Essen. Heute Kita-Streik – eine Erzieherin sagt: Die Bedingungen sind so schlecht, dass viele Kinder leiden. Und Eltern machen immer öfter Probleme.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in städtischen Kitas in Essen sind am Mittwoch (8. März) zum Streik aufgerufen.

Hier erzählt eine erfahrene Erzieherin aus Essen, warum sie mittlerweile zu der bitteren Erkenntnis gelangt ist: Vor allem kleine Kinder sind in unseren Kitas häufig nicht gut aufgehoben. Und Eltern werden immer stärker Teil des Problems, nicht der Lösung.

Hier erzählt sie:
„Ich bin 25 Jahre im Beruf, den ich bis heute sehr liebe. Nach dem Abi habe ich mich bewusst für den Beruf der Erzieherin entschieden. Dass es eine anstrengende Tätigkeit ist, nicht nur wegen des permanenten Lärmpegels in einer Kita, wegen der kleinen Stühle, wegen der ständigen Ansprache von Kindern und Eltern, das war mir immer bewusst. Ich war und bin mit Leidenschaft Erzieherin, weil ich der festen Überzeugung bin, dass frühkindliche Bildung zu den Faktoren gehört, die darüber entscheiden, ob eine Gesellschaft erfolgreich ist oder nicht. Doch heute stelle ich fest, dass die Betreuung in den Kitas, so wie sie derzeit stattfindet, vor allem den kleinen Kindern unter drei Jahren häufig mehr schadet, als guttut.

„Kleine und große Kinder in einer Gruppe – das ist schädlich“

Seit Jahren erlebe ich, dass von der Politik falsche Entscheidungen getroffen werden – zum Beispiel der konsequente Ausbau der U3-Betreuung. Also immer mehr Kinder aufzunehmen, die jünger als drei Jahre sind. Das geht nur dann gut, wenn man die älteren Kinder nicht vernachlässigt und die Kitas entsprechend ausstattet. Doch wir haben heute personell schlecht aufgestellte, altersgemischte Gruppen mit Kindern von einem halben Jahr bis sechs Jahren. Das ist grundfalsch, denn kleine und ältere Kinder haben völlig unterschiedliche Bedürfnisse. Hinzu kommt: Bin ich die einzige Erzieherin in der Gruppe – was regelmäßig vorkommt, obwohl es eigentlich nicht sein darf –, und vor mir steht ein Einjähriger mit voller Windel, dann kann ich ihn nicht sofort wickeln. Dafür müsste ich in den Wickelraum, das bedeutet, ich verletze meine Aufsichtspflicht gegenüber den anderen 14 Kindern.

Es sind auch die Eltern, die Probleme schaffen. Ich erlebe, dass Väter und Mütter das Kita-Personal zusehends als reine Service-Kräfte ansehen, sich selbst als Kunden verstehen, deren Bedürfnisse und Ansprüche sofort und komplett zu erfüllen sind.

„Kinder werden halbkrank in die Einrichtung gebracht“

Einerseits sollen wir die Kinder gruppenfähig machen, andererseits sollen die Kinder selbst entscheiden, ob sie beim Rausgehen eine Jacke anziehen oder nicht. Ließen wir sie nur im Pulli raus, wollen das erstens fünf andere Kinder auch, zweitens sind sie am nächsten Tag krank. Apropos Krankheiten: Es passiert immer öfter, dass Mütter und Väter ihre Kinder morgens in die Einrichtung bringen, obwohl sie an einer ansteckenden Infektionskrankheit leiden. Vor allem die Phase, in der die Kinder nicht mehr gesund, aber auch noch nicht richtig krank sind, wird von Eltern häufig bewusst missverstanden, das Kind abgeliefert, die Folge: Es hängt den ganzen Tag über im Gruppenraum herum, fühlt sich nicht wohl, steckt andere an.

Einerseits sollen wir individuelle Förderung und Betreuung gewährleisten, andererseits soll das möglichst preiswert geschehen, also ohne ausreichendes Personal. Einerseits sollen wir den Kindern nach Ansicht der Eltern keine oder nur wenige Grenzen setzen, andererseits dafür sorgen, dass sie sich sozialkompatibel verhalten und Freunde finden. Die Eltern erwarten, dass sie und ihre Kinder immer die gleichen, festen Ansprechpartner in der Einrichtung haben – aber andererseits wollen alle Eltern heutzutage Öffnungszeiten von früh morgens bis spät abends, am besten 365 Tage im Jahr, sodass Schichtdienst nötig wird.

Manche Eltern wollen, dass wir ihre kleinen Kinder mittags nicht zum Schlafen hinlegen, damit sie abends müde sind. Andererseits sollen die Kinder den ganzen Tag über gute Laune haben. Einerseits sollen die Kinder selbst entscheiden, was sie in der Kita essen – aber alle Kinder sollen bitteschön bestmöglich und gesund ernährt werden, mit und ohne Fleisch, mit und ohne Salz, mit und ohne Zucker, Nüsse . . .

„Für die wichtigsten Aufgaben fehlt Zeit“

Kaum eine Kita-Leitung ist heutzutage nicht am Rande ihrer Kräfte. Für die Vor- und Nachbereitung der pädagogischen Arbeit fehlt Zeit. Die Dokumentation der Entwicklung der Kinder kommt zu kurz, die Planung von Projekten, Elterngespräche – das alles sind wesentliche Stressfaktoren. Hinzu kommt: Der permanent hohe Krankenstand macht, dass wir dauernd Zusatzaufgaben übernehmen, sodass für die eigentliche Betreuung und Förderung der Kinder keine Zeit mehr bleibt. Allein das Kochen für 80 Kinder, wenn unsere Köchin mal wieder krank ist. Essen austeilen, Teller einsammeln, die Spülmaschine bedienen … und natürlich sind es wir selbst, die Erzieherinnen und Erzieher, die am Ende eines Arbeitstages die Stühle hochstellen und die Räume durchfegen. Ich weiß, dass sich das Leute kaum vorstellen können, die ihr ganzes Berufsleben in einem Büro verbringen.

Die Konsequenz? Ich selbst bin auch Mutter. Als meine Kinder klein waren, habe ich sie möglichst lange zu Hause gehalten und nicht sofort in einer Kita angemeldet. Vielen kleinen Kindern, das ist meine bittere Einsicht, geht es in den Einrichtungen schlecht. Das will nur leider kaum jemand hören.“