Essen. Der Essener Apothekensprecher gibt dem Bundesgesundheitsminister kontra. Der Medikamenten-Engpass betreffe nahezu alle Arzneimittelgruppen.

So sehr sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bemüht, die Arzneimittelversorgung als stabil darzustellen: Die Erfahrungen der Essener Apothekerschaft sehen völlig anders aus. „Lieferengpässe bei Medikamenten gehören längst zum Alltag“, sagt der Essener Apothekersprecher Hanno Höhn, der in Karnap die Nordstern-Apotheke betreibt. Andere Apotheker sprechen gar von einer teilweise „dramatischen Situation“. Trotz der bevorstehenden Erkältungszeit warnt Höhn entschieden vor „Hamsterkäufen“.

„Engpässe betreffen längst nicht mehr nur eine bestimmte Arzneimittelgruppe“, fügt der Essener Apothekersprecher hinzu. Das bestätigt auch sein Kollege Peter Ricken, der die Apotheke Rathaus Galerie betreibt. „Bei jedem zweiten Rezept läuft irgendetwas nicht mehr glatt.“ Besonders gereizt und beunruhigt reagierten Mütter und Eltern, wenn es um die Versorgung ihrer kranken Kinder gehe. Ricken, der an vier Standorten in der Stadt Apotheken betreibt, berichtet aktuell von einem „sehr großen Engpass bei Antibiotikasäften für Kinder“. Der Essener Apotheker bezeichnet diese Situation als „katastrophal“. „Amoxicillin-Säfte habe ich vorrätig, die anderen aber nicht.“

Ein aktueller Fall: 100 Flaschen Fiebersaft nachbestellt – nur eine wird geliefert

Die Belastung sei überall zu spüren: bei den Beschäftigten in den Apotheken wie auch bei der Kundschaft. Der Unmut bei der Kundschaft sei besonders dann spürbar, wenn das verordnete und sofort benötigte Antibiotikum für ein Kind nicht in der gewünschten Form und Stärke vorhanden sei. Zur Erinnerung: Bereits vor einem Jahr sorgten Medikamenten-Engpässe für Aufregung.

Ein Beispiel, das die äußerst angespannte Situation in den Essener Apotheken veranschaulicht: Um eine stabile Versorgung zu ermöglichen, hat Ricken jetzt aktuell 100 Flaschen Fiebersaft nachbestellt. Nur: „Geliefert wurde nur eine einzige Flasche.“

Cholesterinsenker und Insulin, Fieber- und Antibiotikasäfte – das alles sei knapp. Hanno Höhn macht deutlich, wie schwierig die lückenlose Versorgung chronisch kranker Diabetes-Patienten mittlerweile geworden ist. Der Apotheker rät dazu, beim Arzt rechtzeitig ein Folgerezept zu besorgen, um der Apotheke ausreichend Zeit für die Beschaffung des Medikaments zu geben. „Zum Teil können drei Wochen vergehen, ehe das Medikament in der Apotheke eintrifft.“ Er erwähnt eine Bestellung vom Juni, die tatsächlich erst Ende August ausgeliefert worden sei.

Apothekerkammer Nordrhein: „Die Aufregung in der Apothekerschaft ist groß“

Die Großstadt Essen ist alles andere als ein Einzelfall, auch anderswo sind Lieferengpässe bei Arzneimitteln real. „Die Aufregung in der Apothekerschaft ist groß, denn kaum jemand kann die Einschätzung des Gesundheitsministers nachvollziehen“, sagt Jens Krömer, Sprecher der Apothekerkammer Nordrhein.

Auch der für Essen zuständige Apothekerverband Nordrhein schlägt Alarm. Sein Verbandschef Thomas Preis wies am Donnerstag daraufhin, dass täglich 1,5 Millionen Menschen in Deutschland von Engpässen bei der Versorgung mit Arzneimitteln betroffen seien. „Manchmal steht die Versorgung wirklich auf der Kippe“, sagte er dem Morgenmagazin.

Der Essener Apothekersprecher teilt die Entrüstung seiner Kolleginnen und Kollegen über die optimistische Einschätzung des Gesundheitsministers und widerspricht dessen Auffassung, die Apothekerschaft rede den Engpass herbei.

Bei aller Verunsicherung aufseiten der Patienten: Apotheker Peter Ricken verspürt auch viel Dankbarkeit, „etwa dann, wenn die Leute merken, dass sich ihre Apotheke bei Engpässen um konstruktive Lösungen bemüht.“

Vor Hamsterkäufen warnt nicht nur der Minister, sondern auch die Apothekerschaft. Leidtragende seien besonders diejenigen, die das Medikament dringend benötigten, sagt Hanno Höhn.

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