Essen. Sie haben gemeinsam gehungert, geschwiegen und Reiskörner gezählt. Jetzt präsentieren Studierende im Museum Folkwang ihre Abschluss-Performance.

Die Professorin ist an diesem Tag mal nicht anwesend. Performance-Ikone Marina Abramović wird am Nachmittag nur virtuell zugeschaltet und von Assistent Billy Zhao per Laptop auf einem kleinen Rolltisch durch die Ausstellungsräume geschoben. Aber die Artists sind alle da. 25 an der Zahl, die gerade auf das bislang wohl großartigste Projekt ihrer noch jungen Künstlerlaufbahn zusteuern. Ab Freitag sind sie Teil der „54 Hours Performances“ im Museum Folkwang. Und nicht nur Smila Vita Hoppe hat das Gefühl, „dass da etwas Großes passiert“.

Performer schälen Kartoffeln oder schaufeln sich schon mal das eigene Grab

Das Große kündigt sich an diesem Probennachmittag schon mit zahllosen TV-Teams an, die mit Mikrofonen und Fernsehkameras durch die Museumsräume flanieren. Der Name Abramović sorgt schon im Vorfeld der Performance für enorme Aufmerksamkeit. Projekte wie das fast dreimonatige Schweige-Konzil „The Artist is Present“ im New Yorker Museum of Modern Art haben ihren Weltruhm begründet. Nun sind alle gespannt, was dieser Star der Performancekunst mit den Studierenden erarbeitet hat. Ein Jahr lang hat die serbisch-amerikanische Kunst-Pionierin an der Folkwang Universität unterrichtet, in vier Blöcken zu jeweils zehn Tagen. Im Museum Folkwang wird das Ergebnis nun im Rahmen einer „Long Durational Performance“ vorgestellt.

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Neun Tage lang werden die Studierenden jeweils sechs Stunden lang (12-18 Uhr) beweisen, was für Marina Abramović zur Basis der künstlerischen Arbeit gehört: Disziplin, Konzentration und Durchhaltevermögen. Sie werden dabei stundenlang singend an großen runden Tischen sitzen und zusammen mit dem Publikum Kartoffeln schälen, auf ein Pedelec steigen, um im Wassererwärmungs-Wettkampf gegen eine Mikrowelle anzutreten oder im Innenhof des Museums schon mal damit beginnen, sich das eigene Grab zu schaufeln.

Tief Luft holen: Janina Schweitzer geht zwischen ihren Gesängen auf Tauchkurs.
Tief Luft holen: Janina Schweitzer geht zwischen ihren Gesängen auf Tauchkurs. © Ursula Kaufmann

Dass die Teilnahme am „Free Interdisciplinary Performance Laboratory“ körperlich wie mental zur Herausforderung wird, haben alle Studierenden gewusst, die bei diesem bislang einzigartigen Hochschul-Projekt dabei sein wollten. Rund 150 haben sich beworben, 25 wurden am Ende aus allen Bereichen ausgewählt – von Tanz bis Gesang, Schauspiel, Design, Musik oder Regie. Das spartenübergreifende Miteinander hat auch Konstantin Pütz besonders fasziniert. Der 21-Jährige studiert an der Folkwang-Uni Fotografie. Für die Performance „Edera“, die er zusammen mit Gloria Carobini auf der Museumsterrasse zeigt, greift er nun aber zur Schaufel und schippt säckeweise Torf in den Eingangsbereich. Als Leistungssportler bringt Pütz wohl einiges an Fitness und körperlicher Leidensfähigkeit mit, die man gemeinhin mit Abramović-Arbeiten wie dem 2500 Kilometer langen Marsch entlang der Chinesischen Mauer verbindet. Antrainiert hat sich der 21-Jährige im vergangenen Jahr aber auch eine gewisse Durchlässigkeit und Offenheit für das Unerwartete, und die Erfahrung, „dass man bei aller Disziplin doch nicht verkrampfen darf“.

Tagelanges Hungern und Schweigen gehört zum Übungsprogramm

Dabei ist ein Semester bei der radikalen „Kunstpriesterin“ nun alles andere als eine Lockerungsübung. Sit-ups und Atem-Meditationen gehören zur Abramović-Methode dazu wie das Abhärten von Körper und Geist. Und so saßen sie im Frühjahr eine Woche lang gemeinsam in einem Haus in den Bergen Spartas, haben fünf Tage lang nicht gegessen, dem Handy entsagt, eine lange Weile sogar ohne Worte ausgeharrt – und bei ihren Exerzitien die prägende Erfahrung gemacht, „dass man alles schaffen kann, wenn man nicht abgelenkt wird“, sagt Pütz. Und sich stattdessen mit dem Zählen von Reiskörnern, dem stundenlangen Schließen einer Tür und dem ausführlichen Betrachten der Farbe Gelb hingibt.

„Für mich war das anfangs unvorstellbar. Aber ich bin dankbar, diese Erfahrung gemacht zu haben“, erzählt Jakob Jentgens, den die große mediale Strahlkraft der prominenten Gastprofessorin anfangs aber auch ein wenig blockiert hat, räumt der 29-Jährige ein, der an der Folkwang-Uni Jazz-Improvisation als Masterstudiengang belegt hat. Zu wissen, „welche enorme Aufmerksamkeit wir bekommen“, habe bei ihm zunächst den Druck erzeugt, etwas Einzigartiges zu kreieren, das den besonderen Erwartungen standhalten kann.

Mit seiner Arbeit „Entering“ wird er nun versuchen, sich 54 Stunden lang im Innenhof des Museum Folkwang musikalisch nicht zu wieder holen, um herauszufinden, „wie sich das Spiel im Lauf der Zeit verändert und wann sich ein Punkt der kreativen Erschöpfung einstellt“. Wer ihm dabei von außen Anregungen geben will, kann den Saxofonisten vom Folkwang-Foyer aus über ein altmodisches Bakelit-Telefon erreichen.

Man darf auch mal weinen: Smila Vita Hoppe will das Publikum beim Filmschauen an ihren Gefühlen Teil haben lassen.
Man darf auch mal weinen: Smila Vita Hoppe will das Publikum beim Filmschauen an ihren Gefühlen Teil haben lassen. © Ursula Kaufmann

Die Interaktion mit den Besuchern ist gleich in mehreren Arbeiten vorgesehen. Auch Smila Vita Hoppe hat für ihre Arbeit „ka(:)tarzis“ Stühle und Kopfhörer bereitgestellt und lädt den Besucher ein, gemeinsam mit ihr vor der Filmleinwand Gefühle rauszulassen. Heul doch! Dabei kann die jüngste der 25 Performerinnen und Performer ihr Glück kaum fassen. „Im vergangenen Jahr war ich noch auf dem Abiball und jetzt im Museum“, resümiert die Folkwang-Tanz-Studentin im zweiten Semester, die am Eröffnungstag ihren 18. Geburtstag feiern kann.

Pina-Bausch-Professur

Marina Abramović ist die erste Künstlerin, die die Pina-Bausch-Professur der Folkwang Universität der Künste innehat. Eingerichtet wurde die Professur vom Land NRW und der Kunststiftung NRW in Zusammenarbeit mit der Pina Bausch Foundation. Benannt ist sie nach der Wuppertaler Choreografin und Tänzerin, die den modernen Tanz revolutioniert hat.

Die „54 Hours Performances“ sind vom 30. Juni bis zum 9. Juli zu erleben (12-18 Uhr). Tickets können auf der Homepage des Museum Folkwang gebucht werden. Das Kartenkontingent ist begrenzt. www.museum-folkwang.de

Für Partys aber werden sie in den nächsten neun Tagen garantiert keine Zeit haben. Manche wollen zwischen den täglichen Performances sorgsam schweigen, andere mitten in der Natur campieren. Jakob Jentgens will jeden Morgen zu Fuß von Werden aus zum Museum Folkwang laufen und mit den Blüten am Wegesrand seinen Blumenkranz bestücken, den er während seiner Performance zum bodenlang wallenden Rock trägt. Ob die Aufmachung womöglich zu prätentiös sei, hat er Marina Abramović gefragt. Doch die hat dem 29-Jährigen gut zugeredet. Mit der „Long Durational Performance“ sollen persönlichen Erzählungen schließlich in performative Aktionen verwandelt werden. Denn erst wenn das Eigene authentisch in etwas Größeres überführt wird, ist es für Marina Abramović Kunst.