Essen. Seit 25 Jahren arbeitet Roland Sauskat beim Awo-Fanprojekt: „Kein Kindergeburtstag!“ Er erklärt, wie sich die RWE-Fans mit der Zeit entwickelten.
Sein letztes Jahr hatte sich Roland Sauskat anders vorgestellt: Noch einmal mit den Jungs zu Auswärtsspielen durch ganz Deutschland reisen. Doch dafür hätte Rot-Weiss Essen schon in der vergangenen Saison in die dritte Liga aufsteigen müssen. Und Corona dürfte es auch nicht geben. Nun sieht es so aus, als würde es auch diesmal nichts mit dem Aufstieg. Aufgeben gilt nicht. Aber Kummer sind RWE-Fans ja gewohnt.
Wer wüsste das besser als Roland Sauskat. Seit 25 Jahren arbeitet er beim Fanprojekt der Arbeiterwohlfahrt. Nun ist er 65. Ende April ist Schluss. Aber wie es heißt es schön: Einmal RWE, immer RWE.
Um Roland Sauskat war es geschehen, als Onkel Willi ihn zum ersten Mal mit ins Georg-Melches-Stadion nahm. 1965 spielte RWE gegen den Meidericher SV. „Wenn ich an das rot-weiße Fahnenmeer in der Westkurve denke, bekomme ich heute noch Gänsehaut“, erinnert sich Sausakt. Fortan war der kleine Roland ein Rot-Weisser. Zwei Jahre später folgte er RWE in der Aufstiegsrunde – mit Mutter, Oma und Opa im rot-weiß lackierten Ford 17 M.
Roland Sauskats zweite Leidenschaft ist der Pferdesport
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Dass Roland Sauskat viele Jahre später beruflich mit seinem Herzensverein zu tun haben würde, überrascht nicht. Aber es wäre wohl ganz anders gekommen, hätten seine Eltern seiner Leidenschaft nachgegeben. „Eigentlich wollte ich Jockey werden“, erzählt Sauskat, der in Horst groß geworden ist, ganz in der Nähe der Rennbahn. In Hannover gab es einen Ausbildungsplatz. Doch die Eltern winkten ab. Der Pferdesport ist bis heute Sauskats zweite Leidenschaft. Es gab eine Zeit, da kannte er jeden Galopper mit Namen.
Zum Fanprojekt kommt Sauskat 1996 über Umwege. Wenige Monate später stößt Claudia Wilhelm hinzu. Seitdem kümmern sich beide um die Fanszene von Rot-Weiss Essen – anfangs für 270 Mark Aufwandsentschädigung im Monat, später als Angestellte des Vereins, seit 2001 unter dem Dach der Awo. Vor sechs Jahren kam Matthias Schulz dazu. Seitdem sind sie beim Fanprojekt zu dritt.
Im Georg-Melches-Stadion hatten Sauskat und Wilhelm ihr Büro gleich unter der Gaststätte. Im Fenster ein Zettel: „Fanprojekt“.
In den 1980er Jahren hatte die Hooligan-Szene in vielen Stadion fußgefasst
Zu dieser Zeit genießen RWE-Fans längst einen zweifelhaften Ruf. Schon in den 1980er Jahren hat die gewaltbereite Hooliganszene in vielen Stadien fußgefasst. Nach der Wendezeit wehen am Stadionzaun auch Banner von Fans, die aus ihrer politisch rechten Gesinnung kein Geheimnis machen. Mit Mitgliedern der „Ruhrfront“ Essen besuchen beide in den 1990er Jahren das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald. Auf der Rückfahrt im Neunsitzer herrschte Schweigen, erinnert sich Claudia Wilhelm. „Wenn man Buchenwald gesehen hat, kann man schlecht sagen, so etwas hat es nicht gegeben.“
Ab Anfang der 2000er Jahre sorgt die Ultra-Bewegung für Stimmung auf den Tribünen – mit Choreographien und Spruchbändern. Stets kreativ, wenn auch nicht immer geschmackvoll. Beim Auswärtsspiel in Dresden, kurz nach der Oderflut, halten RWE-Fans im Stadion ein Banner hoch – darauf zu sehen ist ein versinkendes Dynamo-Emblem. Darunter der Spruch: „Es hat nicht ganz gereicht.“
Heute überwacht die Polizei das Geschehen mit hochauflösenden Kameras
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„So etwas würde man heute nicht mehr machen“, sagt Sauskat. Es gäbe wohl auch Ärger mit dem DFB. Überhaupt: Im Vergleich zu den wilden 80er und 90er Jahren ist es heute ruhiger, zumindest im Stadion. „Stadionverbote hat es früher gar nicht gegeben“, berichtet Sauskat. Heute stehen die Fans auf den Rängen unter ständiger Beobachtung der Polizei, die das Geschehen mit hochauflösenden Kameras überwacht.
Wenn, dann findet Randale heute meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Gewaltbereite Fans verabreden sich per Whatsapp an entlegenen Orten. Kampfsport ist derzeit angesagt ist der Szene. Sauskat und Wilhelm deuten so etwas nur an, mehr sagen sie dazu nicht. In der Fanszene genießen sie Vertrauen. Dazu gehört, dass sie Dinge für sich behalten.
Als Fans 2013 in den Räumen des Fanprojekts die Vorführung eines Dokumentarfilms über die rechte Musikszene sprengen und die Polizei nach den Tätern fahndet, kommen die Ermittler bei Sauskat und Wilhelm nicht weit.
Das Fanprojekt hatte sein Büro unter der Kneipe des Georg-Melches-Stadions
Damals war das Fanprojekt nach dem Abriss des Georg-Melches-Stadion vorübergehend in einem Container an der Hafenstraße untergebracht. Inzwischen hat es seinen Platz in einer ehemaligen Kneipe an der Friedrich-Lange-Straße. „Wir fühlen uns hier wohl“, sagt Claudia Wilhelm. Auch wenn das Fanprojekt nicht mehr so nahe dran ist wie früher im alten Stadion. Niemand stolpert mehr zufällig herein, was ein Nachteil ist.
Für ihre Arbeit gilt damals wie heute: „Wir sind gesprächsbereit.“ Das gilt für jeden. Ganz egal, wo er politisch steht. Essens Fanszene ist heterogen. Die Regenbogenfahne, ein Symbol für Toleranz und Vielfalt sucht man im Stadion Essen allerdings vergebens. Welche Gruppe steht wo auf der „Alten West“, der Tribüne im Osten des neuen Stadions. Welche Fahne darf gezeigt werden und welche nicht? All das funktioniert nach für Außenstehende verborgenen Regeln.
Awo-Fanprojekt
Die Gründung von Fanprojekten geht auf eine Initiative des Deutschen Städtetages zurück mit dem Ziel der Gewaltprävention im Sport. Das Motto des Awo-Fanprojektes lautete: „Stimmung statt Randale.“
Unterstützt wird das Fanprojekt vom Deutschen Fußballbund, dem Land NRW und der Stadt Essen. Nähere Infos zum Awo-Fanprojekt gibt es unter: https://www.awo-fanprojekt-essen.de
Eines hat sich verändert zu früher, erzählen Sauskat und Wilhelm. Beide lassen Fans nicht mehr so nahe ran an ihr persönliches Leben. Vor ein paar Jahren hat einer aus der Szene Selbstmord begangen. Das mag dazu beigetragen haben. Manchmal sei es ihnen schwer gefallen, ihren Vorgesetzten klar zu machen: „Das ist hier kein Kindergeburtstag“, erzählt Roland Sauskat.
Nein, ein Kindergeburtstag ist die Arbeit beim Fanprojekt bis heute nicht. Auch wenn Roland Sauskat zum Abschied vielleicht ein paar Kerzen auspusten muss. „Ich werde zwar Rentner, aber ich bin immer noch da“, sagt er. Einmal RWE...