mobilität erste Pläne und vor allem eine Kostenschätzung für besagtes „Leuchtturmprojekt“ vorlegt hat. Achtung! Nicht weniger als 77 Millionen Euro würde die Stadt Essen ein solcher Hochradweg kosten.

Nach Angaben der Verwaltung handelt es sich dabei um „eine grobe Berechnung“ auf Basis dessen, was Brückenbauwerke heute kosten. „Auf diesem Niveau bewegen wir uns – plus oder minus 50 Prozent“, so Andreas Demny vom Amt für Straßen und Verkehr.

Der Hochradweg am Bahnhof Altenessen würde neun Meter hoch

Strenggenommen handelt es sich um zwei Hochradwege. Der erste beginnt dort, wo der noch im Bau befindliche Grünzug Zangenstraße mit seinem Fuß- und Radweg endet, also unweit des Bahnhofs Altenessen. Von dort soll eine 140 Meter lange Rampe auf den Hochradweg führen, so dass Fahrradfahrer den Bahnhofsvorplatz und die stark befahrene Altenessener Straße vermeiden können. Soweit die Idee.

Aus Sicht der Fahrradverbände ist die Altenessener Straße von jeher ein gefährliches Nadelöhr. Weil „für einen vernünftigen Radweg“ kein Platz sei, wie Ulrich Beul seinerzeit betonte, soll es hoch hinaus gehen. Sehr hoch sogar, bis auf eine Höhe von neun Metern. Diese sei erforderlich, um genügend Abstand zur Oberleitung der Straßenbahn einzuhalten. Immerhin fünfeinhalb Meter lägen zwischen den Gleisen der Deutschen Bahn auf dem Bahndamm und dem Hochradweg. Für eine schöne Aussicht über Altenessen wäre also gesorgt.

Mit einem Gefälle von zwei Prozent würde der Hochradweg über das neue Einkaufszentrum an der Altenessener Straße führen, um auf den zweiten Hochradweg zu treffen. Dieser verbindet in Nord-Süd-Richtung den Kaiser-Wilhelm-Park mit dem Helenenpark und überbrückt dabei den Palmbuschweg, die Köln-Mindener-Eisenbahnlinie und die Lierfeldstraße.

Am Bahnhof Altenessen vorbei soll der Hochradweg (hier violett dargestellt) bis zum zweiten Hochweg (ebenfalls violett) führen, der den Kaiser-Wilhelm-Park mit dem Helenenpark verbinden soll.
Am Bahnhof Altenessen vorbei soll der Hochradweg (hier violett dargestellt) bis zum zweiten Hochweg (ebenfalls violett) führen, der den Kaiser-Wilhelm-Park mit dem Helenenpark verbinden soll. © funkegrafik nrw | Anna Stais

Dass sich all dies nicht ohne weiteres realisieren lässt, dürfte niemanden überraschen. Um Baurecht zu schaffen, wäre laut Verwaltung ein langwieriges Planfeststellungsverfahren erforderlich. Die Hälfte der für den Bau benötigten Grundstücke befinden sich zudem nicht im Besitz der Stadt und müssten erst erworben werden. Verhandlungspartner wäre die Deutsche Bahn. Dort müssten Baumaßnahmen über oder unter den Schienen mindestens drei Jahre im Voraus angemeldet werden.

Weil die Kosten beachtlich sind, hat die Verwaltung eine Alternative berechnet. Der Radweg würde in diesem Fall von der Zangenstraße kommend ebenerdig am Bahnhof Altenessen vorbei bis zum Helenendamm geführt und über Rampen an den Hochradweg zwischen Kaiser-Wilhelm-Park und Helenenpark angeschlossen. 34,6 Millionen Euro werden dafür veranschlagt. Aus „verkehrstechnischen Gründen“ und wegen des „hohen Gefährdungspotenzials“ äußert die Verwaltung jedoch „erhebliche Bedenken“ und rät von dieser Variante ab. Kämen sich auf dem Bahnhofsvorplatz doch Radfahrer und Fußgänger in die Quere.

Der ADFC Essen drängt auf eine schnelle und machbare Lösung

Und nun? Während sich das Essener Bürgerbündnis (EBB) in einer Stellungnahme angesichts der Kosten in zweistelliger Millionenhöhe fassungslos zeigt und dem schwarz-grünen Ratsbündnis Realitätsferne attestiert, wollen CDU und Grüne das Vorhaben nicht gleich beerdigen. „Wir stehen hinter dem Projekt“, sagte Ulrich Beul im Verkehrsausschuss, schränkte aber ein: „Dass wir dafür nicht 77 Millionen Euro ausgeben, steht außer Frage.“ Nichts zu tun sei jedoch keine Option.

Mit Blick auf die für Fahrradfahrer schwierige Verkehrssituation am Bahnhof Altenessen, sagte Stephan Neumann (Grüne): „Wir können so nicht weitermachen.“ Es brauche kreative Lösungen. Wie diese aussehen könnten, bleibt vorerst offen.

Mirko Sehnke, Sprecher des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) in Essen, nennt Bericht und Kostenschätzung der Verwaltung ernüchternd. Der Vorschlag von CDU und Grünen für einen Hochradweg „war schon damals eine Nebelkerze“, kritisiert Sehnke. Eine Nord-Süd-Verbindung für den Radverkehr am Bahnhof Altenessen sei dringend erforderlich. „Statt Leuchtturmprojekte, die, wenn überhaupt, erst in Jahrzehnten umgesetzt werden, brauchen wir schnelle Lösungen.“

Apropos: Ganz nebenbei lässt die Verwaltung wissen, dass für den Grünzug Zangenstraße von der Hövelstraße bis zum Bahnhof Altenessen noch Grundstücksverhandlungen mit der Deutschen Bahn geführt werden. Ob die Bahn die benötigten Flächen an die Stadt abtritt, erfahre man erst 2025.