Essen/Mülheim. Der Räderklau hat Hochkonjunktur: Polizei rechnet bis zum Jahresende mit drei Mal so vielen Delikten. Eine Ermittlungsgruppe soll dagegenhalten.
Der Fahrradklau hat Hochkonjunktur, und die Diebe sind so dreist wie nie zuvor: Die Polizei rechnet bis zum Jahresende mit einer Verdreifachung der Delikte in Essen und Mülheim. Die Lage ist so dramatisch, dass die Behörde eine Ermittlungskommission gegründet hat, um der Entwicklung Einhalt gebieten und den Tätern auf die Spur kommen zu können.
Im Vergleich zwischen Januar und August dieses und des vergangenen Jahres haben sich die Fallzahlen bis jetzt schon verdoppelt, sagt Polizeisprecher René Bäuml. In den ersten acht Monaten 2022 wurden den Ermittlern 1182 Raddiebstähle in beiden Städten bekannt. Im selben Zeitraum des laufenden Jahres waren es bereits 2458 dieser Straftaten. Was rein rechnerisch bedeutet: Jeden Tag verschwinden zehn Drahtesel. Am Ende des vergangenen Jahres summierte sich die Schadenssumme bereits auf rund 1,8 Millionen Euro.
Behält die Essener Polizei mit ihrer düsteren Prognose recht, dürfte am Ende 2023 unterm Strich eine Schadenssumme von über fünf Millionen Euro stehen. Denn war ein gestohlenes Rad 2015 noch durchschnittlich 688 Euro wert, entstand im vergangenen Jahr im rechnerischen Mittel ein Schaden von 1178 Euro pro Fall, Tendenz steigend.
Das Vertrauen in herkömmliche Schlösser ist groß
Das Angebot auf den Straßen, in den Garagen und Kellern scheint verlockend zu sein und Gelegenheit macht bekanntlich Diebe: Es sind nicht nur mehr Räder unterwegs, sie werden auch deutlich teurer, besonders als E-Bike, aber deswegen nicht automatisch von ihren Eigentümern besser gesichert, sagt Bäuml. Das Vertrauen in herkömmliche Schlösser scheint groß und das Bewusstsein nicht vorhanden zu sein, dass hochpreisige Pedelecs tunlichst dingfester gemacht werden sollten, zumal sie auf der Liste der Kriminellen ganz oben stehen.
Mit wenig Aufwand und geringem Risiko, erwischt zu werden, können die Täter offenbar gutes Geld verdienen. Und ihre Kunden scheinen die Hehlerware, die hierzulande auf Verkaufsplattformen im Internet ihre angeboten wird, dankend anzunehmen.
Der offensichtliche Bedarf an teuren Rädern scheint den illegalen Markt derart zu befeuern, dass sich die Diebe immer unverfrorener bewegen: Selbst unter den Augen von Passanten greifen die Täter zur akkubetriebenen Flex oder zu Bolzenschneidern, um auch vermeintlich stabilsten Schlössern blitzschnell den Garaus zu machen. Es dauert gerade einmal fünf bis zehn Sekunden, weiß Bäuml, dann ist das Fahrrad futsch.
Zunehmend registriert die Polizei Einzeltäter
Abschließend verschwindet es in Verstecken von Einzeltätern, oft Drogenabhängige, die mit Diebstählen ihre Sucht finanzieren, oder auf den Transportern von gut organisierten Banden, die darin ihre Beute in Richtung Osten karren. Die Polizei hat oft das Nachsehen. In den vergangenen Jahren schwankte die Aufklärungsquote bei den Fahrraddiebstählen zwischen vier und zehn Prozent. Nicht allzu viel Erfolg also für eine Behörde, die ansonsten im Schnitt jede zweite Straftat in ihrer Zuständigkeit aufklären kann.
Nun soll’s die „Ermittlungsgruppe Fahrrad“ richten, die sich gezielt mit diesen Diebstählen beschäftigt. Die Kripo-Beamten analysieren unter anderem die Tatorte, die Tatzeiten, die Täterprofile und die Verwertungswege der gestohlenen Zweiräder, erklärt Bäuml - und es gibt erste Erkenntnisse: Neben den professionellen Banden treiben zunehmend Einzeltäter ihr Unwesen, stadtweit und zu jeder Tages- und Nachtzeit. „Ein räumlicher Schwerpunkt kann zurzeit nicht festgestellt werden“, sagt der Polizeisprecher.
Aufmerksam sollten Eigentümer also überall und immer sein, aber auch die Widerstandsfähigkeit ihrer Fahrradsicherungen nicht überschätzen. Um die ist es nicht immer so gut bestellt, wie manche Werbung weismachen will. Nicht ohne Grund hat die Polizei Kontakt zu Herstellerfirmen aufgenommen, um auf die Notwendigkeit hinzuweisen, resistentere Schlösser zu entwickeln - nach dem Motto: „Das, was ihr auf den Markt bringt, reicht nicht aus.“ Gemeinsam mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club sollen neue Konzepte gegen den Radklau entwickelt werden.
Die Polizei gibt vorbeugende Hinweise
Die Polizei gibt zudem ein paar Präventionstipps: Um es den Kriminellen es so schwer wie möglich zu machen, sollten Fahrräder mehrfach an fest verankerten Gegenständen gesichert werden. Das Abstellen in geschlossenen Räumen ist ein zusätzliches Hindernis. Nicht einsehbare Abstellorte sollten gemieden werden. Ein am Rad befestigter versteckter GPS-Tracker sendet einen Alarm, wenn er eine Bewegung registriert, und kann die Ermittler oder die Eigentümer im Falle eines Diebstahls zu dem Fahrrad führen. Die Drahtesel sollten codiert und registriert werden. Das verhindert zwar keinen Diebstahl, erleichtert nach einer Sicherstellung allerdings die Zuordnung.
Am Mittwoch, 26. September, bietet die Polizei Essen zwischen 14 und 16 Uhr eine Präventionsfragestunde auf ihrer Internetseite und in den Netzwerken Facebook, Instagram und X (Twitter) an. Wer einen Fahrraddiebstahl beobachtet, sollte umgehend die Polizei über den Notruf 110 alarmieren.