Essen. Eine neue Studie zeigt, wie sich Besucherstrukturen und die Verweildauer nach Corona in der Essener Innenstadt verändert haben. Die Ergebnisse.
Die Essener Innenstadt hat den Besuchereinbruch während der Corona-Pandemie weitgehend überwunden. Die Passantenzahlen auf der Kettwiger und der Limbecker Straße sind auf Erholungskurs. Alles gut also? Mitnichten sagt der Forscher Nikolas Müller, Dozent an der privaten EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden. Er hat eine Studie „Die gesellschaftliche Transformation der Innenstadt“ vorgelegt und darin Veränderungen zwischen 2019 und 2022 in mehreren deutschen Großstädten untersucht.
Ein zentrales Ergebnis ist: Die Essener Innenstadt hat in diesem Zeitraum vor allem junge, gut verdienende Großstädter verloren. 2019 hatten diese auf der Kettwiger Straße noch einen Anteil von 15,9 Prozent, 2022 machten sie dort nur noch 12,8 Prozent der Besucher aus. „Die langfristigen Auswirkungen auf die Stadt und das Angebot vor Ort könnten signifikant sein, wenn diese Gruppe nicht zurückkehrt oder gar weiter abnimmt“, sagt Müller und spricht von einer ernstzunehmenden Gefahr, weil mit dieser Entwicklung ein riesiger Kaufkraftverlust einhergehe.
Essener Innenstadt: Einzelhandelsrelevante Kaufkraft nimmt leicht ab
Damit bestätigt eine Studie erstmals anhand von Daten, was viele in der Essener Innenstadt bislang nur als Beobachtung oder Gefühl formulieren konnten. Müller nutzte für seine Studie Mobilfunkdaten, die die Bewegung von Handybesitzern anonymisiert zeigen. Außerdem wurden Geodaten herangezogen, die Wohnorte von Menschen sozialen Milieus zuordnen. Damit ließ sich nachvollziehen, wie häufig und wie lange Menschen bestimmte Orte in der City besuchen und wo sie her kommen.
Die Auswertung zeigte, dass sich in Essen die „tendenziell finanziell besser gestellten Milieu-Gruppen“ weniger in der Innenstadt aufhalten als in anderen Großstädten. Dagegen sind Familien mit durchschnittlichem oder leicht unterdurchschnittlichem Einkommen in Essen stärker präsent als anderswo. Mit der Zusammensetzung der Besuchergruppen hat sich im Untersuchungszeitraum auch die einzelhandelsrelevante Kaufkraft in der Innenstadt verändert. Sie ist leicht gesunken.
Große Einkaufscenter in der Innenstadt: Magnetwirkung nimmt zu
Dennoch ist der Einzelhandel immer noch der Magnet, der Besucher und Besucherinnen in die Innenstadt zieht. Allerdings gab es in den vergangenen drei Jahren auch da Verschiebungen, wie Müller feststellte. So haben die beiden großen Einkaufscenter, Limbecker Platz und Rathaus-Galerie, an Zugkraft zugelegt. „Wenn solche Center eine solche Magnetwirkung haben, dann saugen sie an anderen Stellen etwas weg“, warnt der Forscher.
Müller hat sich auch angeschaut, wie lange sich Menschen in der Innenstadt aufhalten und wo sie länger verweilen. Generell hat er in allen untersuchten Städten festgestellt, dass die Passanten nach Corona schneller in den Haupteinkaufsstraßen unterwegs sind. Gibt es dagegen attraktive Orte wie Gastronomie, sind sie auch bereit, länger zu verweilen. Doch auch in diesem Punkt zeigte sich in Essen: Der Gastro-Hotspot Kennedyplatz wurde 2022 etwas weniger lange frequentiert als vor drei Jahren. „Das könnte auf einen qualitativen Prozess hindeuten. Auf jeden Fall sollte man das beobachten“, so Müller.
Abends ist in der Innenstadt weniger los
Auch die Besuchszeiten in der Innenstadt haben sich nach Corona verschoben. Der Samstag hat seine Rolle als einkaufsstärkster Wochentag ausgebaut. An den anderen Wochentagen verliert die Innenstadt besonders an den Randzeiten Besucher. In den Abendstunden sind weniger Menschen auf Kettwiger und Limbecker Straße unterwegs als vor drei Jahren. Gleiches gilt laut Müllers Studie für den Sonntag. Die beiden Shoppingmeilen zählen sonntags gegenüber 2019 3,8 beziehungsweise 3,2 Prozent weniger Besucher. Sonntagsbesuche sind jedoch ein nicht zu unterschätzender Faktor für die Gastronomie und Indikator dafür, wie attraktiv eine Innenstadt außerhalb des Einzelhandels ist.
Büros sollen neue Gruppen in die City bringen, Beispiel bei Peek & Cloppenburg
Müller mahnt, die Entwicklungen ernst zu nehmen. Wenn es den Städten nicht gelingt, die City für neue Nutzergruppen attraktiv zu machen, werde gerade der Verlust der Gutverdiener weitergehen. Kevin Meyer, Geschäftsführer der an der Studie beteiligten James Cloppenburg Real Estate KG, sieht einen Weg darin, mehr modernen Büroraum in der Innenstadt zu schaffen. Dem Unternehmen gehört unter anderem die Peek & Cloppenburg-Immobilie an der Kettwiger Straße. Der Einzelhändler hatte zuletzt Flächen in den oberen Etagen abgegeben. Das Gebäude wurde umgebaut. Nun sollen rund 5000 Quadratmeter als Büros vermarktet werden.
Ähnliche Entwicklungen gibt es aktuell im ehemaligen Kaufhof auf dem Willy-Brandt-Platz und im benachbarten Eickhaus. Auch dort werden aus ehemaligen Einzelhandels- künftig Büroflächen. Laut Essener Wirtschaftsförderung steigt das Interesse an innerstädtischen Arbeitsplätzen. Vor allem die IT-Branche, Bildungsunternehmen, die Werbewirtschaft und Firmen der Kommunikationsbranche suchten Räume für eine Ansiedlung.
Aus Sicht von Meyer müssten Städte wie Eigentümer gemeinsam die Innenstadt nach vorn bringen und Einfluss auf Ansiedlungen und Gestaltungen nehmen. „Ich spreche dabei gern von der kuratierten Stadt“, so Meyer. Sein Unternehmen will für die Entwicklung von Projekten künftig außerdem mehr Daten wie die aus Müllers Studie nutzen. „Solche Daten sollten künftig generell in die Stadtplanung einfließen“, fordert er.