Essen-Heisingen. Sie zeugen von Bergbauhistorie und wurden dem Verfall preisgegeben: Nun sorgt eine Mauer für weitere Verzögerungen beim Abriss der Steigerhäuser.
Bergbaugeschichte, ein Zuhause für Kumpel und Familien sowie zahlreiche Erinnerungen: Das vereinen die ehemaligen Steigerhäuser am Baldeneysee. Eines sollte längst abgerissen sein, es stehen jedoch alle nach wie vor mitunter versteckt hinter Bauzäunen und Hecken an der Freiherr-vom-Stein-Straße. Sollte mancher doch auf eine Rettung hoffen, wird er enttäuscht. Eine Mauer sorgt lediglich für eine weitere Verzögerung.
Meterhohes Gestrüpp und ein Bauzaun ragen jetzt vor dem ehemaligen Steigerhaus an der Freiherr-vom-Stein-Straße 657 unweit des Baldeneysees und der früheren Zeche Carl Funke nach oben. Von der Bergbauhistorie zeugen noch die verbliebenen Schienen im Boden, auf denen einst die Kohle transportiert wurde. Immer noch bleiben Spaziergänger stehen, zeigen auf das verfallene Haus, erinnern sich mitunter an seine Historie wie den Bewohner, der ihnen manchmal freundlich zuwinkte. Er soll einst als gelernter Schreiner über Tage auf Carl-Funke gearbeitet haben, 2018 schließlich im Paulushof gestorben sein.
Verlassen musste er sein Zuhause bereits zwei Jahre zuvor, denn das 1913 erbaute Wohnhaus galt da laut Stadt bereits als einsturzgefährdet. Im rechten Teil sollen Pferde eingestellt gewesen sein, als auf der Zeche noch Kohle gefördert wurde. Das hat Henner Höcker herausgefunden, der sich als Vorsitzender der Bürgerschaft und Mitglied des Heisinger Museumskreises für die historischen Bauten und ihre Geschichte interessiert.
Später seien dort tödlich verunglückte Bergleute untergebracht gewesen sein, Überlebende kamen zur Erstversorgung hierhin. Werkzeuge, die viel später dort entdeckt worden sind, befinden sich heute im Ruhrmuseum. Eine Kiste zählt dazu, „Carl-Funke“ steht darauf. Es wird beinahe alles sein, was von den Steigerhäusern übrig sein wird. Hinzu gesellen sich manche Erinnerungen noch lebender, ehemaliger Bewohner aus dem Doppelhaus, das 1921 erbaut worden ist. Die letzten Bewohner zogen aus der Hausnummer 647 im Juli 2021 aus, das Nachbarhaus stand da bereits seit drei Jahren leer.
Eine ehemalige Bewohnerin des Steigerhauses in Essen-Heisingen berichtet
In ihrer Kindheit lebte Lore Michel dort, die heute 84 Jahre alt ist, und im Vorjahr von ihrer Kindheit mit ihren Eltern und den beiden Schwestern in den Steigerhäusern berichtet hat, als sie noch einmal dorthin zurückkehrte. Sie zogen 1937 zunächst ins Haus Nummer 647, weil der Vater in der Zeche arbeitete. Da war sie gerade drei. Dann ging es zunächst nach Fischlaken, doch sie kamen zurück, als der Vater 1944 als Werkmeister auf Carl Funke eingestellt wurde. Von da an bewohnten sie die andere Hälfte des Steigerhauses mit der Hausnummer 649.
Lore Michel erzählte bei ihrem Besuch vom Badeofen mit einem Kupferkessel darin, sie hatte noch den Garten mit Sommerlaube vor Augen, das Bett ihrer Schwester (in dem sie selbst heute noch schläft) und auch Kriegsereignisse. „Am 8. April kamen die Amerikaner und wir waren die ersten Häuser auf ihrer Strecke“, erzählte Lore Michael vom Zweiten Weltkrieg. Nachdem sie erst alles im Haus nach Waffen durchsucht hätten, aßen sie alle gemeinsam Pellkartoffeln in ihrer Küche.
Mit ihnen im Haus habe ein Ehepaar gewohnt, weil es seine Wohnung bei Bombenangriffen verloren hatte, in dem Einzelhaus nebenan soll ein Kutscher gewohnt haben. Um das Haus ihrer Familie hat die Mutter Gemüse angebaut, für Nutztiere wie Schweine, Kaninchen, Gänse und Hühner gab es einen Stall. An die Natur, eine unbeschwerte Kindheit und die kleine Tür im Zaun erinnerte sich die frühere Bewohnerin noch gut, da sie mit ihrer kleinen Schwester den steilen Berg hinter dem Haus hochkletterte.
Eine Stützmauer soll den Abriss der ehemaligen Steigerhäuser am Baldeneysee verzögern
Eine Mauer dort soll wiederum nun der Grund sein, der den Abriss verzögert. „Die Abbruchmaßnahmen auf dem städtischen Gebäudegrundstück an der Freiherr-vom-Stein-Str. 657 waren ursprünglich für Anfang 2023 vorgesehen“, bestätigt Stadtsprecher Patrick Betthaus. Im Rahmen der erforderlichen Abbruchvorbereitung sei dann aber festgestellt worden, dass sich hinter dem Gebäude eine Stützmauer befinde, welche den Erddruck aus dem dahinter liegenden, bewaldeten Hang abfange.
„Da das Grundstück vollständig zugewachsen und das Mauerwerk zuvor nicht bekannt war, mussten die Planungen erweitert werden“, erklärt er und meint etwa statische Prüfungen und Untersuchungen der Mauer. Aus diesem Grund habe der angesetzte Zeitplan an den Steigerhäusern nicht eingehalten werden können, die der Stadt seit 1988 gehören. Früherer Eigentümer war die Ruhrkohle AG. Der Kaufvertrag enthielt damals die Vereinbarung, die das Ende der Häuser bereits besiegelte. Demnach war eine erneute Vermietung der Häuser nach Auszug der damaligen Bewohner ausgeschlossen, die Nutzung der Grundstücke als Grünflächen festgeschrieben.
Die Fläche um die Steigerhäuser in Essen-Heisingen soll rekultiviert werden
Neubauten können schon deshalb an dieser Stelle nicht errichtet werden, da sich der Bereich im Landschaftsschutzgebiet Baldeneyer Ruhrhang befinde, erklärte die Stadt seinerzeit, als mancher ein Neubaugebiet fürchtete, während andere bis heute bedauern, dass die Stadt die Immobilien hat verfallen lassen, statt diese zu pflegen oder zu verkaufen.
Nun soll die Fläche rekultiviert werden, wenn die Häuser verschwunden sein werden. Das dauert aber offenbar noch, denn naturschutzrechtliche Belange führen dazu, dass die Stadt bis Ende September keine „nicht zwingend erforderlichen Abbruchmaßnahmen durchführen kann“. Zudem seien die städtischen Ressourcen für die Planung und Durchführung der Abbrucharbeiten zwischenzeitlich neu betrachtet und auf kurzfristig notwendige, zu priorisierende Baumaßnahmen verwendet worden, sagt Patrick Betthaus. Geplant sei daher daher, Anfang kommenden Jahres mit den Arbeiten zu beginnen.
Das gilt dann allerdings zunächst für das ehemalige Steigerhaus in Alleinlage (Hausnummer 657). „Für die städtischen Grundstücke Freiherr-vom-Stein-Str. 647 und 649 wird der Abbruchtermin im Zusammenhang mit einer Prioritätsbetrachtung weiterer städtischer Abbruchmaßnahmen noch festgelegt und steht aktuell noch nicht fest“, ergänzt der Sprecher. So werden Spaziergänger, Jogger und Radfahrer den Verfall zunächst weiterhin beobachten können und zusehen, wie die Natur die Häuser weiter verschlingt.