Essen. „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ wird zum besonderen Film-Tripp in Essens Lichtburg. Publikum feiert Wenders’ 3D-Doku trotz technischer Probleme.

Zwei bedeutende Künstler vor und auf der Leinwand und ein dritter Starmusiker im Parkett: Zur Vorpremiere von „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ war am Dienstagabend auch BAP-Sänger Wolfgang Niedecken nach Essen gekommen. Der Musiker aus Köln und der in Düsseldorf geborene Filmemacher kennen sich seit langer Zeit und zählen zu den engagierten Rettern der einst vom Abriss bedrohten Lichtburg, die bald ihren 95. Geburtstag feiert. Am Dienstagabend gingen sie gemeinsam mit dem Publikum auf einen ganz besonderen Film-Tripp.

Viele Schaulustige freuten sich über den gemeinsamen Auftritt von Regisseur Wim Wenders und BAP-Sänger Wolfgang Niedecken in Essen.
Viele Schaulustige freuten sich über den gemeinsamen Auftritt von Regisseur Wim Wenders und BAP-Sänger Wolfgang Niedecken in Essen. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Eine etwas andere Kinoerfahrung ohne Nebenwirkungen hatte Wim Wenders den Zuschauern versprochen. Ernüchternd für einige Gäste und vor allem für das Lichtburg-Team, dass etliche der 400 extra neu angeschafften 3D-Brillen am Abend erst einmal den Dienst versagten. So kam zunächst doch ein bisschen Hektik in diesen Film, der „das Rauschen der Zeit“ als imposantes 3D-Projekt festhalten will.

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2011 war Wenders mit seiner 3D-Hommage an Pina Bausch noch Vorreiter der Technik. Auch Anselm Kiefer habe den Film gesehen und sei deshalb leicht von dem mit großem Aufwand verbundenen Vorhaben zu überzeugen gewesen, sagt Wenders. Immerhin sieben Mal ist das Filmteam in zweieinhalb Jahren ausgerückt, um Kiefer auf seinem Areal im südfranzösischen Barjac zu besuchen, wo der heute 78-Jährige über Jahrzehnte einen mehr als 35 Hektar großen Kunst-Kosmos aus Gebäuden, Brücken und Tunneln geschafften hat.

„Anselm – Das Rauschen der Zeit“ ist ein bildgewaltiges Werk zweier Männer, die sich zwar nicht wortlos verstehen. Die Essenz unzähliger Gespräche, die Wenders und Kiefer über lange Zeit geführt haben, kann der Film aber vergleichsweise wortlos an die Zuschauer weitergeben. „Ich will Anselm nicht seine Kunst erklären lassen“, hat Wenders schließlich beschlossen, als er das Projekt 2019 kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Angriff genommen hat.

Anselm Kiefer: Erst verschmäht und längst zu einem der bedeutendsten Gegenwartskünstler aufgestiegen

Da kannten sich die beiden Künstler schon viele Jahre. Wenders und Kiefer verbindet nicht nur der Geburtsjahrgang – 1945, sondern auch das Interesse an der Aufarbeitung deutscher Geschichte. Wim Wenders braucht dafür ein paar Jahre Abstand und geht erst einmal in die USA. Anselm Kiefer beugt sich tief hinein in die Gräben der Geschichte, greift philosophische, literarische und mythologische Bezüge auf und sorgt Ende der 1960er in der Wehrmachtsuniform seines Vaters mit dem inszenierten Hitlergruß für einen Aufschrei, denn: „Verdrängen hilft ja nicht.“ Während man ihn in den USA als Tabubrecher feiert, hat das deutsche Publikum Probleme mit dem schweren Pathos und dem nimmermüden Protest gegen das Vergessen. Viele Jahre wird Kiefer mehr geschmäht als gefeiert – und dann doch zu einem der bedeutendsten Künstler der Gegenwart.

Wenders Film ist eine Künstler-Doku, die dem vielschichten Kiefer-Werk ebenbürtig ist. Der Regisseur vermischt biografisches Material mit kleineren Filmszenen (Kiefer-Sohn Daniel spielt den Künstler als jüngeren Mann), geht zurück in die Kindheit und folgt Kiefer zu seiner grandiosen Auftritt im venezianischen Palazzo Ducale. Vor allem aber setzt das Filmporträt immer wieder die Wucht des martialischen Mal-Prozesses in Szene und macht die gigantischen Dimensionen seiner mit Asche und Stroh bedeckten, von Hitze und Feuer gezeichneten, skulpturalen Landschaftsbilder deutlich.

Der Film sollte vor allem den Maler selber überraschen

Eigentlich sei das doch langweilig, einem Maler beim Malen zuzusehen, hat Kiefer befürchtet. Aber wie sich einer unerbittlich der Gluthitze des Feuers, den Dämpfen von Blei und der Kritik einer Gesellschaft aussetzt, die die Leichtigkeit doch weit mehr schätzt als die Beschäftigung mit der bleischweren Vergangenheit, ist ein eindrucksvolles Dokument. Der Film sei nicht nur für Kiefer-Fans oder - Kritiker gemacht, sagt Wenders. Er soll den Zuschauern „ein Erlebnis vermitteln, das sie sonst nicht haben können“. Und er sollte vor allem eines: „Den Maler selber überraschen!“

Der Film startet am 12. Oktober in den deutschen Kinos.

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