Essen. Aleksey Semenenko lehrt in Essen Geige. Zu Beginn des Ukrainekriegs bangten viele um seine Rückkehr. Nun gibt er ein Konzert in der Philharmonie.
Als Aleksey Semenenko das letzte Mal in der Ukraine gespielt hat, da schien es für einen Moment so, als sei der junge Geigenstar nun Gefangener in seinem Heimatland. An diesem denkwürdigen 23. Februar 2022 hat Semenenko das Publikum in Kiew am Abend noch mit Optimismus begrüßt: „Ich kenne die Risiken. Ich bin gekommen, um euch trotzdem zu unterstützen.“ Als er am nächsten Tag erwacht, hat Putins Angriffskrieg auf die Ukraine bereits begonnen. Knapp vier bange Wochen lang weiß der Musiker nicht, ob er wieder zurück kann nach Deutschland, wo er 2021 als jüngster Folkwang-Professor in Essen sein Amt angetreten hat. Oder ob er Teil eines Krieges wird, von dem damals noch niemand weiß, welche Ausmaße er annehmen wird.
Violin-Star droht in der Ukraine der Einsatz an der Waffe
Die Generalmobilmachung läuft an, Männer im wehrfähigen Alter dürfen das Land nicht mehr verlassen, auch Violinstars wie Semenenko droht der Einsatz an der Waffe. Der Mittdreißiger schafft es in den Wirren der ersten Kriegstage zumindest, aus Kiew nach Lwiw zu kommen. Und dann geschieht doch ein kleines Wunder: Der Musiker aus der Ukraine mit dem deutschen Pass kann ausreisen. Nun spielt er für all jene, die in der Ukraine geblieben sind und dableiben mussten, ein Benefiz-Konzert in Essen: Am Donnerstag, 5. Oktober, 19 Uhr, steht er gemeinsam mit den Essener Philharmonikern unter Leitung von Generalmusikdirektor Andrea Sanguineti im Essener Konzerthaus auf der Bühne.
Semenenko hat mittlerweile schon eine ganze Reihe von Benefizkonzerten in den Philharmonien der Republik gegeben. Irgendwann hat er auch Oberbürgermeister Thomas Kufen getroffen und ihn für die Idee eines Benefizkonzerts in Essen gewinnen können. Im Zentrum steht das berühmte Violinkonzert von Ludwig van Beethoven, den Solopart übernimmt Semenenko.
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Der Erlös des Abends geht zur einen Hälfte an die Musikschule in Odessa, wo Semenenko schon als Sechsjähriger Geige studiert hat und nur ein Jahr später als Solist mit dem Philharmonischen Orchester Odessa debütierte. Das Musikinstitut, das mit legendären Namen wie dem von Piotr Stoljarski oder dem weltberühmten Geiger Igor Oistrach verbunden ist, leidet schwer unter den Zerstörungen im Krieg und dem künstlerischen Aderlass.
Beim Konzert werden auch Spenden für die Musikschule in Odessa gesammelt
Die andere Hälfte des Konzerterlöses kommt Projekten der nordwestukrainischen Stadt Riwne zugute, mit der die Stadt Essen seit dem Angriff Russlands eine enge Solidaritätspartnerschaft pflegt.
Semenenko gelingt nach Kriegsausbruch zunächst die Flucht in die westukrainische Stadt Lwiw. Ein paar Wochen spielt er dort für all jene, die in der Musik eine kurze Zuflucht finden. Er packt mit an, wo es notwendig ist. Er hilft in einem Café aus und findet inmitten des Chaos doch auch ein bisschen Sicherheit bei den Menschen, die sich wie er einfach kümmern, dass die notwendigsten Dinge funktionieren.
Hier gibt’s die Tickets
Tickets für das Benefizkonzert am 5. Oktober, 19 Uhr, kosten zwischen 17 und 41 Euro.
Sie sind erhältlich im Ticket-Center der TUP, II. Hagen 2, an der Kasse des Aalto-Theaters, Opernplatz 10, unter Tel. 0201 81 22-200 sowie online unter www.theater-essen.de. Die Einnahmen kommen in vollem Umfang der Notfallhilfe und dem Wiederaufbau in der Ukraine zugute.
Geflüchtete aus der Ukraine erhalten kostenlose Eintrittskarten gegen Vorlage ihres ukrainischen Passes an der Veranstaltungskasse eine Stunde vor Konzertbeginn.
Warten auf ein Wunder: Auch viele namhafte Künstler von Daniel Barenboim bis zu Anne-Sophie Mutter setzen sich damals für den international erfolgreichen Aleksey Semenenko ein, der schon 2015 den Boris Goldstein Violinwettbewerb gewinnt und beim renommierten Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel reüssiert. Doch die entscheidende Wende muss aus der ukrainischen Führung gekommen sein, da ist sich der Künstler heute sicher. Nach einem Monat dann die Erlösung. Mit acht Leuten in zwei Autos schaffen sie es über die Grenze und stehen irgendwann am Frankfurter Flughafen. Erst einmal erlöst, aber seither auch in Sorge um die Heimat, die Familie, die noch in Odessa lebt, und um die eigenen Wurzeln.
Neben Beethoven und Haydn wird ein Werk des ukrainischen Komponisten Maxim Berezovsky gespielt
Seine Eltern sind vor langer Zeit vom Don nach Odessa gekommen. Daheim wurde Russisch gesprochen. Semenenko, der sich doch so vorzüglich auf die universelle Sprache der Musik versteht, tut sich schwer damit, die Muttersprache völlig zu tilgen. „Manche Freunde sind ganz auf Ukrainisch umgeschwenkt, aber ich fühle das nicht.“
Auch in der Kunst ist das Auslöschen der russischen Werke und ihrer Schöpfer für ihn kein Universalrezept. Dass Putin-Unterstützer von Posten und Verträgen entbunden wurden, hält Semenenko für sehr richtig. „Doch die Vernunft sagt mir, dass man nur das Gegenteil erreicht, wenn man die Kunst ganz ausschließt.“ Auch wenn er weiß, wie schwer sich manche Musiker aus der Ukraine heute mit der Aufführung russischer Werke tun. In Essen werden sie den Klängen der Heimat huldigen. Neben Beethoven und der Sinfonie Nr. 100 von Joseph Haydn wird auch die Sinfonie C-Dur des ukrainischen Komponisten Maxim Berezovsky aufgeführt.
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