Essen. Theater mit Brokkoli, Käse und der Ware Liebe im Schauspiel Essen: Sapir Heller verlegt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ in den Supermarkt.

Theater-Rallye und Speed-Dating, Lesungen und Freisekt für alle: Mit offenen Armen und einem abwechslungsreichen Programm haben die neuen Essener Theater-Intendantinnen Selen Kara und Christina Zintl ihr Publikum am vergangenen Wochenende in Empfang genommen. Zum Daumendrücken für die erste Premiere von „Doktormutter Faust“ waren auch zahlreiche Freunde und prominente Weggefährten aus der Theaterszene nach Essen gekommen – unter anderem Ruhrfestspiele-Intendant Olaf Kröck, Fidena-Chefin Annette Dabs, Frankfurts Schauspiel-Intendant Anselm Weber, der von 2005 bis 2010 Chef am Essener Grillo-Theater war, „Tatort“-Star Roland Riebeling und die Essen seit Jahrzehnten verbundene Theater- und TV-Schauspielerin Tatjana Clasing.

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Manche dürften Essen in diesem Monat gleich noch mal ansteuern, denn der Premierenreigen geht munter weiter. Am kommenden Samstag 16. September, steht Brechts Vorzeige-Parabel „Der gute Mensch von Sezuan“ auf dem Programm. Das 1943 uraufgeführte Stück stellt die ewiggültige Frage, ob der Mensch in einer schlechten Welt noch gut sein kann.

Regie führt die 1989 in Israel geborene Regisseurin Sapir Heller. Die Theaterfrau, die seit 2008 in München lebt, hat bereits an zahlreichen deutschen Theatern von Lübeck, über Mannheim, Regensburg bis zum Volkstheater München inszeniert. Bei ihrem Regiedebüt in Essen bekommt auch die Ausstattungs-Abteilung ihren großen Auftritt. Denn Brechts Figuren verwandeln sich auf der Grillo-Bühne diesmal in sprechende Brokkoli, Kartoffeln und ein Stück Käse.

Der Verfremdungseffekt steht nicht nur in der Brechtschen Tradition des epischen Theaters, er bringt auch Hellers Regieansatz auf den Punkt: Die Welt ist eine Konsumwelt. Also wird aus Sezuan bei Heller ein gut sortierter Supermarkt und alle Akteure verwandeln sich in käufliche Produkte.

Wo ist in einem kapitalistischen System Platz für die reine Liebe?

„Die Ware Liebe“ hat Heller ihre Essener Produktion denn auch untertitelt. So stand es über der ersten Fassung des Brechtschen Textes, bevor daraus „Der gute Mensch von Sezuan“ wurde. Und die „Ware Liebe“ ist es auch, die die Regisseurin interessiert. Wo ist in einem kapitalistischem System, in dem sich alles um Geld, Sachlichkeit und Materialität drehe, „Platz für die reine Liebe, die Gefühlswelt?“, fragt Heller. Denn genau danach suche die Prostituierte Shen Te, „und genau daran geht sie auch zugrunde.“

Nur Shen Te, die von den auf die Erde herabgestiegenen Göttern als „Güte“-Test mit einem kleinen Tabakladen beschenkt und auf die moralische Probe gestellt wird, tritt in Hellers Inszenierung zunächst als menschliches Wesen auf. Doch wenn sie sich aufspaltet und in ihr männliches Alter Ego schlüpft, dann wird auch sie zur Ware – zur Auslage aus der Fleischabteilung.

Regisseurin Sapir Heller inszeniert am Essener Grillo-Theater „Der gute Mensch von Sezuan“.
Regisseurin Sapir Heller inszeniert am Essener Grillo-Theater „Der gute Mensch von Sezuan“. © Stefan Loeber

Brechts Parabel hat sich über die Jahrzehnte verlässlich als Kapitalismuskritik und Zustandsbeschreibung der sozialen Gegensätze deuten lassen. Insofern bleibt „Der gute Mensch von Sezuan“ ein Stück der Stunde. Dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reichen werden, hat sich seither ja nicht geändert.

Auch den im Theater derzeit angesagten Geschlechtertausch hat Brecht schon 1943 in seinem Stück eingebaut. Getreu den üblichen Zuschreibungen, nachdem die Frau (Shen Te) zu gut für die Welt ist und dauernd ausgenutzt wird. Erst als Mann kann sie auch ihre dunkle, böse Seite entwickeln und erfindet zu diesem Zwecke den skrupelloser Vetter Shui Ta. Doch Sapir Heller will ihren Brecht nicht allzu eng an aktuelle, gesellschaftspolitische Themen andocken, auch nicht an die Genderdebatte. Geschlechtliche Zuschreibungen gibt’s schließlich nicht in der Frischetheke.

„Bei einem Stück Käse ist es mir egal, ob dahinter ein Schauspieler oder eine Schauspielerin steckt“

Nach der Theaterpremiere gibt’s eine Party

„Der gute Mensch von Sezuan“ hat am Samstag, 16. September, bereits um 18 Uhr im Essener Grillo-Theater Premiere. Weitere Termine: 17. und 27. September, 7. und 27. Oktober.

Tickets (ab 14 Euro) gibt es Ticket-Center, II. Hagen 2, unter Tel. 0201-8122-200 und online unter www.theater-essen.de.

Nach der Premiere am Samstag gibt es ab 21.15 Uhr Live-Musik mit Juri Kannheiser (Musikalischer Leiter der Inszenierung „Der gute Mensch von Sezuan – Die Ware Mensch“) im Café Central und danach noch eine Party mit DJ.

„Wenn ich ein Stück Käse sehe, interessiert mich ja nicht, ob dahinter ein Schauspieler ist oder eine Schauspielerin steckt. Das Geschlecht spielt da gar keine Rolle. Davon wollte ich weg“, sagt die Regisseurin, die in ihren Arbeiten auch keine Angst vor klaren Aussagen hat. Über unterschiedliche Positionen könne schließlich auch trefflich diskutiert werden.

Schwarz und weiß, Gut und Böse, diese klaren Einteilungen würden auf dem Theater oft lieber gemieden. „Aber ich muss klar sagen: In manchen Situationen gibt es Gut und Böse. „Ich möchte diese Welt zeigen, in der es für Shen Te nicht möglich ist, gut zu sein.“ Und ich bin sicher, dass das Publikum Parallelen ziehen kann zu unserer Welt“, sagt Sapir Heller. Und so wird Brechts vielzitierter Satz vom „Vorhang auf und alle Fragen offen“ im Grillo-Theater am Samstag einmal mehr aufhorchen lassen.

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