Marina Abramović im Gespräch über ihre eigene Beerdigung, wie alt sie werden möchte und womit sie sich 2010 im New Yorker MoMA vertan hat.
Marina Abramović, die sich in Performances schon ihrem Publikum vollkommen wehrlos auslieferte, möchte gern 101 Jahre alt werden, „mindestens“. Wir sprachen mit ihr über die Beerdigung und ihre berühmteste Performance.
Frau Abramović, Sie haben wirklich schon Ihre eigene Beerdigung geplant?
Marina Abramović: Ja, ich war so schockiert von der Beerdigung von Susan Sontag, da kam zwar auch Patti Smith, aber es waren nur 15 Menschen insgesamt, so traurig. Da bin ich zum Notar gegangen und habe verfügt, dass es drei Särge geben soll – einer in New York, einer in Amsterdam, einer in Belgrad – und das gelacht werden soll über politisch unkorrekte Scherze und niemand schwarze Kleidung anhaben soll. Ich weiß auch schon, wie ich sterben will: Bei wachem Bewusstsein, ohne Schmerz und ohne Angst, das wäre schön.
Es ist ja noch etwas Zeit bis dahin, sie wollen ja mindestens 100 werden, oder?
Nein, mindestens 101. Meine Urgroßmutter ist 116 Jahre alt geworden, meine Großmutter 103. Sie wollte auch bewusst im Kreis ihrer Familie sterben, sie hat noch ein Mal für alle gekocht und sich dann hingelegt, weil sie dachte, es sei so weit. Aber dann ist sie nach einer Weile wieder aufgestanden und hat sich an den Tisch gesetzt, sie hatte einfach Hunger. Sie ist dann später im Schlaf gestorben. Naja, ich werde Ende nächsten Monats 76, aber ich habe einen jungen Geist, vielleicht auch deshalb, weil mein Publikum jung ist. In meiner Generation wurden Performances ja noch schräg angesehen. Umso schöner, dass sie jetzt mehr denn je viele junge Leute anziehen.
Wobei Sie auch noch mindestens 20 Jahre jünger aussehen als Sie sind, wie machen Sie das?
Man muss lieben, was man tut. Und: Kein Alkohol, keine Drogen, ein lebhaftes Liebesleben und immer arbeiten. Ab und zu ein Fasten einlegen oder einen stillen Rückzug, aber niemals aufhören zu arbeiten. Ich glaube, wer mit 65 in Rente geht, schwebt in großer Gefahr.
Und Sie müssen so alt werden, weil Sie noch Pläne haben?
Es ist so viel Arbeit, ich bin schon jetzt ausgebucht bis 2027!
Stresst Sie das nicht?
Wichtig ist, sich nicht zu wiederholen. Jeden Morgen das Leben neu zu sehen.
Und Alterserscheinungen haben Sie gar nicht?
Nun ja, ich kann mir immer schlechter Namen merken, also welches Gesicht jetzt dazugehört. Aber das kann natürlich auch damit zu tun haben, dass ich immer mehr Menschen kennenlerne. Wissen Sie, Bob Wilson, der Regisseur, hat mir mal erzählt, dass er eine Premiere in Dänemark hatte, und anschließend kam eine ältere Dame zu ihm, begleitet von zwei Herren. Die sagte ihm, wie sehr sie sein Stück genossen hätte und wie bedauerlich sie es fände, dass ihr Mann nicht dabeisein könne. Ah, hat Bob so ins Blaue hinein gefragt, womit ist Ihr Mann denn gerade so beschäftigt? Nun, sagte die Dame, er ist immer noch König und hat viel zu tun.
Was hat Sie außer der Ehre und dem Namen Pina Bausch gereizt, diese Professur anzutreten? Eigentlich wollen Sie doch schon eine ganze Weile gar nicht mehr unterrichten.
Wissen Sie, ich habe bei anderen Gastprofessuren immer nur Performance unterrichtet. Hier kommen die Studierenden aus den unterschiedlichsten Disziplinen, Schauspiel, Tanz, Fotografie, Regie, Jazz, Gesang, Komposition. Ich weiß gar nicht, was dabei herauskommen wird, und ich kann auch scheitern. Aber diese Herausforderung, das ist es, warum ich diese Professur auch angenommen habe.
Sie hatten 150 Bewerbungen für Ihr Performance-Labor – wie haben Sie gesiebt?
Da war zum Beispiel jemand, der schrieb, er sei erst 22 und habe deshalb noch nichts vorzuweisen. Was ist das? Rimbaud hat mit 22 schon wieder aufgehört, Lyrik zu schreiben! Raffael hat mit 17 toll gemalt, Dürer war mit 14 Meister, na hör mal! Ich muss Leidenschaft erkennen können, den Drang, Kunst schaffen zu wollen.
Sie waren diesen Monat in Amsterdam, sind dann nach Israel geflogen, bevor Sie hierher kamen. Wo sind Sie eigentlich zu Hause?
New York im Moment, aber ich bin selten da. Als ich mich dort mal völlig erschöpft in einen Kinosessel fallenließ, habe ich unwillkürlich nach dem Sicherheitsgurt für den Flugzeugstart gegriffen…
In der Corona-Zeit war das mit dem Reisen aber schwieriger, oder?
Als der Lockdown kam, war ich gerade in München und sollte für die „7 Tode der Maria Callas“ proben. Ich hatte nie so schöne, so ruhige Proben. Und gereist bin ich trotzdem, ich war in der Pandemie zwei Mal in Indien. Und ich habe mich nie angesteckt, ich hab Leute geküsst und alles. Vor zwei Monaten hat es mich dann aber doch erwischt.
Manche Künstler wechselten von Live-Auftritten ins Internet...
Ich lehne jede Idee, Performance mit Zoom aufzuführen, radikal ab. Viele Leute haben es versucht, aber ich glaube, es ist ein riesiger, dummer Kompromiss. Der Sound ist schlecht, das Bild ist schlecht. Also warum nicht drei, vier Jahre warten, bis es wieder möglich ist?
Aber Performance mit Aufzeichnungen zu dokumentieren ist doch sinnvoll?
Unbedingt. Man muss sogar für die Dokumentation einer Performance dieselbe Aufmerksamkeit aufwenden wie für die Performance selbst. Ich habe mal in den 70er-Jahren eine Performance mit dem damals noch neuen Video-Format aufzeichnen lassen, da hatte der Kameramann leider künstlerische Ambitionen und hat mal meine Füße gefilmt, mal nur die Hände. Als ich das gesehen habe, habe ich es ihn komplett löschen lassen. Und die Performance dann noch einmal vor der stehenden Kamera aufgeführt, nur für die Kamera. Der Künstler muss kontrollieren, was seine Performance dokumentiert, muss auch die Bilder aussuchen, den richtigen Blickwinkel bestimmen. Ich habe ein riesiges Archiv. Niemand wird sich je diese 3000 Stunden angucken, aber ich muss das haben, es ist für mich wie eine Zeitkapsel.
Sie haben beim Antritt Ihrer Pina-Bausch-Professur hier in der Folkwang Universität darüber gesprochen, wie Sie mit Ideen umgehen. Dass man manchmal eine umsetzen muss, die gar nicht machbar erscheint, viel zu aufwendig, viel zu schmerzhaft. 2010 wurden Sie weltberühmt mit der Performance „Der Künstler ist anwesend“ im New Yorker Museum of Modern Art, wo Sie tagsüber insgesamt mehr als 700 Stunden auf einem Stuhl wechselnden Besuchern gegenübersaßen. Wie sind sie denn auf diese Idee gekommen?
Ich sprach mit dem Kurator Klaus Biesenbach über die Einladung, wo man ja manchmal draufdruckt: „Die Künstlerin ist anwesend“ – das ist es doch!, dachte ich. Drei Monate lang! Schweigend! In der Ausstellung! Klaus nannte mich verrückt, ich sei doch in allen meinen Werken schon präsent. Aber das hat mich dann nur nur bestärkt. Ich sah die Chance, vorzuführen, welche Veränderungskraft eine Performance hat. Klaus sagte noch, da setzt sich doch niemand auf den Stuhl gegenüber...
… und dann kamen Tausende.
Es war das Schwierigste, was ich je in meinem Leben getan habe. Es war die Hölle. Ich habe mich ein Jahr darauf vorbereitet, täglich acht Stunden im Museum zu sitzen. Ich habe meinen Stoffwechsel umzustellen versucht und nur noch nachts zu essen, morgens nichts mehr zu trinken, damit ich nicht zwischendurch aufs Klo musste. Das hat alles funktioniert. Ich habe nur einen Fehler gemacht.
Welchen?
Ich habe einen geradezu mönchischen Stuhl ohne Armlehnen genommen, um darauf zu sitzen. Aber nach sechs, sieben Stunden sackt man da ganz schön zusammen.
Sie hätten ihn doch austauschen lassen können.
Dafür war ich zu stolz. Ja, ich kann sehr stolz sein, ich bin tatsächlich eher der stolze Typ.
Noch mal ein kleiner Themenwechsel: Wir haben den Klimawandel, wir haben den Ukraine-Krieg – wie politisch muss da die Kunst werden?
Matisse hat im Zweiten Weltkrieg vier Jahre lang Blumen gemalt. Nein, was die Kunst kann, ist: Zeigen, wie man eine Situation verändern kann, indem man sich selbst verändert. Ich glaube, der Fehler von Beuys war, dass er in die Politik gegangen ist. Da haben Künstler nichts zu suchen. Wir verändern die Welt, indem wir uns selbst verändern, das Bewusstsein. Und das anderer.