Essen-Katernberg. Kindern helfen, Erfahrungen sammeln und mietfrei wohnen: So gestaltet sich das Bufdi-Jahr von Ayse (21) beim Verein „Tausche Bildung für Wohnen“.

Mariam pflückt eine Margerite und überreicht sie der 21-jährigen Ayse Oruclar, dann fällt sie ihr lachend um den Hals. Die beiden sind im vergangenen Jahr so etwas wie Freunde geworden. Wobei Mariam erst sieben Jahre alt ist und Ayse ihr regelmäßig bei den Hausaufgaben hilft. Aber eben nicht nur: In dem Projekt „Tausche Bildung für Wohnen“ finden Kinder aus armutsgefährdeten Familien ein zweites Zuhause in Katernberg. Bundesfreiwilligendienstler unterstützen die Kinder bei den Schulaufgaben, spielen aber auch mit ihnen und bereiten ihnen Snacks zu.

Bufdis wohnen mietfrei in Katernberger Vonovia-Wohnung

Im Gegenzug wohnen die Bundesfreiwilligendienstler zu dritt in einer 80 Quadratmeter großen Wohngemeinschaft. „Klar, wir reden dort viel über die Arbeit, aber nicht nur. Wir sind ein richtig gutes Team geworden“, erzählt Ayse, die zu Beginn ein zweiwöchiges Seminar zur Vorbereitung besucht hat und seitdem das ganze Jahr über von einer Mentorin begleitet wird. „Mit ihr besprechen wir verschiedene Situationen, zum Beispiel was zu tun ist, wenn ein Kind schlägt oder nicht kooperieren möchte.“

Im Alltag trifft sich das Team morgens um 10 Uhr und bespricht den Plan für den Tag: Welche Kinder kommen, wissen die Eltern Bescheid, muss noch eingekauft werden? In zwei Katernberger Wohnungen, den „Tauschbars“, werden die Kinder dann nachmittags empfangen. Die Wohnungsgesellschaft Vonovia stellt sie dem Verein „Tausche Bildung für Wohnen“ mietfrei zur Verfügung.

Individuelles Lernprogramm für Kinder der Essener „Tauschbar“

Hund Lolle wartet dann oft schon, auch sie gehört zum Team. Ab 14 Uhr wird es dann trubelig. Die Erst- bis Siebtklässler toben, lesen, streiten, lachen. Jede Bundesfreiwilligendienstlerin betreut vier bis fünf Kinder für eineinhalb Stunden, dann kommt die nächste Gruppe.

Standortleiter Stephan Köppen ist studierter Ökologe. Die Kooperation der Bonnekamp-Stiftung mit dem Verein „Tausche Bildung für Wohnen“ ist für ihn eine Herzensangelegenheit.
Standortleiter Stephan Köppen ist studierter Ökologe. Die Kooperation der Bonnekamp-Stiftung mit dem Verein „Tausche Bildung für Wohnen“ ist für ihn eine Herzensangelegenheit. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Die meisten besuchen die angrenzende Peter-Ustinov-Schule, einige kommen aber auch von der Realschule Zollverein und der Gustav-Heinemann-Gesamtschule. Für jedes Kind werde ein individuelles Lernprogramm angeboten, um die persönlichen Ziele zu erreichen. Verschiedene Übungshefte liegen in der Tauschbar, um beispielsweise das Einmaleins oder Groß- und Kleinschreibung zu üben. „Wir spielen immer erst, dann lernen wir und dann spielen wir wieder“, erzählt Ayse und betont, dass es nicht nur um Nachhilfe, sondern eben auch um Beziehungsarbeit geht. „Kinder und Bildungspaten entwickeln sich in gemeinsamer Aktivität miteinander weiter“, so die Idee des Vereins.

Zur gemeinsamen Aktivität gehört auch der regelmäßige Ausflug zum benachbarten Bonnekamp-Gelände. Die Kinder kennen den Weg schon und freuen sich. Kaum angekommen verschwinden sie erst im hohen Gras und steigen dann in die Schubkarre ein. Standortleiter Stephan Köppen fährt die Gruppe eine Runde über das Gelände. Für den studierten Ökologen ist die Kooperation mit der Bonnekamp-Stiftung eine Herzensangelegenheit.

„Tausche Bildung für Wohnen“: Kooperationsspiele im angrenzenden Essener Wald

„Wir können hier einen natur- und umweltpädagogischen Erlebnisraum schaffen und mit den Kindern im Jahresverlauf gärtnern.“ Beete und Gewächshaus sind bereits angelegt, eine freigelegte Fläche bietet Platz für Zelte. So können Kinder in den Ferien dort zelten und am Lagerfeuer sitzen. Köppen: „In einem größeren Waldstück können sich die Kinder in Kooperationsspielen gegenseitig fördern und fordern und ihre Geschicklichkeit mit Seilgärten zwischen den Bäumen trainieren.“ Im Wald bestehe außerdem die Möglichkeit, einen Barfußpfad anzulegen und einen Pizzaofen zu bauen. Pläne gibt es also genug und Kinder auch: „Derzeit sind es zwölf, wir rechnen aber im kommenden Schuljahr mit bis zu 70“, so Köppen, der allerdings noch auf der Suche nach einem Bundesfreiwilligendienstler ist.

In wenigen Wochen muss Ayse nämlich allerdings Abschied nehmen von Mariam, Mailo und den anderen Kindern. Der Bundesfreiwilligendienst endet dann und die 21-Jährige fängt mit einer Ausbildung zur Erzieherin an. Der Gedanke an den Abschied falle ihr schwer: „Die Kinder werden mir fehlen“, sie seien ihr schließlich ans Herz gewachsen.

Angebot für Familien kostenfrei

Der Verein „Tausche Bildung für Wohnen“ hat sich im Sommer 2022 in Katernberg niedergelassen. Weitere Standorte gibt es in Duisburg, Gelsenkirchen, Witten und Dortmund. Insgesamt werden und wurden in den fünf Tauschbars nach Angaben des Vereins 2900 Kinder gefördert. Der Verein finanziert sich über öffentliche und private Partnerschaften, Sponsoren und Stiftungen. Das Angebot ist für die Familien kostenfrei.

Kontakt für interessierte Eltern und Bufdi-Bewerber- und Bewerberinnen: E-Mail: essen@tauschebildung.org. Weitere Infos auch unter www.tauschebildung.org

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