Essen. Die Mitarbeiter des Modelagers an der Hafenstraße sind am Montag in einen unbefristeten Streik getreten. Vor dem Werktor entlädt sich der Frust.

Wolfgang Hahn steht am Montag mit seiner leuchtend gelben Verdi-Weste und der roten Trillerpfeife seit 4.45 Uhr vor der Ausfahrt des Modelagers an der Hafenstraße in Vogelheim. Der Mann mit dem Irokesen-Haarschnitt arbeitet schon seit über 30 Jahren dort. Er ist im Lager der Betriebsgruppenvorsitzende bei Verdi, ein Verbindungsmann also zwischen Belegschaft und der Gewerkschaft. Wolfgang Hahn kennt die momentane Stimmung genau.

An diesem Morgen hat er ein T-Shirt aus dem Kleiderschrank geholt, auf dem Revolution 2.0 steht. Und ein bisschen revolutionär ist die Situation vor Ort auch. Denn um Punkt 5 Uhr treten er und viele seiner Kolleginnen und Kollegen in einen unbefristeten Streik. So etwas hat es in NRW seit Jahrzehnten in der Logistikbranche nicht gegeben.

Im Galeria-Modelager läuft „nicht mehr viel“

Zwei Stunden nach Streikbeginn schätzt Verdi-Sekretär Frank Indervoort, dass etwa 150 bis 180 Mitarbeiter die Arbeit ruhen lassen. Genaue Zahlen liegen erst vor, wenn die Streiklisten ausgefüllt und ausgezählt sind. Klar scheint aber schon: Die Betriebsabläufe dürften empfindlich gestört sein. Zwar sind im Lager etwa 500 Beschäftigte angestellt, viele jedoch sind im Urlaub oder krankgeschrieben. Damit dürfte am Montagmorgen etwa die Hälfte der momentanen Belegschaft am Arbeitsplatz fehlen. „Da läuft nicht mehr viel“, sagen unisono mehrere Mitarbeiter, die sich vor der Ausfahrt postiert haben. Und so ruft die versammelte Streikmannschaft selbstbewusst laut in den blauen, morgendlichen Sommerhimmel: „Ohne uns kein Geschäft!“

Das Lager wird vom Logistikunternehmen Fiege und dem Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof betrieben. Unter anderem von Essen aus werden die Kaufhäuser mit Bekleidung beliefert. Galeria ist der einzige Kunde. Auch Online-Retouren werden an der Hafenstraße bearbeitet. „Da wird mancher Kunde jetzt wohl länger auf sein Geld warten müssen“, glaubt Christian Steinfeld, der in der Retourenbearbeitung tätig ist.

Streik dauert zunächst eine Woche

Mindestens eine Woche lang wollen sie den Streik führen. Oder auch länger, falls bis dahin kein neues Angebot des Arbeitgebers, der Fiege Karstadt Logistik, vorliegt, sagt Verdi-Mann Indervoort. Je länger der Arbeitskampf dauern wird, desto wahrscheinlicher wird es, dass er „in den Regalen von Galeria ankommen wird“, meint er. Denn auch am deutlich größeren Schwesterstandort in Unna wird gestreikt.

Der Druck auf Fiege und Galeria Karstadt Kaufhof soll steigen, damit diese ihr Tarifangebot noch einmal deutlich nachbessern. Verdi fordert 11,5 Prozent höhere Löhne. Was der Arbeitgeber zuletzt auf den Tisch gelegt hat, nämlich fünf Prozent in zwei Stufen, halten die Gewerkschaftsmitglieder dagegen für zu wenig. „Wir arbeiten schon im Niedriglohnbereich. Und alles ist teurer geworden.“ Was ein Mitarbeiter mit seinen Worten zusammenfasst, denken viele, die am Montag vor dem Tor stehen. In einer Urabstimmung hatten sich die Gewerkschaftsmitglieder in Essen und Unna deshalb einstimmig für einen „Erzwingungsstreik“ ausgesprochen.

Fiege zum Tarifangebot: Sind an die maximale Grenze gegangen

Am Montag jedoch schienen die Positionen weiter deutlich auseinanderzuliegen. Eine Fiege-Sprecherin teilte mit: „Wir bedauern natürlich, dass die Beschäftigten unser Angebot nicht angenommen haben und stattdessen für einen unbefristeten Streik gestimmt haben. Wir haben mehrfach erklärt, dass wir mit unserem Angebot an der maximalen Grenze dessen liegen, was angesichts der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei Galeria derzeit möglich ist.“ Als Kunde muss der Warenhauskonzern Galeria – wie in der Logistik häufig üblich – am Ende die Mehrkosten tragen. Doch der hat gerade die zweite Insolvenz binnen zwei Jahren hinter sich. Jeder Streiktag belastete die schwierige Situation rund um Galeria nur noch zusätzlich, so die Fiege-Sprecherin. Der Galeria-Konzern hat sich bislang nicht zum Streik geäußert.

Frank Indervoort von der Gewerkschaft Verdi begleitet den Streik im Modelager.
Frank Indervoort von der Gewerkschaft Verdi begleitet den Streik im Modelager. © jgr

Das Verständnis hält sich aufseiten der Belegschaft im Lager dennoch in Grenzen. Mitarbeiter Rolf Schubert erinnert daran: „Wir haben schon in der Vergangenheit auf eine Menge verzichtet. Genug ist genug“. Auch Wolfgang Hahn ärgert sich über „die sture Haltung des Arbeitgebers“. Doch das sei nicht alles, was die Kollegen umtreibe: Für Frust sorge auch, dass das Lager in Essen in knapp einem Jahr geschlossen werden soll. Zwar gibt es mittlerweile einen Sozialplan, der Abfindungen für die Belegschaft vorsieht. Doch nach Informationen dieser Redaktion soll er nicht gerade üppig ausgestattet sein und deutlich unter dem Üblichen liegen.

Verdi-Sekretär Indervoort sieht derweil vor allem Fiege in der Pflicht, mit einem nachgebesserten Angebot wieder in Verhandlungen zu treten. „Im Logistik- und Speditionsgewerbe ist es der erste Erzwingungsstreik in NRW seit Jahrzehnten und das ausgerechnet bei Fiege. Das beschreibt die Verantwortung, die bei Fiege liegt.“ Die Fiege-Sprecherin versicherte, man wolle weiter im konstruktiven Dialog bleiben.

Am Montag hat ein Mitarbeiter den Fiege-Werbeslogan „Fast.Focused.Fiege“ auf einem Plakat etwas umgeschrieben: „Fast.Focused.Fragwürdig“. An die vom Unternehmen gern beschworene Fiege-Familie glaubt offenbar nicht mehr jeder.