Essen. Die Stammzellforschung ist verheißungsvoll und wirft ethische Fragen auf: Nun gehen Schüler aus Essen, Schweden, Rumänien das brisante Thema an.
Im Robert-Koch-Haus an der Uniklinik Essen sieht man am Mittwoch (29.3.) viele auffallend junge Gesichter: Schüler und Schülerinnen hantieren hier mit Petrischale, Mikroskop, Bioreaktor – und großen ethischen Fragen. Sie kommen aus Essen, Schweden und Rumänien und nehmen an einem aus EU-Mitteln finanzierten Projekt teil, das sich mit Stammzellen befasst.
Die Stammzellforschung gilt als große Verheißung der Medizin: Stammzellen sollen altes Gewebe erneuern und bislang unheilbare Krankheiten heilen. „Ich finde das Thema sehr spannend“, sagt Julie aus Stockholm. „In der Schule haben wir uns schon theoretisch damit befasst, hier lernen wir die Praxis kennen.“ Das sei eine tolle Chance findet die 14-Jährige, die als jüngste Teilnehmerin in fließendem Englisch Auskunft gibt.
Von den Eltern habe sie ihre wissenschaftliche Neugier nicht, die seien beide Designer, während Julie einmal Forscherin werden möchte. Auch Fragen nach den Grenzen des Machbaren und wissenschaftlicher Verantwortung schrecken das Mädchen nicht: „Ich interessiere mich sehr für Ethik.“ Die findet sich auch im englischen Projekttitel „GenEthics“ – Deutsch: GenEthik.
Stammzellen gelten als Hoffnungsträger
Die ethische Diskussion wird im Falle der embryonalen Stammzellen nicht überall gleich beantwortet: In manchen Ländern dürfen sogenannte „überzählige“ Embryonen aus Kinderwunschbehandlungen für die Forschung genutzt werden, in Deutschland dagegen ist die Gewinnung embryonaler Stammzellen untersagt. Wo fängt der Schutz des Lebens an, ist eine der Fragen, die die Jugendlichen schon bei ihren Stationen im rumänischen Constanța und in der schwedischen Hauptstadt beschäftigt haben.
EU-Programm fördert wissenschaftlichen Austausch von Schulen
Das EU-Programm Erasmus+ unterstützt das lebenslange Lernen und will mehr EU-Bürgern die Chance geben, im Ausland zu lernen, Berufserfahrung zu sammeln oder einen Freiwilligendienst zu leisten. Es unterstützt auch Schülerinnen und Schüler, die zu Lernzwecken in andere Länder reisen und sich dort mit Gleichaltrigen austauschen.
Jugendliche des Maria-Wächtler-Gymnasiums in Rüttenscheid, der Alviksskolan im schwedischen Stockholm und des National College „Mircea cel Bătrân“ im rumänischen Constanța nehmen aktuell an einem „Erasmus+“-Projekt teil, das Wissenschaft, Schule, Laborpraxis und Theorie verbindet. Thema ist:„GenEthik: Diskussion des Themas Stammzellforschung als eine wichtige Frage unserer Zeit im europäischen Kontext“.
In Stockholm und Constanța waren die Projektteilnehmer bereits, bis Samstag (1. April) sind sie noch in Essen. Das Maria-Wächtler-Gymnasium ist Koordinationsschule des Projekts; Lehrerin Hanna Mielke ist die Koordinatorin.
In Essen lernen sie nun Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) kennen, die aus menschlichen Körperzellen gewonnen und so reprogrammiert werden, dass sie ähnlich vielseitig einsetzbar sind wie die embryonalen Stammzellen. „Die Technologie hat längst in normalen Laboren Einzug gehalten“, sagt Dr. Verena Börger vom Institut für Transfusionsmedizin der Uniklinik. iPS seien Hoffnungsträger, zumal sie eben nicht mit dem Embryonenschutz kollidieren. „Für Therapien werden sie allerdings in großer Menge benötigt.“
Wie die Zellen kultiviert werden, schauen sich die jungen Leute am Bioreaktor an, später dürfen sie im Gentechnischen Labor Stammzellen ernten, also von der Petrischale lösen, und unter dem Mikroskop anschauen. Insgesamt vier solcher Stationen umfasst der Labor-Parcours, den das Team der Uniklinik ihnen zugänglich macht.
Schüler diskutieren, wann menschliches Leben beginnt
„Es ist wichtig, dass wir solche Dinge verstehen. Forschung spielt eine große Rolle für unser Leben, ihre Bedeutung wird weiter wachsen“, sagt die 17-jährige Anna, die das Maria-Wächtler-Gymnasium (MWG) besucht, den Bio-Leistungskurs belegt hat und auch an Medizin sehr interessiert ist. Insgesamt sei das Interesse hoch, sagen die Lehrerinnen Kati Jarosch, Freya Bosse und Ingrid Winking vom MWG. Das bietet in der Oberstufe im Fach Englisch einen Projektkurs an, der sich mit Naturwissenschaft befasst. Vorträge auf Englisch oder Diskussionen mit den Jugendlichen aus Schweden und Rumänien sind für die Kursteilnehmer also kein Problem.
„Sie tauschen sich über universelle Werte aus oder diskutieren, wann menschliches Leben beginnt“, sagt Simon Ström, der an der Alviksskolan in Stockholm unterrichtet. Dabei nehmen an dem Projekt sowohl Schüler mit großem Fachwissen teil als auch solche, die nur ihre Neugier mitbringen. In der Woche in Essen wohnen sie bei Gastfamilien, lernen auch den deutschen Alltag und die Stadt kennen.
Viele der jungen Rumänen wollen später Medizin studieren
Manche werden vielleicht mal hierher zurückkehren. „Unsere Schüler haben einen naturwissenschaftlichen Schwerpunkt, die meisten wollen Medizin studieren – viele in Deutschland“, erzählt Loredana Tanase, Lehrerin am National College „Mircea cel Bătrân“. „Ich möchte Ärztin werden“, sagt auch Amalia (17). Sie finde Kardiologie, Kinderheilkunde und Diabetologie spannend; im Erasmus-Projekt habe sie viel Interessantes über Genetik erfahren: „Und hier konnten wir manches davon unter dem Mikroskop sehen.“ Beim Werben um wissenschaftlichen Nachwuchs dürfte das Projekt ein paar Kandidaten angesprochen haben.