Essen-Heisingen. Die Steigerhäuser verfallen und bergen doch so viel Bergbauhistorie hinter ihren Mauern: Es gibt einen Termin für den Abriss in Essen-Heisingen.
Die einen möchten sie schützen, andere gleich kaufen: Die Diskussion um die alten Steigerhäuser am Baldeneysee hält an, sie wird voller Emotionen und auch mit vielen Erinnerungen geführt.
Lange Zeit ließen Hecken und Brombeersträucher einen großen Teil des alten Steigerhauses am Baldeneysee lediglich erahnen. Nun ist das Grundstück gerodet, der Bau an der Freiherr-vom-Stein-Straße für den Abriss vorbereitet. Gleiches wird mit den benachbarten Häusern geschehen – damit verschwindet auch ein Stück Bergbaugeschichte.
Ein maroder Bau mit verschlossenen Fenstern und einem völlig zugewachsenem Grundstück samt Stall auf der Rückseite: So sah es nahe des Spazier- und Radweges zuletzt aus. In einem weiteren Doppelhaus gleicher Bauart lebte zuletzt noch eine Partei, deren Auszug wollte die Stadt abwarten, um die Immobilien dann dem Erdboden gleich zu machen.
Gerüchte über die Folgenutzung des Grundstücks am Baldeneysee
Gesprächsthema waren die Häuser immer wieder. Gemutmaßt wurde, was an ihrer Stelle wohl entstehen könnte, welche Neubauten dort bald in die Höhe ragen könnten. Dem widersprach die Stadt, die nun eine Grünfläche plant. Freundliche Gespräche führte hingegen mancher Spaziergänger mit dem letzten Bewohner des Hauses mit der Nummer 657. Selbst als kaum noch jemand glaubte, dass dieses marode Steigerhaus mit seinem verwilderten Garten unterhalb des Hanges noch jemandem Obdach bieten könnte, öffnete dieser unerwartet ein Fenster und grüßte lächelnd.
Er soll einst als Schreiner auf Carl Funke gearbeitet haben. Sein letztes Zuhause fand er schließlich im Seniorenheim Paulushof, vor vier Jahren soll er gestorben sein, hat Henner Höcker herausgefunden. Er gehört zum Heisinger Museumskreis, ist inzwischen Vorsitzender der Heisinger Bürgerschaft und hat zur Geschichte dieser Bauten gestöbert. Das Ergebnis sei allerdings eher überschaubar.
Verunglückte Kumpel wurden im Steigerhaus am Baldeneysee aufgebahrt
Als auf der Zeche Carl Funke noch Kohle abgebaut wurde, sollen in einem Teil des Hauses die Pferde eingestallt gewesen ein. Danach sei es auch genutzt worden, um verunglückte Kumpel aufzubahren oder Verletzte zu versorgen. Später dann seien dort Abortkübel von Untertage gereinigt worden, der Inhalt soll in einem Kanal gelandet sein, erzählte Henner Höcker seinerzeit, als er nicht nur in der Historie stöberte, sondern auch das Haus näher unter die Lupe nahm. Andere hatten da zuvor schon Werkzeuge entdeckt, die heute im Ruhrmuseum zu sehen seien, wie die Kiste mit der Aufschrift „Carl-Funke“.
„Das Gebäude mit der Hausnummer 657 (Baujahr 1913) wurde aufgrund des maroden Zustandes bereits im Jahr 2016 leergezogen, es ist in Teilen einsturzgefährdet und für den Abriss vorgesehen“, erklärte Michaela Lippek von Seiten der Stadt bereits zu der Immobilie. Das Doppelhaus (Hausnummern 647und 649) biete Platz für zwei Familien und sei 1921 entstanden. Seit März 2018 war lediglich noch eine Haushälfte bewohnt.
Stadt Essen hat die Steigerhäuser von der Ruhrkohle AG gekauft
Die Stadt ist Eigentümerin der alten Häuser, die sie 1988 von der Ruhrkohle AG erstanden hat. Schon damals stand fest, dass es keine Zukunft für die Häuser geben wird. Der Kaufvertrag regelte bereits, dass die Stadt Essen die Immobilien nicht mehr vermieten werde, wenn die damaligen Mieter ausgezogen sein werden. Festgeschrieben wurde, dass die Grundstücke zu Grünflächen gestaltet und die Häuser dafür abgerissen werden.
Die Ankündigung zum Abriss überraschte Henner Höcker schon damals nicht. Viel zu lange hatte man die Häuser zuvor bereits sich selbst überlassen. Für ihren Erhalt hätte die Stadt bereits viel früher reagieren, sie verkaufen oder selbst sanieren müssen. Er bedauert das Schicksal der Steigerhäuser, auch wenn es im Stadtteil noch einige Bauten gebe, die durchaus an Heisingens Bergbaugeschichte erinnern. Der Zechenturm und die unter Denkmalschutz stehende Carl-Funke-Siedlung sind geblieben.
Stadt nennt einen Termin für den Abriss des ersten Steigerhauses
Geschütztes Biotop
Die Flächen, auf denen die alten Steigerhäuser sich an der Freiherr-vom-Stein-Straße befinden, liegen laut Stadt im Landschaftsschutzgebiet Baldeneyer Ruhrhang, das ist ein geschützter Raum für Erholung, Arten- und Biotopschutz sowie das Landschaftsbild.
Das macht alle Spekulationen zur neuen Nutzung der Grundstücke am Baldeneysee hinfällig, denn diese landschaftsrechtliche Situation schließt laut Stadt eine neue Bebauung ohnehin aus. Stattdessen sehen die Pläne vor, das gesetzlich geschützte Biotop zu erhalten und zu rekultivieren.
Ausgezogen sind hingegen inzwischen auch die Mieter der Zechenhäuser. Die letzten Bewohner haben ihr Zuhause an der Freiherr-vom-Stein-Straße 647 im Juli vergangenen Jahres verlassen. „Alle drei Gebäude stehen jetzt leer“, bestätigt Stadtsprecher Patrick Betthaus. Wegen des maroden Zustandes des Hauses an der Freiherr-vom-Stein-Straße 657 sei nun zunächst dieser Abriss vorgesehen und mittlerweile terminiert.
Nun sind die dafür erforderlichen Rodungsarbeiten wegen der folgenden gesetzlichen Vogelschutzzeit bereits durchgeführt worden. Noch in diesem Jahr stünden weitere notwendige Vorarbeiten für den Abbruch an: ein Schadstoffkataster soll erstellt werden, die Ausschreibung und Vergabe der Arbeiten folgen.
Heißt: Noch bleiben die verfallenen wie historischen Steigerhäuser den Spaziergängern ein wenig erhalten. „Denn der Rückbau selbst ist für Anfang 2023 vorgesehen“, kündigt Patrick Betthaus den ersten Termin an. Für den Abriss des Doppelhauses Freiherr-vom-Stein-Straße 647 und 649 könne die Stadt noch keinen konkreten Abrisstermin nennen.