Essen. Patienten verzweifeln zunehmend am anhaltenden Medikamentenmangel. Das berichten Essener Apotheker übereinstimmend.
Verzweifelte Patienten und hilflose Apotheker: Der anhaltende Medikamentenmangel sorgt auch in Essen zunehmend für schlechte Stimmung. Genervte Eltern klappern mit dem Rezept in der Hand Apotheke für Apotheke ab, um am Ende schlimmstenfalls mit leeren Händen dazustehen. Ernüchternd: Eine rasche Besserung ist wohl nicht in Sicht.
Birte Barleben, Inhaberin der Einhorn-Apotheke schräg gegenüber der Marktkirche, erlebt den gravierenden Lieferengpass schon seit Monaten. „Fiebersäfte für Kinder fehlen besonders.“ Aktuell verbreite sich Scharlach an Essener Kindergärten und Schulen. Streptokokken-Bakterien sorgten für die Verbreitung dieser ansteckenden Krankheit – etwa beim Niesen, Sprechen oder Husten. Und ganz offensichtlich haben sie leichtes Spiel: Denn durch die Corona-Pandemie habe sich die Ansteckungsgefahr allenthalben vergrößert. Gesundheitsexperten wissen: Das Immunsystem – mehr als zwei Jahre weitgehend nicht benutzt – müsse wieder neu aufgebaut werden. Scharlach ist nur ein aktuelles Beispiel, Mittelohrentzündungen oder banale Mandelentzündungen zählen ebenfalls zu den ansteckenden Krankheiten, die sich häufiger verbreiten.
Was tut der Apotheker, wenn Patienten Rezepte für nicht vorrätige Präparate vorlegen?
Aber was tun, wenn ein Patient in der Apotheke das Rezept für ein vom Arzt verschriebenes Medikament vorlegt, das gar nicht vorrätig ist? „Dann versuche ich sofort die Praxis telefonisch zu erreichen, um ein wirkstoffgleiches Präparat ausgeben zu können“, sagt Birte Barleben. Eigenmächtiges Vorgehen ist den Apothekern gesetzlich untersagt: Ohne die ausdrückliche Genehmigung des Arztes geht gar nichts. Sei eine Rücksprache mit dem verschreibenden Arzt nicht möglich, werde der Patient wieder in die Praxis zurückgeschickt, um sich ein neues Rezept abzuholen.
Einfacher vorzunehmen sei die sogenannte Dossierungsanpassung. Ist ein Medikament in der verschriebenen Stärke nicht vorrätig, darf die Apothekerin dieselbe Arznei mit geringerer Wirkstärke mit einer höheren Dosierungsempfehlung abgeben.
Als „furchtbar“ empfindet Peter Ricken, Inhaber zweier Innenstadt-Apotheken, die aktuelle Mangelsituation. Und fügt eine leidvolle Erfahrung aus dem Apothekenalltag hinzu: „Eltern sind genervt, wenn das schreiende Kind zu Hause ist und nicht behandelt werden kann.“ Es komme immer häufiger vor, dass Mütter und Väter von Apotheke zu Apotheke rennen, um das vom Arzt verschriebene Medikament zu ergattern.
Apotheker wie Peter Ricken stellen Antibiotika inzwischen selber her
Um die Mangelsituation einigermaßen in den Griff zu bekommen, sind Rickens Apotheken – die Apotheke Rathaus Galerie und die Apotheke im Hauptbahnhof – längst dazu übergegangen, Säfte für Kinder selber herzustellen. „Ich habe die notwendigen Grundstoffe eingekauft.“ Das Breitband-Antibiotikum Amoxicillin etwa werde nun im eigenen Hause produziert.
Mit Schuldzuweisungen hält sich der Essener Apotheker zurück. Lieferengpässe seien auch entstanden, weil sich die Zahl der Arzneimittelhersteller infolge des Kostendrucks durch die Krankenkassen spürbar verringert habe.
Die Überlegung, Medikamente aus dem Ausland zu importieren, sei längst verworfen worden. Ricken: „Nehmen wir einen Asthma-Anfall: Der Patient braucht das Medikament sofort und kann nicht tagelang warten, bis die Tabletten aus Spanien endlich angekommen sind.“ Peter Ricken schüttelt den Kopf und sagt: „„Es kann nicht sein, dass wir im 21. Jahrhundert eine derartige Flickschusterei betreiben.“
Sprecher der Essener Apotheker: „Es gibt keine Planbarkeit mehr“
Hanno Höhn, Inhaber der Nordstern-Apotheker, ist Sprecher der Essener Apotheker. Er behauptet, angesichts der anhaltenden Lieferprobleme bereits eine Art Routine entwickelt zu haben. Was ihm am meisten zu schaffen macht: Es gebe keine Planbarkeit. Mitunter ändere sich die Lage sogar innerhalb eines Tages: Medikamente, die morgens noch vergriffen waren, könnten mittags bereits wieder angeboten werden. Umgekehrt gelte dasselbe.
Unerlässlich geworden seien Telefonate zwischen Kinderärzten und Apothekern in Praxisnähe. Wisse der Arzt genau Bescheid darüber, welches Antibiotikum die Apotheke vorrätig hat, könne er passend rezeptieren. Der Essener Apotheker-Sprecher spricht von „einem exzessiven Rücksprache-Bedarf in den vergangenen Monaten“. Aktuell gebe es „heiße Diskussionen“ über die Erweiterung der sogenannten Austauschregeln. Für die Ärzteverbände steht aber fest, dass die Therapiehoheit der Mediziner nicht angetastet wird.
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